Letzte Bearbeitung am 02-Mai-05 um 15:58 Uhr ()
"BEVOR NESSIE AUFTAUCHT"Veit Karwei passt auf, dass „sein“ 47 Hektar großes Dorf an der Ostsee immer gut ankommt. Bis zu 27 000 Menschen kommen täglich in sein Reich und wollen alle nur das Eine: sich vergnügen.
Doch bevor das schnaufen des Zuges das Heulen der Eule verstummen lässt und tausende Menschenfüße von den Wegen auf die Bäume getrieben haben, muß alles ordentlich sein. Und dafür hat Veit Karwei bis zu 750 Helfer und ist morgens längst nicht der Erste im Hansa-Park in Sierksdorf.
Morgens um fünf, wenn die meisten sich noch in ihren Betten kuscheln und Nessie sich von den Loopings des Vortages erholt, erwacht der Hansa-Park zur Morgentoilette.Als erster betritt Ernst Bartels mit seiner Abteilung Außenanlagen, der Putzkolonne und den Gärtnern das Gelände. Bis 9 Uhr muß der Park gästefein gemacht werden und technisch topfit sein. Dafür gibt es Checklisten. „Keiner läuft ohne Plan los“, sagt Karwei. Um Pizzareste oder Brotkrümel müssen sich die Müllmänner nicht kümmern, das erledigen die Spatzen. Die Beete vor dem Schleswig-Holstein Turm können sie allerdings nicht ausbessern. Das ist die Aufgabe von Gärtner Thomas Hilmer. Rund 150.000 Stiefmütterchen haben er und seine Kollegen vor der Eröffnung gepflanzt. Im Sommer konkurrieren dann eine Million bunte Blüten mir den typischen Landesfarben rapsgelb und himmelblau. Spätestens um sechs sind dann auch die „Indianer“ unterwegs. So nennen sich die zwölf Mitarbeiter des Technik- und Wartungsteam, die in Höhen arbeiten, in denen andere weiche Knie bekommen. Ralf Limberg kontrolliert gerade im oberen Bereich der Crazy Mine die Sicherheitsbremsen. Allein in dieser Bahn stecken täglich sechs Stunden Sicherheitscheck. Denn wie der Torre del Mar, das neue Kettenkarussel in 70 Meter Höhe, der Power Tower Monte Zuma oder der Rollercoaster Nessie zählt auch die Crazy Mine zu den technisch sehr aufwendigen Bahnen, die freiwillig doppelt geprüft werden. Oft wird damit schon begonnen, wenn der Park abends schließt. Wenn alle 33 Fahrgeschäfte eine leere Probefahrt ohne Probleme hinter sich haben, gibt es grünes Licht. Henrik Kazanczuk, Chef für Technik und Sicherheit der Fahrgeschäfte, hat gerade eine Lore der Mine auf die Fahrt geschickt, steht davor und horcht. „Die ist in Ordnung“. Nach 26 Jahren Betriebserfahrung hört er, ob etwas mit der Anlage nicht stimmt. Während des Betriebes messen über 200 Sensoren ständig den Zustand der Bahn. Stimmt etwas nicht, schalten sich alle Antriebe aus und die Sicherheitsbremsen fallen ein. Dann bleiben die Loren stehen oder auch mal der Power Tower in luftiger Höhe hängen.
„Für den Laien sieht es dann meist so aus, als ob die Bahn defekt ist“, sagt Karwei.
Neues wird übrigens im Team entwickelt, wobei die Grundlage die Gästewünsche sind.
