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Lipperswil - auf halbem Weg nach Las Vegas
07-Jul-04, 12:49 Uhr ()
Moin
Ein Artikel aus der NZZ über den Ort Lipperswill, verbunden mit einem Portrait des Connyland. Der Rest dreht sich dann um den Golfplatz, ich hab die Absätze jedoch im Artikel gelassen...

Lipperswil - auf halbem Weg nach Las Vegas
Panoptikum der Freizeitgesellschaft am Thurgauer Seerücken

Es riecht nach frischem Heu, Weizenfelder glänzen golden in der Morgensonne, da und dort grasen Milchkühe. Am Südabhang des Seerückens, auf der Hauptstrasse 1, keine 20 Kilometer von Kreuzlingen und Bodensee entfernt, ist die Landschaft weit und grün. Und obwohl kaum Obstbäume auszumachen sind, befinden wir uns noch immer im Thurgau, allerdings schon ein wenig «dihinne». Wer am Bodensee wohnt, richtet den Blick schliesslich über das Wasser. Was vom Seerücken landeinwärts liegt, ist der Rest: Las Vegas, Paris, Bern, Lipperswil - alles «dihinne», alles andere Welten.

Conny-Landschaft
Abrupt ändert sich das Bild: Fahnenmast reiht sich an Fahnenmast, die Äcker gehen in ein riesiges Parkfeld über, die hintere Seite von Disco- und Theaterschuppen, das Dach eines Zirkuszelts, der Mast einer Riesenschaukel. An der Strasse eine zehn Meter hohe, knallbunte Tafel, von der Delphine grinsen und Monsieur Larott, der Magier mit den Panthern. Conny-Land, täglich geöffnet von 9 bis 18 Uhr, bei jeder Witterung. Wir sind angekommen in Lipperswil, und Lipperswil ist Conny-Land. Für 24 Franken ist man drin im Spass-Paradies. «Viel Geld», schimpft ein Familienvater an der Kasse. «Wenig für all das, was wir bieten», sagt der alte Conny Gasser, Akrobat, Clown und Zirkusunternehmer, der vor 25 Jahren hier den ersten Freizeitpark der Schweiz gegründet hat. Offenbar hat er recht: Jedes Jahr ziehen die Delphine 300 000 Besucher an.

Mirko findet den Star-Trip-Simulator am coolsten, Xhendrim stürzt sich mit Vorliebe mit dem Plastic-Einbaum über die Stromschnellen der Wildwasserbahn, Tasneem hat nur noch Augen für das Pony, auf dem sie gleich reiten wird, ihr kleiner Bruder tobt sich in der aufblasbaren Hüpfburg aus, Pedro schaut gebannt, wie Papageienmutter Georgeta einen ihrer gefiederten Schützlinge dazu bringt, auf einem kleinen Velo über die Bühne zu pedalen. Ostschweizer Dialekt hört man selten, dafür umso mehr Serbokroatisch oder Spanisch, Albanisch oder Tamil. Die chinesische Pagode steht neben dem Zirkuszelt, der römische Triumphbogen markiert den Eingang zur karibischen Delphin-Lagune mit ihren Plasticpalmen, aus deren «Kokosnüssen» Opernouverturen rieseln, der Souvenirshop im Bonanza-Look kontrastiert mit den Türmchen des mittelalterlichen «Château Revue Theater». Die Beliebigkeit entspricht dem Publikum, das ja nicht, wie etwa einst an der Expo 02, den Anspruch hat, sich bewusst mit irgendwelchen Werten zu identifizieren. Es will Abwechslung, Spass, Zeitvertreib und will vor allem die Delphine sehen. - Die Meeressäuger sind noch immer der wichtigste Besuchermagnet. Mit ihnen hat hier alles begonnen. Die Idee stammte von Conny Gasser, den Anstoss dazu hatte seine Frau gegeben: Sie sei einfach müde gewesen vom Herumreisen, erzählt die frühere Akrobatin. In den 1950er und 1960er Jahren waren sie und ihr Mann als weltbekanntes Trapez- Duo unterwegs, das sein Publikum unter anderem in Monte Carlo, Paris, Moskau und London fand. Die erste Delphin-Vorführung hatte Gasser in Miami gesehen. Die Flippershow am Fernsehen verhalf den ewig lächelnden Tieren damals zu ungeheurer Popularität, erinnert er sich. 1969 studierten die Gassers ihre erste Delphinnummer ein, 10 Jahre später wurden sie sesshaft, eröffneten den ersten Freizeitpark der Schweiz, und zwar dort, wo das Domizil des Gasser'schen Familienzirkus Royal lag: in Lipperswil.

