Im Kino wackeln die Wände
Experten diskutieren über Zukunftsvisionen -
Cinestar will Fußballspiele in 3D zeigen
Berlin/ddp. In der Zukunft könnte der Kinobesuch einer Achterbahnfahrt
gleichen. Der österreichische Architekt Wolf D. Prix vom Büro COOP HIMMELB(L)AU
glaubt: «Sitze und Wände werden sich bewegen, es wird Projektionen auf allen
vier Wänden geben, man wird riechen können.» Ein solches Kino entwerfen Prix
und sein Team für Disneys «Tomorrowland» in Shanghai, zudem bauen sie in
Südkorea das Busan Cinema Center für das dortige Internationale Filmfestival
und waren für den UFA Kristallpalast in Dresden verantwortlich.
Am 14. Februar stellen Prix sowie Trendforscher und Filmemacher bei
der Berlinale ihre Pläne und Visionen für die Zukunft des Kinos vor.
Prix sagte im ddp-Interview, absolute Hightech-Kinos würden wohl zuerst in
Asien erprobt werden. In Europa sieht er die Kombination von privatem und
öffentlichem Raum als wichtigste Strategie der Zukunft. Kinos gehörten
«nicht auf die grüne Wiese, sondern ins Herz der Städte», forderte er.
Die Filmtheater müssten zum öffentlichen Raum ausgebaut und nicht nur abends
bespielt werden. Die Menschen sollten sich dort den ganzen Tag treffen können.
Auch der Vorstandsvorsitzende des Branchenverbandes HDF Kino, Thomas Negele,
sieht die Kinos künftig als «Medienwelten» mit vielen Erlebnismöglichkeiten.
«Es muss eine Welt sein, in die man reingeht und staunt», sagte er. Neben
einer entsprechenden Architektur will der Kinobetreiber die Lichtspielhäuser
mit Buchhandlungen, Internetpoints, gastronomischen Einrichtungen und
Angeboten für Kinder ausstatten. Außerdem plädiert er für ein Clubangebot.
In Interessenclubs könnten sich bestimmte Leute an bestimmten Tagen zu
bestimmten Filmen treffen, sagte Negele. «Es geht darum, dass man auf Dauer
so etwas wie eine Kinogemeinschaft bildet.»
Mit Blick auf die Visionen des Architekten Prix sagte Negele, dies könne
«in der einen oder anderen Form» auch in Deutschland kommen. «Der Kinosaal
wird irgendwann Requisite sein.» Zur Umsetzung solcher Pläne müssten aber
noch Wege der Finanzierung gefunden werden. Kino müsse den Spagat schaffen,
Neues zu bieten, aber auch bezahlbar zu sein - für Betreiber und Besucher.
Der Geschäftsführer der Kinokette Cinestar, Oliver Fock, sieht die Zukunft
des Kinos derweil weniger «in wackelnden Wänden». Es habe bereits Tests
mit 5D-Technik in Deutschland gegeben, was beim Publikum nicht angekommen
sei. «Das ist eher was für Freizeitparks», sagte der Kinomanager. Er setze
vielmehr «ganz stark» auf 3D-Filme und dreidimensionale Liveübertragungen,
die das Kino mittelfristig zum «Eventhaus» machten. Als Beispiel nannte
Fock Sportübertragungen, Konzerte und auch Theateraufführungen.
Er hoffe, dass schon die Spiele der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika
ab Juni von den Kinos in 3D gezeigt werden könnten. Derzeit werde darüber
mit dem Fußball-Weltverband FIFA verhandelt. Darüber hinaus sei die
Übertragung lokaler Fußballspiele oder ein Bundesliga-Samstag in den
Kinos denkbar. «Wir fangen jetzt langsam an zu testen», sagte Fock.
Auch Sportarten wie Formel-1-Rennen kämen in Frage: «Michael Schumacher
auf der großen Leinwand in 3D, das ist doch top», sagte der Kinochef.
Der Chef der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen, Horst W. Opaschowski,
fordert unterdessen eine stärkere Konzentration auf die Interessen der
sogenannten Generation 50plus. «Kinos sind bessere Jugendzentren geblieben»,
kritisierte er. Der demografische Wandel in der Gesellschaft habe in den
Kinos nicht stattgefunden. 73 Prozent der Jugendlichen gingen mindestens ein
Mal im Monat ins Kino, bei den über 50-Jährigen seien es dagegen nur 4 Prozent.
Opaschowski sagte, er sehe die künftige Attraktivität des Kinos weniger
in der technischen Aufrüstung, sondern eher im atmosphärischen und
gestalterischen Bereich. Er plädierte dafür, Kinos zu einem «Premiumprodukt»
zu machen. Dazu gehörten ein eleganteres Ambiente mit Restaurants und gutem
Essen, aber auch Serviceleistungen wie feste Stammsitzplätze für ältere
Besucher.
Mitteldeutsche Zeitung, Nadine Emmerich, 08.02.10
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