Ewig locken die Rekorde
Schneller, aufregender, erfolgreicher: Mit millionenschweren Investitionen
und Angeboten für Senioren trotzen die Phantasiewelten der Wirtschaftskrise.
In der Kurve klammern sie sich mit aller Kraft fest.
Der Fahrtwind treibt Tränen in die Augen. Seufzer, Glücksschreie,
Freudentränen – die Achterbahnfahrt der 40 Senioren Ende 2007 im Heide-Park
Soltau schrieb Geschichte und wurde als Weltrekord ins Guinness-Buch der
Rekorde eingetragen, denn das Durchschnittsalter der Gäste im „Grottenblitz“
betrug 80,1 Jahre. Damit stellten die Soltauer Senioren ihre englischen
Altersgenossen aus dem britischen Brighton in den Schatten, die bisher mit
einem Durchschnittsalter von 75 Jahren den Titel innehatten.
Durchschnittlich 80,1 Jahre alt waren diese Gäste, die sich vor
drei Jahren auf die Achterbahn im Heide-Park Soltau wagten.
Foto: Heide-Park Soltau
„Die Männer kommen mit 89 Jahren noch einmal richtig in Fahrt“, scherzt
Klaus Müller vom Soltauer Heide-Park. Der Marketingexperte arbeitet mit
Sozialverbänden zusammen und wirbt seit 2005 verstärkt um die Zielgruppe
der älteren Kunden. Für Besucher ab 60 Jahre ist die einmal gekaufte
Tageskarte zum Preis von 34 Euro zwölf Monate lang gültig. „Die Senioren
kommen bei jedem Wetter“, schwärmt Müller. „Man darf sie nicht in die Ecke
stellen und sagen, die fahren keine Achterbahn“, fügt er hinzu, „dann
werden die grimmig.“
Genau 71 Freizeitparks gibt es in deutschen Landen, und immer mehr von
ihnen entdecken die Zielgruppe der rüstigen Rentner. So wirbt der
Hansa-Park in Sierksdorf unter dem Motto „Im besten Alter“ mit Spaziergängen
vor historischen Kulissen und in ausgedehnten Parkanlagen um grauhaarige
Kundschaft. Auch im Phantasialand bei Köln wird die Zielgruppe mit Rabatten
und speziellen Angeboten umgarnt. „Wir haben die Best Ager im Blick“,
bestätigt Joachim Kamlot von der Unternehmenskommunikation. Viele seien
schon in ihrer Jugend durch den Park gepilgert und kämen jetzt mit den
Enkelkindern zurück. „Man sollte die älteren Herrschaften nicht
unterschätzen, die fahren auch Achterbahn“, sagt Kamlot.
Die Begeisterung für Safaris kennt ebenfalls keine Altersgrenze.
„Wenn wir Kegelvereine und Landfrauen anschreiben, wenden wir uns
bewusst an ein älteres Publikum“, erklärt Serengeti-Park-Sprecher
Jochen Lohmann. Die zehn Kilometer lange Route durch das Gehege mit
Elefanten, Giraffen, Nashörnern, Tigern und Zebras kann entweder mit
dem eigenen Auto oder im Serengeti-Bus abgefahren werden. „Wer nicht
laufen will, kann trotzdem etwas erleben“, so Lohmann. Im Europa-Park
im badischen Rust ändert sich das Durchschnittsalter je nach Jahreszeit.
„Im Winter, wenn alles ruhiger ist und der Park weihnachtlich mit rund
2000 Tannenbäumen geschmückt ist, kommen mehr ältere Besucher als
im Sommer“, erklärt Parksprecherin Diana Reichle.
Verkehrte Welt: Weder der gefürchtete Geburtenrückgang noch die
Wirtschafts- und Finanzkrise bereiten den deutschen Disneylands Probleme.
Im Gegenteil: Die Besucherzahlen steigen. Mit Investitionen in Hotels
und Gastronomie gelang es, den Besuch in einem Freizeitpark von einem
Tagesausflug in einen Kurzurlaub zu verwandeln. „Von der Krise haben
wir nichts gemerkt“, bestätigt Ingrid Heik vom Hansa-Park in Sierksdorf.
