Spiralen, Kurven, Loopings - Achterbahnen sind heute sicherer als je zuvor. Großen Anteil daran hat der Ingenieur Werner Stengel. Über zwei Drittel der spektakulärsten und größten Rollercoaster hat der Bochumer entworfen. Heute wurde der Pionier 70 Jahre alt. München - Tag für Tag bringt er Zigtausende zum Kreischen und sorgt weltweit für Adrenalinschübe. Selbst spaziert er lieber gemächlich durch den Forstenrieder Park oder nippt in aller Ruhe an einem Glas Rotwein: Werner Stengel, Diplomingenieur und Konstrukteur von mehr als 500 Achterbahnen und feiert heute seinen 70. Geburtstag. Seinen Innovationen haben Vergnügungssüchtige aller Länder zu verdanken, dass sie seit Jahrzehnten immer schneller, höher, weiter und spektakulärer über die Holz- und Stahlgiganten donnern dürfen.
Zum Achterbahnbau ist er vor mehr als vier Jahrzehnten "wie die Jungfrau zum Kind" gekommen. Geboren in Bochum als Sohn eines Schneidermeisters, studierte Stengel in München an der damaligen Technischen Hochschule. "Während der Semesterferien konstruierte ich für ein kleines Ingenieurbüro einen Autoscooter", schildert er seine ersten Schritte auf dem Gebiet der "Fliegenden Bauten", wie die Kirmesattraktionen auf Amtsdeutsch heißen. "Wenig später sollte Deutschlands erste Stahl-Achterbahn entworfen werden, da haben sie mich wieder gefragt." Beim Münchner Oktoberfest 1964 war Premiere für die Bahn - und Stengel hatte schlagartig einen Namen in der Szene.
Dass seine Erfolgskurve in den folgenden Jahren ähnlich steil war wie viele seiner Bahnen, führt Stengel auf eine Erkenntnis am Anfang seiner Karriere zurück: "Beim Achterbahnbau sind alle Ingenieursdisziplinen involviert, aber es ist nicht gut, wenn sich um jeden Bereich ein anderer Ingenieur kümmert. Man sollte alles in eine Hand nehmen." Deshalb habe er sich autodidaktisch weitergebildet und damit die Grundlage für Erfindungen gelegt, die Freizeitparks und Kirmesplätze revolutioniert haben.
So waren früher nach Fahrten durch Loopings Schleudertraumen und Schlüsselbeinbrüche an der Tagesordnung. Mitte der 1970er Jahre aber gelang es Stengel, das Verletzungsrisiko zu minimieren, indem er eine auch im Straßen- und Eisenbahnbau verwendete Kurventechnik, die so genannte Klothoidform, wählte, bei der die Wagen sanfter in den Looping hinein- und wieder herausfahren.
Bremsen für die Wägelchen
Stengel selbst wurde allerdings schnell des Überkopffahrens überdrüssig: "Das sieht von außen vielleicht spektakulär aus. Aber Loopings fahr' ich doch mit einem Glas Wasser in der Hand, ohne was zu verschütten." Deshalb habe er bald darauf Spiralen und Raumkurven entwickelt. Inspiration und Ideen holte er sich von Kunstfliegern: "Da habe ich geklaut, das gebe ich ganz offen zu."
Doch nicht nur für den Nervenkitzel, auch für die Sicherheit hat Stengel viel getan. "Früher gab es ja immer einen Bremser für die einzelnen Wägen", erklärt der Ingenieur. "Als ich aber mal auf dem Oktoberfest einem längere Zeit bei der Arbeit zugesehen habe, war mir klar: Da musst du was machen. Der hatte wahrscheinlich fünf Bier intus." Danach habe er ein automatisches Bremssystem entwickelt, das mittlerweile bei den meisten Achterbahnen im Einsatz sei.
Ob "Olympia Looping" oder "Eurostar", traditionelle Holzachterbahnen oder die Hauptattraktionen US-amerikanischer Freizeitparks mit Abfahrten aus fast 150 Metern Höhe - die Pläne für rund ein Drittel der Achterbahnen weltweit stammen Stengel zufolge aus seinem Ingenieurbüro im Münchner Stadtteil Forstenried.
"Von den spektakulären und großen Bahnen sind es sogar mehr als 70 Prozent", berichtet er stolz. "Und es gibt kaum etwas Schöneres, als bei einer neuen Bahn am Ausgang zu stehen, wenn die Leute rufen: 'Geil, super, noch mal!'" Dennoch genießt Stengel seinen Ruhestand, den er vor allem mit seiner Familie, mit Lesen und Reisen verbringt. Die Verantwortung für sein Ingenieurbüro hat er auf zwei Geschäftsführer übertragen, von denen einer sein Schwiegersohn ist.
Seinen Werken fühlt er sich immer noch sehr verbunden und scheut auch nicht die Fahrt mit seiner Lieblingsbahn "Expedition GeForce" im Holiday Park in Haßloch, die er demnächst wieder besucht: "Die werde ich natürlich wieder mehrmals fahren", kündigte der 70-Jährige an.