Ein Text von http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/458/143141/Hallenbad: Eine Kulturgeschichte
Im Reich der blauen Kachel
Ade, tätowierte Bademeister. Ade, lauwarmer Chlorgeruch. Es geht etwas zu Ende in Deutschland. Das billige, alte Hallenbad verschwindet - und wird durch teure Wellness-Oasen ersetzt. Ob das so gut ist? (Von Gerhard Matzig)
Als der zweiundzwanzigjährige Horst Buchholz, dieser "deutsche James Dean", seinen großen Auftritt als Freddy im Film "Die Halbstarken" hatte, Mitte der fünfziger Jahre, da schien ein Hallenbad den passenden Rahmen für den Einstieg ins Rebellenfach abzugeben. Das Halbstarke lässt sich ja vor allem dort demonstrieren, wo Stärke und Ordnung als gesetzt gelten. Während also Dean sein Außenseitertum unter texanischen Rinderkönigen inszeniert, rebelliert Buchholz gegen die Normwelt nachkriegsdeutscher Kachel-Bauwut.
Vielleicht ist Dean also nicht ganz der deutsche Buchholz - aber die unendliche Weite der Prärie könnte durchaus etwas mit der blaukacheligen, orthogonalen Unendlichkeit des Sehnsuchtsortes "Hallenbad" zu tun haben. Wenn auch auf begrenztem Raum.
Für den Einzugsbereich von 40 000 bis 50 000 Einwohnern gibt die Bibel des Entwerfens, der legendäre "Neufert" (in der 33. Auflage), eine Standard-Beckengröße von 16,66 mal 25,00 Meter an. Und auch der Platz der Fußdesinfektionsanlage ist akkurat bemessen. Gleiches gilt für Sammelumkleide, Reihendusche mit Spritzschutz oder Sanitätsraum. Nicht zu vergessen: "Toiletten so anordnen, daß der Badegast nach Benutzung derselben wieder Duschräume durchqueren muß!" Ah, dieses wunderbar saubere Sprache deutscher Entwurfskunst!
Bademeister mit Adiletten
Freddy aber trifft im Film wie im Hallenbad seinen jüngeren Bruder wieder, macht ihn mit einer Bande von Halbstarken und deren Sitten bekannt - und schließlich endet der Tag im Schwimmbad mit einer ordentlichen Schlägerei. Man weiß nicht, ob der Fußdesinfektionsplatz davon betroffen ist. Worauf es dagegen ankommt: Gerade ein räumliches System der plakativen Regelhaftigkeit, der Leibesertüchtigung und der Reinheit eignet sich dazu, bildmächtig dekonstruiert werden.
Erst ein Reich, das aus Münzhaartrockner, rotweißen Schwimmbahnabgrenzungen, einem Bademeister in Tattoos und Adiletten sowie aus Gummileihbademützen besteht, erst eine Sphäre, die sich der Schwimmstätten-Ausschuss des Deutschen Schwimmverbandes in Bad Neustadt an der Saale ausgedacht hat, schreit danach, von Halbstarken hinweggefegt zu werden. Oder sich, wie in Jerzy Skolimowskis Film "Deep End" aus dem Jahr 1971, in den Ort einer tragisch verlaufenden sexuellen Obsession zu verwandeln.
Oder vom Wellness-Zeitgeist unterworfen zu werden, vom Städtewettbewerb und von den Investoren. Und natürlich von der Dresdner Bank, die jüngst erst eine Studie veröffentlicht hat, wonach das klassische Schwimmbad mit rechteckigem Becken und Dreimeterturm in Deutschland bald der Vergangenheit angehören soll (SZ vom 13. November). Derzeit seien viele der 6700 öffentlichen Schwimmbäder in Deutschland von der Schließung bedroht. Bis zu acht Milliarden Euro müssten die Kommunen in die Sanierung investieren. Oder eben in den Umbau zu "Wellness-Oasen".
Denn in genau dem Maße, wie sich aus der einst dunklen und kleinen "Nasszelle" im privaten Wohnbereich eine von den Baumärkten eifrig bediente Sehnsucht zu lichtdurchfluteten Bäderwelten samt achteckigen Marmorimitat-Badewannen und Massagedüsenduschen entwickelt hat, in eben diesem Maße verändern sich auch die Hallen- und Freibäder der Öffentlichkeit. Wobei die kommunale Hinwendung zu Wellness-Bädern nicht nur evolutionären Charakter hat - sondern auch als Rückgriff auf die Baugeschichte zu begreifen ist.
Was etwa vor einigen Wochen in Bad Aibling als spektakulärer Neu- und Umbau der alten Therme (durch das Büro Behnisch) gefeiert wurde; was in Vals im Schweizer Kanton Graubünden schon seit einigen Jahren die Fachwelt als ästhetische Felsenhöhle begeistert - als eine der schönsten Wasserarchitekturen der Welt (entworfen von Peter Zumthor); und was in Meran als gläserner Würfel Maßstäbe setzt (erdacht von Matteo Thun und Baumann/Zillich): All das ist eine Variation der seit der Antike bekannten Bauaufgabe der Therme. Rom besaß schon im Jahr 400 elf allgemein zugängliche Thermen, die, aus dem griechischen Balneion entwickelt, nicht nur Planschbecken darstellten, sondern Orte der Gemeinschaft waren.
Schwül-heiße Phantasiewelten
Wie weit man diese große Baukultur im Zuge der Spaßgesellschaft denunzieren kann, zeigt sich allerdings in in Brand nahe Berlin, wo der verlassenen Hülle einer gigantischen Zeppelinfabrik ein gigantischer Wasser-Themenpark namens "Tropical Islands" implantiert wurde. Seither erstreckt sich unter der 360 Meter langen, 210 Meter breiten und mehr als einhundert Meter hohen Kuppel eine bizarre Landschaft aus Meerwasserpool, beheiztem Sandstrand und Kulissendörfern, die an Bali oder Polynesien erinnern sollen - aber nichts anderes sind als zusammengenagelte Theken.
Wer je in Vals war, wird den Kachelkisten der fünfziger und sechziger Jahre vielleicht in sportlicher, kaum aber in architektonischer Hinsicht nachtrauern. Wer aber je in Brand war, 60 Kilometer nach Südosten von Berlin entfernt, der sollte sich vor die Bagger werfen, die den klassischen grauen Hallenbädern zu Leibe rücken, um daraus bunte Phantasiewelten zu machen, die sich irgendwelche Investoren ausgedacht und den Stadtvätern aufgeschwatzt haben. So manche kleinstädtische Wellness-Oase hat sich letztlich nicht als bessere Alternative zum guten alten Hallenbad herausgestellt - sondern als wüstenhafte Fata Morgana, umgeben von wenig Wasser und viel schwül-heißer Luft.
(SZ vom 16.11.2007/ihe)