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Coney Island - Straße der Illusionen
31-Jan-04, 12:18 Uhr ()
Im Winter kann Brooklyns alte Amüsiermeile der stillste Platz New Yorks sein.

Wem es im Winter schlecht geht in New York, der fährt mit der U-Bahn nach Coney Island. Jetzt hat man das schmale Strandtuch am südlichen Ende Brooklyns fast für sich. Wenn auch nie ganz – dazu ist es zu bizarr, zu faszinierend: ein Vergnügungspark mit dem Charme der Fünfziger, schäbig schön und ein bisschen melancholisch. Mit einer langen Holzpromenade für Jogger, Liebespaare und Rentner, mit Hotdog-Verkäufern, Anglern und Obdachlosen vor dem Skelett des alten Fallschirmturms, dem Wahrzeichen der ältesten Amüsiermeile Amerikas.

Mitte des 19. Jahrhunderts standen hier nur Luxushotels, die Familien blieben oft den Sommer über, zeigten sich im Schatten der weißen Veranden, in den Badehäusern am Strand, zwischen Geranien und gepflegtem Rasen. Detektive patrouillierten und sorgten im Naherholungsgebiet der reichen New Yorker für Sicherheit. Als 1865 die erste Eisenbahn die Halbinsel erreichte, tauchten am Strand immer mehr Mittelklassefamilien auf, der Ruf als snobistische Sommerresidenz ging verloren.

Als die U-Bahn schließlich jedermann für ein paar Cent hinbringt, entstehen Tattoosalons, Schießstände, Imbissbuden, Achterbahnen und Gruselkabinette für ein Massenpublikum. Der Strand wird „zur Zielgeraden eines wöchentlichen Exodus von der elementaren Gewalt eines Gefängnisausbruchs“, schreibt Architekt Rem Koolhaas 1978 in seinem Buch „Delirious New York“.

Meditieren am Strand

So ähnlich kann es heute noch sein, wenn sich an Sommersonntagen halb Manhattan und Brooklyn im Sand räkelt. Ghettoblaster dröhnen, am Strand entlang spazieren lebensgroße Plüschtiere, mit denen sich Kinder für zehn Dollar fotografieren lassen können. Ältere Männer ruhen in Klappstühlen, jüngere schreiten im Leuchttanga durch die Menge. Es ist, als hätte man den Inhalt der New Yorker Subway einfach am Ende ausgeleert.

Im Winter aber kann Coney Island der stillste Platz New Yorks sein. Der Strand ist leer, nur ein paar Fischer stehen am Pier. Eine Frau meditiert im Sand, ein Strandläufer übt Urschreie. Die Menschen ziehen sich ans äußerste Ende der Millionenstadt zurück, um der Hektik, der Überfülle an Ablenkung, dem Lärm zu entkommen. In der Dämmerung, wenn die Lichter in den Hochhäusern der Halbinsel langsam angehen, findet die urbane Seele Frieden auf den Holzplanken des Boardwalks, bei Möwengeschrei und leichtem Wellenschlag.

„Ich habe im Moment einen Durchhänger“, erzählt der grau gelockte Sänger einer New Yorker Independent-Band, elegant gekleidet, mit einer Dose Bier in der Hand und Schwitzflecken unterm Arm. „Alles ödet mich an. Ich nehme hier eine Auszeit.“ In der Hand hält er ein leeres Stück Papier, auf dem am Ende ein neuer Song stehen soll.

Das Riesenrad Wonder Wheel und Cyclone, die Mutter aller Achterbahnen, strahlen im Abendlicht. Der hölzerne weiße Rollercoaster ist älter als 75 Jahre, knarrt und ächzt, wenn die Wagen in die Senkrechte stürzen, Strand und Ozean sich drehen – eine rumpelnde Fahrt ins Nichts. Für einige ein perfekter Platz, um zu heiraten: Der Musiker Mike Lustig und seine Braut ließen sich von einem Rabbi in luftiger Höhe zu Mendelssohns Hochzeitsmarsch trauen. Selbst die tätowierte Achterbahncrew war gerührt.