Auch die Konkurrenz aus Rust und Brühl verbucht 2009 als ein
„sehr gutes Jahr“. Die Merlin Entertainments Gruppe, zu der unter anderem
die Parks Legoland, Sea Life, Dungeon, Madame Tussauds und der Heide-Park
gehören, behauptete ihre Position als größter Freizeitanbieter in Europa.
In den Serengeti-Park in Hodenhagen strömten 2009 rund 20 Prozent mehr
Besucher als im Vorjahr.
„Die Deutschen machen vermehrt Urlaub im eigenen Land“, erklärt Sven
Trommershausen, Geschäftsführer des Panorama-Parks Sauerland Wildpark.
Nach dem Besitzerwechsel und einer Neuausrichtung Ende 2007 kam auch
der kleine Natur- und Erlebnispark in den Genuss des allgemeinen
Branchenbooms. Trommershausen gab das Fahrgeschäft auf. Statt
Achterbahnen setzte er auf Spielattraktionen für die kleineren Kinder
wie Hüpfburgen, Riesentrampolins, Rutschen und Rodelbahnen.
Der Wildpark wurde ausgebaut, mehr Tierfütterungen wurden angeboten
und die Eintrittspreise auf 9,90 Euro gesenkt.
Rund 15 Millionen Besucher kamen im vergangenen Jahr in die deutschen
Freizeitparks. Unangefochtener Marktführer ist mit mehr als vier
Millionen Gästen der Europa-Park in Rust, gefolgt vom Phantasialand
in Brühl mit rund zwei und dem Soltauer Heide-Park mit rund
1,6 Millionen Besuchern. Die Anziehungskraft der Phantasiewelten ist
allerdings kein deutsches Phänomen: So verzeichnet Disneyland Paris
mit jährlich zwölf Millionen Gästen mehr Besucher als die
skandinavischen Länder Schweden, Dänemark und Norwegen zusammen.
Das Erfolgsgeheimnis der bunten Phantasiewelten ist die Jagd nach
Superlativen und Innovationen. So präsentierte der Hansa-Park zum Auftakt
der Saison unter anderem seine neue Achterbahn „Fluch von Novgorod“, die
in 1,4 Sekunden von null auf 100 Stundenkilometer beschleunigt.
Der Vogelpark Walsrode, der 2009 vor der Insolvenz stand, wurde dank einer
Finanzspritze des belgischen Gartenunternehmens Floralux in Höhe von fünf
Millionen Euro im März dieses Jahres wiedereröffnet und lässt seine 650
verschiedenen Vogelarten erstmals von Parkrangern vorstellen.
Der Serengeti-Park punktet mit einer neuen Aqua-Safari, die Gäste in
einem Luftkissenboot, das bis zu 50 Stundenkilometern erreichen kann,
durch eine afrikanisch gestaltete Landschaft peitscht. Im Tropical
Islands im brandenburgischen Halbe gibt es nach eigenen Angaben mit
27 Metern Höhe Deutschlands größte Wasserrutsche. Der Europa-Park in
Rust trumpfte bereits 2009 mit der modernsten Looping-Achterbahn
Europas, genannt „Blue Fire“, auf. Die Mammutinvestition in Höhe von
20 Millionen Euro von Parkchef Roland Mack geschah mit freundlicher
Unterstützung des russischen Energiekonzerns Gasprom, Hauptsponsor
des Parks.
Der Heide-Park in Soltau strebt schon wieder einen neuen Weltrekord
an: Am 29. Mai soll dort in der Bucht der Totenkopfpiraten eine Mannschaft
mit 1670 Piraten geschlagen werden. „Wenn es uns gelingt, mithilfe unserer
Gäste diese Zahl zu toppen und die Auseinandersetzung zu gewinnen, kommen
wir erneut ins Guinness-Buch der Rekorde“, hofft Geschäftsführer
Hannes W. Mairinger. Bisheriger Titelverteidiger ist das „Portland Pirate
Festival“ in Oregon, wo am 20. September 2009 genau 1670 Besucher an der
Schlacht teilnahmen. Die Chancen stehen gut. Denn wenn dieses Mal die
Senioren aus Soltau im Piratenkostüm anrücken, dann ist nicht nur die
Schlacht gewonnen, sondern auch ein zusätzlicher Weltrekord sicher.
© Rheinischer Merkur Nr. 19, 13.05.2010
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