Moin
Er wird mich hassen, aber gehört ja schließlich zum Thema *fg*
Ein Artikel aus der NRZ Dinslaken vom 10.05:Verrückt auf jeden Fall
ACHTERBAHN / Jens Scheberg reist tausende Kilometer für den schnellen Kick: Der Dinslakener ist in den vergangenen Jahren mit rund 500 Achterbahnen gefahren. Im Schnitt zehn Mal.
DINSLAKEN. Es ist der Thrill, sagt Jens Scheberg. Der Kick, in weniger als vier Sekunden von Null auf 200 Kilometer pro Stunde zu rasen. Die Schwerelosigkeit, wenn es ihn senkrecht auf 130 Meter Höhe katapultiert. Der freie Fall nach unten, die Arme hoch, die Augen weit aufgerissen, der Mund verzerrt zum Schrei. Jens Scheberg fährt Achterbahn. Mit dem Kopf. Mit den Gefühlen. Ständig auf Achse, auf der Suche nach dem Kick, dem Thrill. Der 34-jährige Dinslakener fliegt tausende Kilometer, um Achterbahn zu fahren. Immer schneller, immer höher, immer mehr. Ist der Mann verrückt?
Er ist es.
Verrückt auf Tempo, verrückt auf Nervenkitzel, verrückt auf jeden Fall. Wo andere schon leiden, wenn sich der Magen allein beim Anblick von Loopings und steilen Abstürzen aus schwindelnden Höhen umdreht, entspannt sich Scheberg: "Sobald ich in den Wagen einsteige, schalte ich ab." Urlaub am Strand, ein Buch in der Hand? "Da denk´ ich doch nur irgendwann an die Arbeit." Beim Achterbahnfahren "hast du aber am Ende ein Glücksgefühl, das fast mit nichts vergleichbar ist". Höhe, Geschwindigkeit und die Belastung von bis zu sechsfachem Körpergewicht faszinieren ihn.
Es passt zu Scheberg, dass seine Leidenschaft mit einem Versehen beginnt. Als zwölfjähriger Junge steigt er im Phantasialand in Brühl in die verkehrte, 40 Meter hohe Bahn. Einmal drin, gibt´s kein Zurück mehr - aber Folgen: Auf jeder Kirmes, in jedem Freizeitpark stellt sich der kleine Jens in die Schlange an, für ein paar Sekunden Durchschütteln nimmt er inzwischen stundenlange Wartezeiten in Kauf. Dass Störungen der hochtechnisierten Bahnen schon zu tödlichen Unfällen führten, verunsichert einen Fan nicht: "Du musst volles Vertrauen in die Technik haben. Nur wenn Du nicht verkrampfst, hast Du Spaß dabei."
1987 kommt Jens Scheberg ins Paradies für Freaks: Die USA. In der Nähe von Los Angeles besucht er einen Freizeitpark, der sich auf Coaster spezialisiert hat - damals ein halbes Dutzend, heute stehen dort 16 Achterbahnen. In Amerika knüpft der Dinslakener zwei Jahre später Kontakt zu einem Achterbahn-Verein: Weltweit hatten die "American Coaster Enthusiasts" damals etwa 4500 Mitglieder, davon 4000 in den USA, in Deutschland etwa ein Dutzend.
Aber es gab Hoffnung: Der "FKF Freundeskreis Freizeitparks" hat seit etwa fünf Jahren rund 60 Mitglieder, die sich überall treffen, Freizeitparks besuchen, Achterbahn fahren. "400 bis 500" hat er getestet, im Schnitt jede zehn Mal.
Ein teurer Spaß, weil allein der Eintritt in den Freizeitparks ein tiefes Loch in die Kasse reißt. Scheberg macht sich mit FKF-Freunden daran, aus dem Hobby Geld zu machen: Der Geschäftsführer der Hiesfelder Firma divicom, die Fernsehsender mit Videoequipment versorgt, produziert ein Video. Im Heide Park Soltau, der Warner Brothers Movie World, Europa Park Rust, in Italien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden entsteht "European Coaster Thrills", eine Liebeserklärung an "die zwölf herausragenden Achterbahnen Europas".
Scheberg entwickelt eine Halterung für Kameras, die dem Druck und dem Ruck im Zug standhält - ein kleiner schwarzer Kasten, der Erfolg bringt: Die Freizeitparks reißen sich um die Werbemöglichkeit, das Video wird an den Kassen verkauft und landet im Internet bei amazon.de auf Platz fünf zwischen Star Wars und anderen Hollywood-Filmen. Der neue Coup ist zurzeit in Arbeit: Bis zum Herbst entwickelt Scheberg ein Videosystem, das während der Fahrt Filme von jedem Mitfahrer aufnimmt. Am Ausgang, wenn die Fahrt überstanden ist, kann sich jeder seine persönliche DVD pressen lassen - gegen Bares.
Das System verkauft Scheberg an die Freizeitparks, und die Parks laden Scheberg ein: Vergangene Woche weihte der Dinslakener die höchste Achterbahn der Welt mit ein. 130 Meter hoch, in vier Sekunden von Null auf 200 Kilometer. Der "Top Thrill Dragster" in Cedar Point in Cleveland. An den ersten Tagen standen die Amerikaner Schlange - bei zwei Stunden Wartezeit.
Zu lang, als dass Scheberg sein normales Pensum hätte erfüllen können: Er konnte nur sieben Mal fahren.
09.05.2003 GERARD DOMBROWSKI