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Der Wurschtl geht in PensionSeit mehr als zwei Jahrhunderten gibt es den Wurschtlprater, ein einzigartiges Areal zur Volksbelustigung. Mehr als sieben Millionen Besucher pro Jahr sind von dem Vergnügungspark fasziniert. Jetzt soll der Prater modernisiert und ein Themenpark nach internationalem Vorbild werden.
Wenn ein echter Wiener seine Dämonen äußerln führt, dann tut er das am liebsten im Wiener Wurschtlprater. Das war schon früher so – und heute ist es noch genauso. Dort kann er die feixenden Begleiter seiner goldenen Seele bei schönem Wetter von der Leine lassen, und niemand nimmt’s ihm übel. Eine Runde mit der Liliputbahn (die heuer 75 Jahre alt wird und um ihre Zukunft bangen muss), hoch hinaus mit dem Riesenrad, mindestens ein Bier im „Schweizerhaus“ und dann eine Plastikrose für die Angebetete schießen – das ist die pure Entspannung. Die blanke Therapie. Das ist Wien in einem anderen Weltteil.
Der Wurschtlprater ist seit jeher das Revier der Dämonen von Wien, und auch sein Namensgeber – der Wurschtl höchstpersönlich – war ursprünglich einmal ein Dämon namens Hellequin (der Führer des Totenheeres) mit äußerst teuflischen Eigenschaften, bevor in der Theatergeschichte von ihm Notiz genommen wurde.
„Kein vernünftiger Mensch kann Wohlgefallen an solchen pöbelhaften Possen haben“, ereiferte sich 1835 der Wiener Schriftsteller Leopold Chimani. „Und doch ist immer ein Haufen Volkes um die Bude versammelt, um diese Erbärmlichkeiten zu schauen, und nicht selten führen schwachsinnige Eltern auch ihre Kinder dahin und bedenken nicht, wie viel sie ihnen durch dieses pöbelhafte Schauspiel schaden.“
Tatsächlich: Was die kleinen Guckkastenbühnen mit ihren Marionetten dem Praterpublikum früher als Schauspiele der leichten seichten Unterhaltung servierten, darf durchaus als Wurzel heutiger Horror- und Gewaltvideos gesehen werden und war zunächst keineswegs für Kinder gedacht, denn für den Wurschtl war für die rabiate Durchsetzung seiner Ziele die spitze obszöne Zunge genauso wichtig wie der massive Schlagstock oder die Bratpfanne, mit denen er seinen Feinden ziemlich haltlos zu Leibe rückte. Nicht nur das Krokodil musste immer wieder stellvertretend daran glauben, der Wurschtl verprügelte unter Gelächter des Publikums auch gerne und oft den Jud’ – und zwar lange bevor die Nazis in Österreich einmarschierten. In Wien ist die Freizeitgestaltung halt oft mit einer Hetz’ verbunden, man meint’s ja nicht bös’, das Leben ist kein Wunschkonzert, wir werden keinen Richter brauchen, und irgendwo müssen die muffigen dunklen Seiten der Wiener Seele ja ans Licht gebracht und gut gelüftet werden, damit sie tief drinnen im Selbst nicht so quälend an der (im Prinzip zum Guten neigenden) Menschlichkeit nagen.
Der Wiener Wurschtlprater war in seinen Anfängen ein weltweit einzigartiges Terrain der Volksbelustigung, in dem unter dem strengen Auge des Gesetzes vieles erlaubt wurde, was in anderen Bereichen streng verboten war. Und es ist kein Wunder, dass der alte Geheimrat Goethe im fernen Deutschland bei seiner faustischen Hexenszene in der Walpurgisnacht anmerkte, es gehe darin „so lustig zu wie im Prater“.