Provisorisch zuerst, denn Gasser war sich nicht sicher, ob genügend Leute den Weg in die Provinz an der Peripherie finden würden. Und wie sie ihn fanden. 100 000 waren es in der ersten Saison. Aus dem Provisorium wurde im Lauf der Jahre ein ausgewachsener Freizeitpark, nicht einfach ein kleines Disneyland, sondern ein bunter Mix aus Sea World und Variété, aus Chilbi und Disco; die Zirkustradition wurde den Vorlieben der Spassgesellschaft angepasst. Die ganze Familie Gasser arbeitet im Conny-Land, und ihr Personal ist bunt gemischt. Aus Marokko und Polen, aus Rumänien und Malaysia kommen die Angestellten. Der Freizeitpark sei eine Art Uno, bloss mit mehr Herz und etwas kleiner, wie die Schweiz, sagt Gasser. Und mittendrin wohnt er, wie er das von seinem Zirkuswagen her gewohnt ist. Das mit dem Herzen sieht der Schweizer Tierschutz allerdings anders. Kürzlich hat er wieder einmal Strafanzeige erstattet, weil im Conny-Land Leoparden «für eine fragwürdige Bühnenshow missbraucht» würden. - Lipperswil hat freilich mehr zu bieten als nur das Conny-Land. Auch in der besseren Gesellschaft steht der Name für ein Freizeitvergnügen. Das Thurgauer Nest ist eine der ersten Adressen für Golf. Manager Ian Gibbon empfängt den Gast auf der Sonnenterrasse des Klubhauses. Daneben üben sich Spieler in Shorts im Abschlag, ziehen ihre Wägelchen über den sattgrünen Rasen, begleitet von Gekreische und Gedröhne, das aus dem benachbarten Fun-Park herüberschwappt. Der Blick fällt auf das sanft gewellte Gelände, auf die verschneiten Alpen im Hintergrund, auf Wiesen mit Wildblumen und auf Teiche. «Ökologischer als moderne Landwirtschaft, weniger Dünger und weniger Pestizide pro Hektare», erklärt der Brite aus Birmingham. Hamburg, Würzburg, Indonesien, London, Lipperswil sind die Stationen seines Berufslebens: Golf ist so international wie Zirkus.

Eine grosse Nummer im Golf-Zirkus
Das Areal ist riesig. 100 Hektaren, 27 Loch, der Platz ist einer der grössten in der Schweiz. Er erstreckt sich über beide Seiten der Hauptstrasse, die von den Spielern durch einen Tunnel unterquert wird. Ein gigantisches Netz hält die Golfbälle davon ab, den Verkehr auf der benachbarten Autobahn zu beeinträchtigen. Rund 700 Mitglieder zählt der Lipperswiler Golfklub vier Jahre nach seiner Gründung schon. Trotzdem scheint jeder jeden zu kennen, vor allem aber Gibbon und Roman Ochsner. Ochsner, ein gross gewachsener Mann, ist der Initiant des Lipperswiler Golfplatzes. Sein Büro neben dem Golfklub ist von Architekturmodellen überstellt. Noch immer hat der 70-Jährige Pläne, wie schon sein ganzes Leben lang. In Zürich ist er aufgewachsen, als Sohn eines Coiffeurs, wie er erzählt. Hatte dann auf dem Strickhof gelernt, wie man damals Land bebaute, bevor es ihn nach Amerika zog, wo er sich als Arbeiter auf Farmen von New York bis Kalifornien durchschlug. Zwei Jahre später war er wieder in der Schweiz. Er wollte lieber in die Rekrutenschule als in den Koreakrieg.