Dann machen wir uns weltweit schlau über Neuentwicklungen, die vielleicht schon in irgend einem Park zu sehen sind, sagt Karwei. Seine Lieblingsbahn ist Rio Dorado, eine riesige Wasserrutschbahn mit Wildwasserteil, die wenig Energie verbraucht und die es so kein zweites mal auf der Welt gibt. Dagegen ist die 1978 als erste Wildwasserbahn in Europa eröffnete Wildwasserfahrt ein Energiefresser, das im Gegensatz zum Rio Dorado statt über zwei separate Wasserkreisläufe (oben und unten) nur über einen geschlossenen verfügt. Vier Pumpen schichten 12 Millionen Liter Wasser pro Stunde um und überwinden einen Höhenunterschied von acht Metern. 21 Baumstämme können maximal unterwegs sein, um am Ende in einem 60 Grad Winkel zwölf Meter in die Tiefe zu stürzen. Allerdings stammt das meiste Wasser für die spritzigen Fahrgeschäfte aus den Stauseen und Teichen drum herum, die nicht nur eine dekorative Wirkung haben, sondern auch als Regenwasserspeicher dienen. Für seine Energiesparsamkeit hat der einzige Erlebnispark am Meer den Umweltpreis 2003 bekommen.
Kazanczuks Kontrollgang hat ihn mittlerweile zu höchsten Flugkarussel der Welt geführt. Die neue Attraktion verspricht schwereloses Fliegen knapp unter den Wolken. Daniel Sadowski, ein weitere „Indianer“, erklimmt die 232 Leiterstufen zur Turmspitze. Dort befinden sich der Antrieb und die drei verschiedenen sich gegenseitig überwachenden Bremssysteme, die er täglich kontrollieren muß. Stolz plaudert Kazaczuk über den 85 Meter hohen Riesen mit einer „elektronischen Sicherheitsstufe wie ein Atomkraftwerk“.
Ab acht kann man bereits hinter den 13 Kassen am Haupteingang Menschen entdecken, denn von hier werden alle Verkaufsstellen, wie Imbisse und Souvenierläden, mit Wechselgeld beliefert.
18 Tonnen Pommes, 42 000 Hot Dogs, neun Tonnen Eis, 7500 Brötchen und 22 000 Liter alkoholfreie Getränke wechseln in der Hochsaison den Besitzer.
Waldemar Ivanko tauscht noch einen Stoßdämpfer von einem Wagen des Wellenreiter aus, während davor Peter Fuhr noch den Weg fegt. Der fliegende Hai grollt schon um die eigene Achse, der rasende Roland schnauft mit Nessie um die Wette. Bald werden Sie kommen. Wenn die Tore sich öffnen, dürfen sich alle Mitarbeiter nur noch zu Fuß oder auf dem Rad fort bewegen, so auch Gert Hans Rundshagen, der heute im Park die Oberaufsicht hat.
„Wir wollen das Restrisiko von Unfällen so gering wie möglich halten“, sagt er.
Obwohl noch genügend Freifläche vorhanden ist, hält Karwei nichts davon, jedes Jahr neue Fahrgeschäfte zu eröffnen. Lieber will er die Kulissen verbessern. Zielgruppe ist vor allem die ganze Familie. Wenn die Kinder, die Eltern und die Ur-Großeltern aus dem Park gehen, sollen sie alle lächeln. Deshalb kann er auch nicht die ältesten Fahrgeschäfte wie die Koggenfahrt, die Safaribahn oder die Schiffsschaukeln verbannen. Die sorgen dafür, dass alle Generationen miteinander reden, weil alle sie noch kennen, erklärt Karwei. Derzeit ist der Park auf 25 000 Gästeausgerichtet, das heißt, bei der Zahl sind die Wartezeiten noch erträglich.
Sind es 2000 hat man das Gefühl der Park ist leer. Aber irgendwann sind alle verschwunden.
Die ersten Sicherheitsschecks beginnen mit Bremsproben und Leerfahrten, der Müll wird abgefahren und sortiert, die Kehrmaschinen drehen ihre Runden, die Läden machen Ihre Abrechnung.
Gerd Hans Rundshagen übergibt den Park an den Wachdienst. Nun muß Nessie nicht mehr 25,5 Meter nach oben kriechen, 757 Meter in 50 Sekunden absolvieren mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h dahin jagen.
Das 25 Jahre alte Ungeheuer aus Stahl schläft, bis es morgens gegen fünf wieder vom Technikteam geweckt wird, das nachguckt ob Nessie nicht „eine Schraube locker“ hat.
Kieler Nachrichten vom 2. Mai 2005
Dirk
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