Der aufgeklärte Kaiser Josef II. war kein Wurschtl, er wusste ganz genau, dass das Volk ein Ventil braucht, wenn die herrschende Ordnung der Monarchie nicht durch allzu großen Druck von innen ins Wanken geraten sollte, und er gestattete deshalb am 7. April 1766 gegen das Murren einflussreicher Herrschaften dem einfachen Volk ganz offiziell die freie Nutzung eines ansehnlichen Areals zum reinen Vergnügen. Graf Johann Fekete de Galantha notierte damals: „Da Josef II. den Geschmack seines Volkes genau kennt, hat er erlaubt, dass man eine Unmenge von Kaffeehäusern, Weinbuden und Kneipen errichtet. Denn er weiß, dass man den Wienern Gelegenheit bieten muss, ihrer Esslust zu frönen.“
Bereits nach kurzer Zeit hatten sich im Prater 66 Wein-Wirte, 46 Bier-Wirte und „allerhand Kaffeesieder, Lebzelter, Fleischselcher“ angesiedelt. Die Errichtung eines Theaters wurde hingegen untersagt. Am 1. Mai 1766 bekam der Sprachlehrer Johann Damen die Erlaubnis, Hutschen „nach niederländischer Art“, ein Ringelspiel und eine mechanische Schlittenfahrtbahn zu errichten. Chronisten in ganz Europa berichteten amüsiert über den Wiener Prater und seine seltsamen Schausteller: „Da ist ein ehemaliger Schneider, der, weil’s mit der Profession wahrscheinlich nimmer recht gangen ist, drei Gasböck kauft hat. Zwei spannt er vor ein Wagerl und einer ist zum Reiten angschirrt, und da hat er seine zwei Buben angstellt, die da die kleinen Kinder herumführen oder reiten lassen.“ Und man war allgemein „erstaunt über die große Consumption an Geflügel, Würsten, Kuchen, Brot; eine ganze Armee könnte mit dem gespeist und getränkt werden, was hier an einem schönen Sommertag verzehrt wird.“
Riesen, Zwerge, Zugereiste. Dieses Konzept war durch und durch Wienerisch – und es war ein Erfolg. Man vergnügte sich im Grünen. Und natürlich gab es Musikanten und Tanzböden, Zauberer, Wahrsager, Riesen und Zwerge – und jede Menge „Zugereiste“ aus allen Ecken und Enden der Monarchie.
1872 wurde im Vorfeld der Weltausstellung eine Modernisierung beschlossen. Mit Lineal und Zirkel und mit jeder Menge Schotter wurde aus dem alten der neue Prater geformt, man wollte das zutiefst Wienerische internationaler machen – und das war keinesfalls eine glückliche Fügung, weil den neuen Prater niemand haben wollte. „Oje! Do schaut’s aus! Traurig, mein Gott, traurig. Schön angstrichen sind die neuchn Hütten, des is wahr, aber zug’sperrt sind die meisten, und die paar, die no offen haben: fast lauter fremde G’sichter...“
Erst als der Prater wieder zu seinen Wienerischen Wurzeln zurückfand und die Besucher das Moderne auf ihr Niveau brachten, war der Prater wieder das, was er früher einmal war: einzigartig. Und Wienerisch. Und ein Ort, an dem die Kinder große Augen haben. Vielleicht sind die Hochschaubahnen nicht auf dem neusten Stand, vielleicht ist die Tristesse der Spielhallen eine Schande, vielleicht erinnert der Prater in manchen Nischen an die Dritte Welt. Aber es ist eben der Prater von Wien. Und nur weil etwas Neues gemacht werden soll, heißt das noch lange nicht, dass es dadurch auch schon gleich besser wird. Das sei hier in erster Linie deshalb erwähnt, weil schon wieder einmal eine von der Politik verordnete Modernisierung des Praters ansteht wie ein fälliger Wechsel. Ein sogenannter Themenpark auf internationalem Niveau soll der Prater in den nächsten Jahren werden, das hat Emmanuel Mongon, französischer Geschäftsführer der Firma „Imaginvest“ vor kurzem auf einer Pressekonferenz verkündet. Eintrittsgelder wird man bezahlen müssen, es soll mehr Besucher geben, die mehr Geld ausgeben. Und überhaupt, und überhaupt...
Die Franzosen wissen zwar ganz genau, dass weltweit die Themenparks mit Besucherschwund und Konkursverfahren zu kämpfen haben, doch ausgerechnet in Wien hat man diesbezüglich keine Ängste. Und den Auftrag zur Erstellung eines Masterplans haben sie von der Gemeinde Wien schon erhalten.
„Der Prater ist weltweit die älteste noch in Betrieb befindliche Freizeitanlage und eine der größten Europas“, sagt Wiens Vizebürgermeisterin Grete Laska. „Wir haben die Vision, dem Prater den Platz wiederzugeben, der ihm zukommt – nämlich wieder eine der führenden Freizeitanlagen der Welt zu werden.“
Na, schau’n ma mal... Man darf ja nicht vergessen, dass es auf der ganzen Welt kein einziges Projekt gibt, das nicht schon mindestens einmal in Wien gescheitert wäre. Und schließlich stellt sich auch die Frage: Wo werde ich ab 2006 meine Dämonen äußerln führen?
(c) Die Presse, 14. August 2003
Now I will raise the safety bar and a ghost will follow you home