Als Hagenbeck noch in Preußen warTierpark: Hamburg bereitet sich auf den 100. Geburtstag seiner Institution vor, die jetzt zu neuerlichen Höhenflügen ansetzt. Dem Abendblatt gewährte der Tierpark einen Blick in sein Archiv.
Von Claudia Sewig, Hamburg
Vor einhundert Jahren, als Stellingen noch zu Preußen gehörte, herrschte Hochbetrieb auf einem 27 Hektar großen Gelände, das Carl Hagenbeck im Jahr 1897 für 35 000 Goldmark gekauft hatte. Der Tierhändler, der 1902 sein Geschäft vom neuen Pferdemarkt hierher vor die Tore Hamburgs verlegt hatte, bereitete die Eröffnung seines Tierparks am 7. Mai 1907 vor. Einhundert Jahre später ist "Hagenbecks Tierpark" nicht nur eine Hamburger Institution mit Weltruf - sondern in neuerlichen Vorbereitungen. Zum Jubiläumsjahr 2007 will das Familien-Unternehmen mit neuen Attraktionen aufwarten: ein eigenes Parkhotel, ein Troparium im Stil einer nepalesischen Festung und eine neue Elefantenhalle sind nur einige der Projekte, die bis 2007 fertiggestellt sein sollen. Zehn Millionen Euro stellte der Senat gerade aus Mitteln des Sonderinvestitionsprogramms dafür zur Verfügung.
Der Weg von den sechs Seehunden, die der Fischhändler Gottfried Clas Carl Hagenbeck 1848 in einem großen Bottich auf St. Pauli ausgestellt hatte, über die Tierpark-Eröffnung durch seinen Sohn bis hin zur Gegenwart ist so sicherlich einzigartig. Ebenso wie die Dokumente aus dieser Zeit, die im Hagenbeckschen Archiv schlummern. Ein versteckter Zufluchtsort für Wissenswertes und Skurriles aus mehr als 150 Jahren Familiengeschichte.
Die Lieferung wurde fein säuberlich mit einem spitzen Bleistift in das große Buch eingetragen. "Dammhirsche für W. Rockefeller, Newyork" steht unter dem Monat Januar des Jahres 1907. William Rockefeller (1841-1922), Bruder des legendären John D. Rockefeller (1839-1937), hatte die Herde bei Hagenbeck in Hamburg bestellt - zu der Zeit eines der bekanntesten Tierhandelsunternehmen der Welt. Im Mai desselben Jahres, als in Stellingen die Tore von Hagenbecks Tierpark geöffnet wurden, bestellte Rockefeller noch einmal eine Ladung Finken nach. 6404,50 Mark wurden ihm insgesamt für beide Lieferungen in Rechnung gestellt - ob die Tiere für seinen Privatgarten gedacht waren, bleibt leider im dunklen.
Eine steile Treppe führt unter das Dach des tierparknahen, alten Gebäudes. "Manchmal liegen hier alte Tierparkführer vor der Tür. Dann hat mal wieder einer der Pfleger sein Privatarchiv aufgeräumt", sagt Klaus Gille. Der 50jährige Historiker ist einen Tag in der Woche vom Tierpark damit beauftragt, das Archiv zu katalogisieren und zu ergänzen. Firmen-Historien sind sein Steckenpferd.
Rund 10 000 Hagenbeck-Fotos, einige hundert Plakate und ebenso viele Postkarten hat Gille seit 1998 in den Händen gehabt, sie nach Datums- oder weiteren Beschriftungen abgesucht und in den Computer eingegeben. In den Regalen gleich neben der Tür steht Buch an Buch. Lederrücken, abgegriffen, aber auch Hochglanzwerke. "Die Biographie des Tierparkgründers Carl Hagenbeck ist natürlich dabei, auch in der englischen und spanischen Übersetzung. Und die Reisebeschreibung seines Halbbruders John Hagenbeck aus Asien. Aber wir haben auch das Abendblatt-Buch über den Tierpark aus dem Jahr 1998", sagt Gille.
Apropos Abendblatt: "Da habe ich doch noch etwas Schönes", sagt Gille und geht um das Zirkusmodell in der Mitte des hohen Raumes herum. Drei Quadratmeter Fläche, ein liebevoll nachgebautes Zirkuszelt des Hagenbeckschen Zirkus, der 1953 eingestellt wurde. "Der Zirkus hat den Namen in alle Welt transportiert", sagt Gille beiläufig, schaut kurz auf die mit Hunderten winzigen Figuren besetzten Stuhlreihen, die fahnenbeflaggten Spannseile und greift nach einer Zeitschrift aus einem Ordner. Es ist die "Springer Post", die "Haus-Illustrierte für alle Mitarbeiter im Verlagshaus Axel Springer", vom Mai 1963. Sie stand ganz im Zeichen von Hagenbeck. "Das Abendblatt", erklärt Gille, "hatte mit allen Mitarbeitern einen Ausflug in den Tierpark gemacht." Auf dem Titelbild prangte der Foto-Beweis: vier elegant gekleidete Damen auf dem Rücken eines Elefanten - Mitarbeiterinnen aus der Lokalredaktion, dem Fotoarchiv und den Bezirksausgaben - und darüber die Kiosk-Fahne "Hier Hamburger Abendblatt".
