Höher, schneller, verrückter: Die spektakulärsten Achterbahnen der
Welt stehen in den USA - und kommen aus Süddeutschland.
Von Titus Arnu
Automatisch schließen die Haltebügel, der Wagen fährt mit einem leisen Summen an. Nach ein paar Metern schießt das Gefährt mit der Beschleunigung eines Formel-1-Wagens los und rast senkrecht in die Höhe. Oben, auf dem Scheitelpunkt 35 Meter über dem Boden, stoppt die Bahn fast ab und stürzt dann senkrecht in die Tiefe. Es folgen langgezogene Kurven und Über-Kopf-Fahrten. Nach einer knappen Minute fährt die Achterbahn zischend in den Bahnhof ein.
"Gut, nicht?" sagt Gerard Slenders, und klappt stolz den Deckel seines Laptops zu. Zum Glück war die Fahrt nur eine Computersimulation. Es wird einem schon schlecht vom Zuschauen. Bald wird der "Tower Coaster", den Slenders mit seinen Kollegen von der Entwicklungsabteilung der Firma "Zierer Karussell und Spezialmaschinenbau" in Offenberg entworfen hat, in einem Freizeitpark in Utah (USA) aufgebaut. Das Besondere an der innovativen Bahn: Die Wagen werden nicht mit einem Kettenaufzug in die Höhe gezogen, sondern mit neuem Antrieb auf 90 Stundenkilometer beschleunigt. Zudem ist die Achterbahn mit dem U-förmigen Turm so ausgelegt, dass die ganze Familie damit fahren kann - selbst Vier- bis Fünfjährige dürfen einsteigen, wenn sie sich trauen. "Die Passagiere des Tower Coaster erleben ein völlig neues Fahrgefühl, denn sie werden nicht mehr mit den gewohnten Schulterbügeln im Sitz gehalten, sondern nur noch mit Bein- und Bauchbügeln", schwärmt Slenders. Man kann das wunderbar finden. Oder auch Ekel erregend.Aaaaahhh!
Die Zentrale des organisierten Erbrechens liegt in Süddeutschland. Die besten und schnellsten Fahrgeschäfte der Welt kommen aus Bayern und Baden-Württemberg. Oktoberfest-Neuheiten wie das krakenförmige Foltergerät "High Energy", das die Passagiere in drei Richtungen durch die Luft wirbelt, oder das Turbo-Kettenkarussell "Wellenflug" stammen von der Firma Zierer aus Offenberg bei Deggendorf. Das Familienunternehmen Gerstlauer aus Münsterhausen bei Augsburg und der Münchner Stahlbau-Spezialist Maurer Söhne gehören ebenfalls zu den führenden Achterbahn-Herstellern. Geliefert wird meist in die USA. Hauptkunden der Firma Zierer sind Freizeitparks wie Disneyland, Universal Studios oder Legoland.
"El Toro" zum Beispiel, eine 1390 Meter lange Holzachterbahn mit abenteuerlichen Hügeln und 290 Metern Höhenunterschied, wurde vom Ingenieurbüro Stengel in München-Forstenried entworfen und steht im Six Flags Great Adventure Park in New York. Auch die derzeit schnellste Achterbahn wurde in München konstruiert. "Kingda Ka" katapultiert die Fahrgäste 140 Meter in die Höhe - und lässt sie dann senkrecht in die Tiefe rasen. Die Bahn wird für wenige Sekunden bis zu 200 Stundenkilometer schnell.
Die Leute wollen das so. Schausteller und Fans verlangen nach immer neuen Thrills. Technisch wäre es möglich, eine Achterbahn so schnell zu beschleunigen, dass die 15-fache Erdbeschleunigung (15G) auf den Körper wirkt. Das Problem ist der Mensch. Bei 6G kann Nasenbluten auftreten, bei 8G sind Knochenbrüche zu befürchten, bei 10G fällt man in Ohnmacht. Bei 14G stirbt man. In Deutschland darf bei Fahrgeschäften deshalb ein Grenzwert von 5G nicht überschritten werden.
Bei Achterbahnen der Firma Zierer treten Belastungen von höchstens 3 bis 4 G auf. Die Fahrgäste sollen zwar ein Kribbeln im Bauch spüren, aber Gesundheitsrisiken müssen ausgeschlossen sein. "Sicherheit spielt die Hauptrolle", sagt Zierer-Geschäftsführer Wolfgang Brück, "dafür zahlen die Kunden gerne auch ein bisschen mehr." Die Firma Zierer setze vor allem auf Familien-Fahrgeschäfte "im mittleren Preissegment" zwischen 200 000 bis zwei Millionen Euro, sagt Geschäftsführer Wolfgang Brück. Eine innovative Achterbahn wie der "Tower Coaster" allerdings kommt auf 5 bis 6 Millionen Euro. "Mega-Coaster" wie "Kingda Ka" kosten 15 bis 20 Millionen Euro.
Die Entwicklung einer neuen Bahn dauert drei Monate bis ein Jahr, in Offenberg arbeiten 40 Leute an der technischen Planung und der künstlerischen Gestaltung, gefertigt wird in Tschechien, montiert und getestet vor Ort. Auf einem kleinen Testgelände in der Zentrale werden nur Teile von neuen Bahnen aufgebaut; derzeit schweißen Arbeiter gerade den Start des "Tower Coaster" zusammen, um die neue Antriebstechnik auszuprobieren, natürlich ohne Passagiere.
Ooooohhh!
Warum sind bayerische Bahnen weltweit so erfolgreich? Zum einen stammen viele Innovationen für Achterbahnen aus dem Süden Deutschlands, zum anderen sind die Sicherheitsstandards tonangebend in der Branche. Der Münchner Ingenieur Werner Stengel setzt seit den sechziger Jahren Maßstäbe, er baute den ersten Fünfer-Looping und erfand die "Herzlinie", die den Schwerpunkt in die Mitte des Körpers verlagerte. Dadurch wurden immer spektakulärere Bahnen möglich. Selbst Neunfach-Loopings sind technisch machbar. Aber wer will noch damit fahren? Und wer soll das bezahlen? "Wir werden keine 20 Millionen Dollar teuren Achterbahnen mehr bauen", sagt allerdings Mark Shapiro, Chef der Six-Flags-Parks, "das Konzept der gigantischen Megacoaster hat sich überholt." Megacoaster sind mehr als 120 Meter hoch und bis zu zwei Kilometer lang, sie haben allerdings den Nachteil, dass sich zu wenige Menschen noch trauen, damit zu fahren, sodass sie sich kaum rentieren. Die Bahnen der nächsten Generation sollen genauso viel Nervenkitzel bieten - dank intelligenter Konstruktion statt plumper Materialschlacht. Der gleiche Thrill auf weniger Fläche - und dazu familientaugliche Fahrvergnügen. Dazu gehören superenge Kurven, Überkopffahrten und das Gefühl zu schweben.
Diesen Moment, wenn die Achterbahn gerade über den höchsten Punkt fährt, kurz bevor es rasend schnell abwärts geht, nennt der Fachmann "Airtime". Beim "Tower Coaster" wird die Schwebe-Simulation besonders intensiv zu spüren sein - für 0,3 Sekunden.
(Süddeutsche Zeitung Ausgabe vom 26.9.06)
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