Danach hat er den Gutshof seines Vaters in Lipperswil übernommen, denn der hatte sich in der Zwischenzeit auf das Schneiden von Gras verlegt. Milchwirtschaft, dann immer mehr Schweinezucht war sein Metier. Ochsners Büro hat gekachelte Wände wie ein Labor. Hier hätten sie die Spermien, die sie ihren Ebern jeden Morgen «abernteten», verpackt und für die künstliche Besamung in die ganze Schweiz verschickt, erzählt Ochsner. Dann änderte die Landwirtschaftspolitik, die Schweinebestände wurden beschränkt, Ochsner musste einen Teil seiner Zucht aufgeben. Das neue Tierschutzgesetz hätte weitere Investitionen notwendig gemacht. Die Preise waren im Keller, Ochsner sah keine Zukunft mehr. Ein Kollege brachte die Idee auf, einen Golfplatz zu bauen. Es dauerte dann noch sieben Jahre, bis alles bereit und ein Investor gefunden war. Club Corp, der weltgrösste Golfplatzbetreiber, mit 250 Plätzen «dihinne», wie Ochsner anmerkt, stieg in das 17-Millionen-Franken-Projekt ein, und im Jahr 2000 konnte der neue Platz eröffnet werden.

Bauern gibt es in Lipperswil seither keine mehr. Sie haben ihr Land in langfristigen Pachtverträgen den Golfern abgetreten. Einige halten heute als «Greenkeeper» das Spielgelände in Schuss. Bloss Roman Ochsners alter Schweinestall steht noch. Ochsner will daraus eine Wohnresidenz mit Wellnessbereich für 70 bis 80 Personen machen. Er träumt von wohlhabenden Nordländern, die auf dem Lipperswiler Golfgelände ihre Jahre als «Jungsenioren» verbringen. Vielleicht kommen sie ja tatsächlich, fühlen sich wohl hier, wo die Leute in getrennten Welten nebeneinander leben. Das war schon so, bevor Conny Gasser und Roman Ochsner ihre Pläne umsetzten. Lipperswil ist nämlich eine kleine Streusiedlung ohne erkennbaren Dorfkern. Nie habe sich eine verschworene Dorfgemeinschaft entwickelt, die äussere Einflüsse abgewehrt hätte, sagt Gemeindeammann Karl Möckli. So habe es kaum Widerstand gegen die Freizeitparks gegeben, die Lipperswil so radikal verändert haben wie kein zweites Dorf im Thurgau.

Die grösste und älteste Kolonie
Und doch habe unter der neuen Oberfläche noch manch Herkömmliches Bestand, stellt Hansruedi Lees fest, der reformierte Pfarrer an der kleinen Dorfkirche, in deren Friedhof wohl hin und wieder ein Golfball landet. Lipperswil und die umliegenden Dörfer gehörten zusammen. Der kleinbäuerliche Geist sei noch da, man kenne sich, treffe sich in Vereinen, selbst alte Feindschaften hätten überlebt. Überlebt haben auch die Fledermäuse, die im Dachgebälk der kleinen, 1207 erbauten Kirche hängen. Ihr Freizeitpark ist der Lipperswiler Nachthimmel. Sie schwärmen aus, wenn im Conny-Land Ruhe eingekehrt ist und die Golfer ihre Schläger eingepackt haben. Die 400 «Grossen Mausohren» sind und bleiben zahlenmässig die stärkste Kolonie in Lipperswil. Vielleicht auch die älteste? Jedenfalls wohnen sie etwas abseits der Hauptstrasse, dort, wo dem Hörensagen nach die alte Römerstrasse nach Pfyn durchgeführt hatte.

Caspar Heer

Eine Reise in der NZZ von Kreuzlingen nach Perly (Genf).

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