Nicht immer sind die Dokumente so gut erhalten und zeitlich so fehlerfrei einzuordnen. "Letztes Jahr bekam ich zum Beispiel ein Brief von einem Hamburger", sagt Gille. In diesem erzählt der Schreiber, daß er gesehen hätte, wie Hagenbecksche Elefanten im Zweiten Weltkrieg Armeefahrzeuge aus der Oberalster gezogen hätten. Gille: "Was genau da los war und wann es war, ist nirgends verzeichnet." Auch wenn es Fotos von Elefanten bei Aufräumarbeiten in Kriegstrümmern gibt: ein Foto von einem Einsatz an der Alster ist nicht dabei.
Kaiser Wilhelm II. kommt da besser weg. Seine vier Besuche im Tierpark - die noch mehr Gewicht bekommen, wenn man bedenkt, daß er angeblich kein einziges Mal den Berliner Zoo besucht hat - sind für die Nachwelt auf Lichtbildern festgehalten. Der Kaiser, sichtlich vergnügt, mit Zwergflußpferd, der Kaiser, mit Spazierstock, vor der Löwenschlucht, der Kaiser bei der Fütterung der Seelöwen.
Der Bau der künstlichen, später patentierten und vielfach kopierten Felsenanlagen, die Straußenhaltung mit eigener Farm und Verkaufsstelle für die Federn, der weite, unverbaute Blick vom fernen Stellingen über die Felder Richtung Hamburger Innenstadt und die exotischen Menschen, die für die Völkerschauen nach Hamburg gebracht wurden, finden sich genauso in den schweren Fotoalben wie seltsam anmutende Souvenirs von Urlaubsreisen Carl Hagenbecks. So ließ er sich 1907 bei einer Frankreich-Reise zusammen mit seiner Frau Amanda Mehrmann fotografieren - und so auf eine Postkarte montieren, daß das Paar mit sich selbst an einem Tisch sitzt. Eines der wenigen Fotos von Amanda Mehrmann übrigens.
Zum Glück sind noch verhältnismäßig viele Fotoalben gerettet worden, als 1943 die Dressurhalle, in der sich neben dem Geschäftszimmer des Parks auch das Archiv befand, abbrannte. "Geschäftsbücher sind leider viel weniger erhalten geblieben", beklagt Klaus Gille. Fragen nach Alltagsthemen, wer zum Beispiel damals das Heu lieferte, oder auch einfach nur, wer einst im Dienste des Tierparks stand, sind nur spärlich belegt.
Zu den Schätzen zählen somit die wenigen Besucherbücher Hagenbecks. "Geschlossen wegen Ausgehverbot" steht dort zum Beispiel unter dem 3. und 4. Mai 1945 vermerkt. Am 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation Deutschlands, strömten bereits schon wieder 364 Hamburger in den Tierpark - und das auch noch bei "Sauwetter", wie eine Bemerkung in der Spalte "Wetter" belegt. Himmelfahrt schließlich, am 10. Mai 1945, kamen bei sonnigen Wetter 1943 Menschen zum Tieregucken nach Stellingen.
"Carl Hagenbeck war die Außenwirkung des Tierparks immer sehr wichtig", sagt Gille und bezieht sich dabei auf alle Dokumente, die für den Tierpark werben sollten. Neben Tierparkführern, die, so Gille, "von Anfang an hochmodern mit Fotos und Anzeigen gestaltet wurden", gilt dieses besonders für die außergewöhnlichen Plakate. Eines der größten erhaltenen, sechs Quadratmeter groß, aus acht Einzelstücken zusammengesetzt, datiert von 1902, hängt unter der Decke des Archivs. Richard Sarvade, der König der Raubtiermanege, umrahmt von Eisbären, Tigern, Löwen und Bären.
Noch hatte er längst nicht alles gesichtet und katalogisiert. Dabei nähert sich das Jubiläum mit großen Schritten. "Die Neubauten dafür werde ich sorgfältig dokumentieren", sagt Gille. So sorgfältig, wie die Lieferung für die Erstausstattung des Zoos in Peking im Oktober 1907 festgehalten wurde: Für unter anderem ein Paar Riesenkänguruhs (1200 Mark), einen weiblichen Elefanten (7000 Mark), sechs Meerkatzen (240 Mark) und ein Werk Brehms Tierleben (150 Mark) inklusive Verschiffung stellte Hagenbeck 76 566,55 Mark in Rechnung.
erschienen am 28. Mai 2005 in Hamburg