Coney Island ist schrill, laut und billig, sagen die einen, in seiner brüchigen Schönheit verzaubernd, die andern. Ein Ort für Künstler, ein flirrender Schauplatz für Krimi-Melodramen, Okkult-Klassiker wie „Angel Heart“ oder Liebeskomödien wie Woody Allens „Annie Hall“; besungen von Van Morrison, Lou Reed und Tom Waits. Verlorene Kinder, nächtliche Liebespaare und badende Massen hat Wegee, New Yorks berühmtester Fotoreporter der Fünfziger, hier mit der Kamera eingefangen – das ungeschminkte Leben.

Kaviar und Zarenbrot

Coney Island war in Vor-Disney-Zeiten die spektakulärste der Schein- und Traumwelten, die Ende des 19. Jahrhunderts am Rande der Metropolen Europas und der USA entstanden. In „Dreamland“ machten eine Million Glühbirnen die Nacht zum Tage, Besucher amüsierten sich im „Luna Park“ bei simulierten Reisen zum Mond und liefen gaffend durch eine Liliputanerstadt. Männer ritten im „Steeplechase“ auf elektrischen Pferden, und im rotierenden „Barrel of Love“ ließen sich Männlein und Weiblein durcheinander purzeln.

Im Mai 1911 gibt es einen Kurzschluss, Dreamland brennt in drei Stunden komplett nieder. Redakteure der New Yorker Zeitungen melden das Unglück erst 24 Stunden später – sie hatten den Rauch, den sie von ihren Schreibtischen sehen konnten, für eine gut inszenierte Show gehalten. 1914 geht auch „Luna Park“ in Flammen auf. Danach wird ein Großteil von Coney Island renaturiert.

Heute ist es beides: Rückzugsort der glücklich Gestrandeten und Strand der Verlorenen. Alte Leute in dicken Pelzen, Sonnenbrillen und Fellmützen sitzen auf den Bänken, plaudern, spielen Schach oder lesen ein Buch. Viele sind Russen, fast eine Viertelmillion ehemaliger Sowjetbürger lebt im Zentrum von Coney Island, in Brighton Beach und Little Odessa; darunter viele Juden, emigriert in diversen Flüchtlingswellen. Die Cafés verkaufen Mischka-Konfekt und mehrstöckige Cremetorten, der M & I International Supermarket führt Kaviar und Zar-Nikolaus-Brot. Selbst eine koschere Fitnesshalle gibt es und einen elektrischen siebenarmigen Leuchter im U-Bahn-Bereich.

Richtig gefeiert wird am Wochenende in den Nachtclubs von Brighton Beach. Der eleganteste ist das „Rasputin“: mit Doorman, rotem Teppich und 90 Dollar Mindestverzehr pro Kopf am Wochenende. Dafür werden hundert Wodkasorten aus aller Welt serviert. Im Saal kreisen die Flaschen, riesige Büfettschalen werden herumgereicht, von der Decke hängen Kunstblumen und Kristallleuchter. Draußen rauchen Elfjährige ihre ersten Zigarren, Kellner mit quadratischer Statur servieren alternden Familienbossen Piroggen, Blinis und Meeresfrüchtesuppe im Brot. Gäbe es eine Fortsetzung des „Paten“, hier würde man bei der Komparsensuche fündig.

Selbst die Taxifahrer hier haben filmreife B.iografien. William mit den Rastalocken zum Beispiel war früher Kickboxer und hat jetzt mehrere Jobs gleichzeitig. Er arbeitet als Hilfscop des New Yorker Police Departments und am Wochenende als Türsteher in einem Nachtclub. Bei Wartezeiten im Cab schreibt er an einem Drehbuch für ein Off-Broadway-Stück. Keiner kennt die Sprache der Blocks von Coney Island so gut wie er.

