Letzte Bearbeitung am 23-Aug-10 um 09:36 Uhr ()
Freizeitpark droht mit Vollgas in die Pleite zu rasenMainz. Der Freizeitpark „Nürburgring 2009“ entwickelt sich immer mehr zum Millionengrab. Die Baukosten explodierten, schwarze Zahlen sind kaum realistisch.
Das haben die Menschen hier bloß hingesetzt auf die raue Eifelhöhe: Den Terminal 2 des Düsseldorfer Flughafens? Die Kopie der Raumstation ISS? Das abstrakte Mahnmal für alle missratenen Mammutbauten dieser Welt? Kurt Beck, Ministerpräsident in Mainz, der sich mit dem Gebirge aus Stahl, Beton und Glas einen Traum verwirklichen wollte und es aus der Landeskasse mit 330 Millionen Euro gesponsert hat, schweigt in diesen Tagen meist zum silberweißgrau glänzenden „Freizeitpark“ am Rand der ehrwürdigen Rennstrecke.
Beck hat einen Griff in die Tonne getan. Die 2,5 Millionen Besucher, die das Projekt „Nürburgring 2009“ jährlich locken und hohe Verluste der Formel-I-Piste früherer Jahre ausgleichen soll, kommen nicht. 170 000 könnten es gerade sein, sagt der Landesrechnungshof. Kaum Chancen für schwarze Zahlen. So wird der neue „Nürburgring 2009“ zum vielleicht gewaltigsten Bauskandal der Republik. In der Eifel nennen sie es schon Unternehmen Größenwahn.
Links Racewear24 und ein mächtiger Ferrari-Stand. Rechts werden Bremsscheiben angeboten. Dazwischen: die Bar. Kundschaft? Gäste? Fehlanzeige. Ringsherum stehen das „Eifeldorf“ mit Restaurants, Souvenirläden und einer sechsgeschossigen Disco für 2000 Menschen. Es gibt ein Vier-Sterne-Hotel mit Hubschrauberlandeplatz. Hubschrauber landen selten. Die Formel-I-Boliden kommen nur alle zwei Jahre vorbei.
Explosion beim Testlauf
Was sollten Fans hier tun? Die weltweit schnellste Achterbahn „Ringracer“ besteigen, deren dünne Stahlärmchen zwischen den Superbauten „Boulevard“ und „Ringwerk“ samt der „größten Videowand Europas“ in den Himmel ragen? Sie hat noch keinen Cent eingespielt. Beim zweiten Testlauf war der Antrieb explodiert. Sechs Arbeiter erlitten Knalltraumata. Das Modell, elf Millionen Euro teuer, taugt technisch nicht. Die Achterbahn wird zum Symbol für alles das, was in der Eifel in drei Jahren falsch gelaufen ist.
Eveline Lemke kennt jeden Quadratmeter am Ring, vom klassischen alten und vom schrillen modernen. Sie fasst es immer noch nicht, was die Politik in Mainz aus dem „Mythos“ Nürburgring gemacht hat. Lemke ist Betriebswirtin, Unternehmensberaterin, Landeschefin der Grünen in Rheinland-Pfalz. Sie fordert Klarheit. Es kann sein, dass ihre Partei zurück in den Landtag kommt, wenn 2011 gewählt wird, vielleicht sogar in die Regierungsverantwortung. Dann wartet die große Aufräumarbeit.
Ungedeckte Schecks
Ja, sagt Lemke, der Blindflug in die Sackgasse „Nürburgring 2009“ könne durchaus politische Gründe gehabt haben. „Damals, 2007, als die Planung lief, wollte Kurt Beck Kanzlerkandidat der SPD werden“. Vielleicht, mutmaßt sie, habe er denen in Berlin „etwas Großes vorzeigen wollen“. Motto: Seht her, ich kann es. Private Investoren sollten die strukturschwache Gegend beleben. Tatsächlich sind vom Ministerpräsidenten Sätze überliefert wie „Hauptsache, da oben passiert irgendwas“.
Was passierte, ist schnell erzählt: Weil nie potente private Investoren Interesse zeigten, übernahm das Land die Planung. Angeworbene Projektentwickler, die schon beim gescheiterten SpaceCenter Bremen mitgewirkt hatten, verteilten alleine 17 Millionen Euro für „Beratungsleistungen“. Finanzierungen platzten, Baukosten schossen hoch, Konstruktionsmängel trieben die Kosten von ursprünglich 150 Millionen auf die heutige Summe. Boris Becker („Ich hatte eine Carrera-Bahn“) erhielt für einen Werbeauftritt 500 000 Euro. Man fiel in Mainz auf ungedeckte Schecks herein und auf einen angeblichen US-Finanzier namens DuPont, der offenbar mittellos war.
Am Ende, zeichnet sich ab, wird der Steuerzahler bluten. Man sucht Auswege: Lemke schlägt vor, das Land solle den Freizeitpark für einen Euro verkaufen. Vielleicht kann irgendein Privater doch noch was machen aus dem Debakel? „Das alles war wie ein großes Hütchenspiel“, sagt sie resignierend.
In diesem Sommer sind die Hütchen umgefallen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen acht Manager und Politiker wegen Untreue und Betrug: Gegen den 2009 über den Skandal gestürzten Finanzminister Ingolf Deubel (SPD), gegen die Spitzen der alten Nürburgring GmbH, auch gegen Hans-Joachim Metternich, einst Geschäftsführer der Investitions- und Strukturbank. Metternich ist heute als Kreditmediator der Bundesregierung in der Finanzkrise tätig. Die Provinzaffäre hat damit einen pikanten bundespolitischen Aspekt.
Ursula Schmitz ist stolz auf ihr „Hotel am Tiergarten“. Nur Autominuten vom Betongebirge entfernt buchen hier Stammgäste, die die Nordschleife, die „grüne Hölle“ des Nürburgrings, befahren wollen. Es sind Veteranen der alten Rennfahrer-Welt. Im Keller haben Schumi und Häkkinen gefeiert. An der Wand hängt das Bild von Tochter Sabine, die „schnellste Frau“ der nahen Piste. Ursula Schmitz ist „auf hundertachtzig“, mindestens. Der neue, mit einer Defizitdeckungszusage des Landes arbeitende Hotelier vom Freizeitpark bietet Zimmer kostenlos an, wenn Gäste aus 1000 Kilometer Entfernung anreisen. Dieses Dumping ruiniert uns, fürchtet sie. Sie hat die EU-Kommission eingeschaltet. Mainz droht eine Klage wegen Verstoßes gegen den fairen Wettbewerb. Becks Traum wird ein Albtraum.
Quelle: WAZ, 23.08.2010