Früher war die Halbinsel die Künstlichkeit in Perfektion, heute scheint sie ein Ort, an dem man sich nicht viele Illusionen leisten kann, ein Sammelbecken derer, die in New York von unten beginnen. Menschen wie die 50-jährige Rosa Rodriguez, die bei einem reichen Radiologen arbeitet. Für 90 Dollar wischt sie das Parkett in seinem 4000-Dollar-Loft und staunt manchmal über die Sorglosigkeit ihres Arbeitgebers.

Mit einem Rucksack fliegt der Arzt für sechs Wochen nach Europa – und einer Kreditkarte, die alles regelt. In Coney Island, weiß sie, muss man planen, das Geld zusammenhalten. Dann kommt man vielleicht weiter und irgendwann weg von hier. Wenn man denn will.

Foto: Arne Weychardt/images.de

Geschäfte und Restaurants

Autor: Viola Keeve; © 29.01.2004 Rheinischer Merkur

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FeKe


 
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1. RE: Coney Island - Straße der Illusionen
31-Jan-04, 13:02 Uhr ()
Als Antwort auf Beitrag Nr. 0
 
Ich hab da auch noch ne kleine Geschichte mit zwei netten Bildern in meinen Bookmarks gefunden:

Quelle: http://www.streetplay.com

Name: Stanley Ralph Ross
Location: Coney Island, Brooklyn
Story: Orphans of the Steeplechase

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Last month, my wife and I were at the New York, New York hotel in Las Vegas and happened into an area where they sold egg creams, for $2.25. I decided to try one and it was delicious, made properly with Fox's U-Bet and the right amounts of seltzer and milk. It was so reminiscent of my youth that I sipped it for half an hour and was transported in memory and walked down Twentieth Street in Coney Island where I mentally said hello to Patsy Minicello, Gibby and Leroy Weiss, the De Luca brothers, Andrew, Robert and Raymond Jones, Freddie Hutchinson and Red Goldner.
While I was sitting there smiling, Neila asked me what was the greatest place I'd ever been to. We have traveled the world and it was impossible to remember all the fabulous locations, but one location kept floating up. In late May of every year, Coney Island's premiere amusement park, Steeplechase, opened for the summer season on a Saturday morning just for the orphans of the City of New York. The busses arrived, parked on West Twentieth street in front of my house and the kids lined up, marched into the Steeplechase and spent the day, until they were taken out around dinner time and the park opened for regular paying customers.

Robert Jones, who lived next door, was six and so was I and we were best friends. Neither of us could afford the 55 cents to go to the Steeplechase so we decided to sneak into the line and join the orphans. Who would know the difference? However, we knew that our parents wouldn't allow it so we didn't tell them. The day was spectacular, free food and all the rides one could have ever wanted and these were rides never seen before or since anywhere

When six o'clock approached, we hid in the Men's Room until the orphans left and the adults arrived. Picture this, a little black kid and a little white kid, best friends, holding hands so we wouldn't lose each other and enjoying ourselves more than we'd ever have done in our young lives. Strangers thought we were cute together and gave us money for food and tickets for rides, whatever we wanted was ours.

Meanwhile our parents and the whole street were frantic. A few people thought we might have been kidnapped but that theory was tossed aside when they realized that nobody had enough money to pay ransom for two little kids. Then they thought the same fate befell us that had taken a mutual childhood friend, Henry, who drowned in Gravesend Bay a few weeks before and they were ready to begin dragging the area.

Finally, one of the neighbors remembered that she had sneaked into Steeplechase when she was a child and it might be worth a try to look there. At about a quarter to midnight, Robert's older brother, Raymond, came into the park, found us and dragged us outside where Robert's step-dad Reverend Kennedy, whacked my behind as my mother was hitting Robert. We pretended we were crying but the truth is that we were laughing as we stole glimpses at each other. There was no amount of pain that could take away the joy we'd had in that memorable eighteen hour day in Steeplechase, the Funny Place. If you never got there I'm sorry.



Mehr interessante Informationen zu Conney Islands Geschichte hier.


Felix.

Sample the moment - loop it again
Tape this day and rewind it!

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