...wird man in diesem unseren Stadtteil auf die heftigste Art und Weise geqäult: dann ist Schützenfest! Konnte ich dem recht asozialen Straßenbiwak vor meiner Haustür noch gerade so entgehen, den ein geisteskranker Nachbar mit seinen naßgeschwitzten Kumpels mittlerweile jährlich organisiert, so mußte ich eine Woche später dem ganzen Obskuritäten-Kabinett mehr oder weniger gezwungenermaßen beiwohnen. Da chillt man nämlich mit guten Leuten auf der Terrasse seines Lieblingscafés als plötzlich dieses unsägliche "Bff-tata - bff-tata" um die Ecke gedröhnt kommt, und eine ganze Horde von marschierendem Fußvolk in die größte Kirche am Ort Einlaß begehrt. Nichts gegen Musiker oder Kirchgänger - wirklich nicht - aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Küster die 110 wählen würde, wenn ich mit einer E-Gitarre spielend zum Gottesdienst gehen würde, wetten? Aber wahrscheinlich hatten diese Buben - und es waren ausschließlich Buben (Frauen wissen anscheinend manchmal doch wie man sich Peinlichkeiten erspart) - etwas wichtiges zu tun und hatten jede Menge wichtiger Fahnen mitgebracht, denn der Priester sprenkelte die Teile mit Wasser und er murmelte dabei allerlei Sachen, was man wegen dem "Bff-tata" nicht verstehen konnte. Eine Frau war dann doch dabei, Quote und Alibi wollen respektiert werden: die kam mit der Pferdekutsche und neben ihr saß ein winkender Herr im schwarzen Anzug, von Beruf schätzungsweise Grüßaugust. Besonders betucht waren sie wohl nicht, denn die Frau trug so'nn giftgrünen Stoff, welches normale Menschen Gardinen nennen. Das Zeug war an ihrem Leib festgetackert, damit das massive Übergewicht besser zum tragen kommt. Beim Aussteigen ist sie beinahe auf den Pferdeäpfeln ausgerutscht, aber so leicht kriegt man Damenfüße mit Schuhgröße 53 nicht ins Strudeln! Auch sonst sah sie aus wie Günter Netzer - illegaler Seitenscheitel, ne Riesennase, dazu ein grimmiger Blick - die landet demnächst bestimmt im Fernsehen. Als die letzten Fahnen- und Frackträger die Stufen zum Gotteshaus erklommen hatten, entdeckte mein Tischnachbar, dass die ersten Buben schon wieder durch einen Seiteneingang die Kirche wieder verlassen taten, und sich heimlich zu uns ins Café gesellten. Alle trugen gleichfarbige Jacken, gleichfarbige Hosen - nur das Schuhwerk war wohl geerbt worden. Wie auch immer - sie setzten sich an den großen Tisch und spielten "Wie-wird-man-kollektiv-schnellstens-breit-ohne-das-der-Kellner-auch-nur-ein-Glas-auf-den-Tisch-stellt". Das geht so: kommt der Kellner mit 'nem Tablett Bier, stehen alle auf und greifen sich ein Glas, blöken einen dummen Spruch mit "Zack" und "Sack", hauen die *chei**e in 2,8 Sekunden weg, stellen die Gläser wieder aufs Tablett und schicken den Kellner zurück zur Theke. Der wiederum scheint hauptberuflich Masochist zu sein, denn er kam immer wieder mit reichlich gedecktem Tablett zurück, und mußte sich im Laufe des Nachmittages immer dämlichere Witze anhören. Aber gut, wenn er drauf steht, ist ja sein Job, nicht meiner... Man sagt ja häufig, der Mensch stamme vom Affen ab, aber bei einem guten Teil der Bevölkerung meines Stadtteils stimmt das definitiv nicht: schaut man in die Augen dieser gleichgekleideten Menschen, muß man feststellen, dass da eher der Leguan, die Eidechse und der Gecko zu den Vorfahren gehören. Der eine oder andere entstammt irgendwelchen Paarhufern, bei dem Schuhwerk. Irgendwann ertönten die Kirchglocken, und das bedeutete für unsere Möchtegern-Kirchgänger Abschied nehmen, denn man wollte für den Grüßaugust Spalier stehen. Der kam dann auch als Erster aus der Kirche raus und klammerte sich an die Gardinen seiner Ollen. Beim Besteigen der Pferdekutsche sah man auch warum: das festgetackerte Teil hatte sich gelöst, und der Stoff drohte wie eine Rolle Klopapier daher zu driften. Einem Gefolgsmann war diese Peinlichkeit auch aufgefallen, und er legte dem hilflosen Schwergewicht seine Jacke über die Schulter, worüber sich der Grüßaugust mächtig aufregte, denn die Insignien auf dieser Jacke gehörten dem falschen Regiment, und so fingen die sich an zu fetzen, worauf mein Kumpel vom Stuhl fiel. Er konnte wirklich nicht mehr. Die Kongregation löste sich nur sehr schleppend auf, aber wir hatten uns köstlich amüsiert. Nun soll keiner denken, dass diese Buben sich nicht revanchiert hätten. Anstatt das Wochenende in Ruhe ausklingen zu lassen, kommt die ganze Bagage am Sonntagmorgen um kurz nach 6 mich besuchen - samt "Bff-tata", Pferdekutsche und der Schützenkönigin Günther Netzer. Die saß jetzt mit 'nem dunkelroten Teppich in der gefährlich durchgebogenen Kutsche, die beiden Pferde werden den Verein bestimmt verklagen. Ihr Grüßaugust stieg aus und holte meinen geisteskranken Nachbar aus'm Bett - der wiederum revanchierte sich mit etlichen Lagen Wacholder oder Korn für den halben Stadtteil, und ich habe mich fast totgärgert, weil ich wieder einmal 'ne halbe Stunde zu früh nach Hause gegangen bin. Der ganze Sauhaufen laberte 'ne ganze Weile wirres Zeug bevor sie abzogen, allerdings nicht ohne die Nachbarschaft noch einmal mit ihren musikalischen Einlagen zu nerven. Das sollte es gewesen sein, dachte mein Kopf und ich. Denkste! Keine 3 Stunden später hört man die Truppe (können auch andere gewesen sein) erneut, diesmal ca. 100m entfernt in der Parallelstraße. Man wurde an diesem Wochenende vor nichts verschont - in der Stadt liefen eine halbe Million glücklicher Rentner durch die Gegend und erfreuten sich unverständlicherweise an der langweiligen Jazz-Rallye, und vor deiner Haustür kreuzen unablässig Marschmenschen auf, die für Fallstudien in Sachen Soziologie taugen, aber nicht für mein Wohlbefinden. Aber wat willste machen, das geht schon seit Ewigkeiten so, und weil aller guten Dinge 3 sind, tauchten diese Spielmannszüge (und wahrscheinlich auch der rote Teppich mit ihrem Grüßaugust) gegen 14.00 Uhr nochmal auf und hämmerten und ballerten was das Zeug hält. Es muß sich bei diesen Freunden des Marsches komplett um suspekte Personen handeln, denn sie alle laufen ohne weibliche Begleitung herum, sehen ganz merkwürdig aus und kleiden sich wie Harry. Nach 16 Jahren in diesem Stadtteil sollte man meinen, dass man die meisten Leute in dieser Gegend kennt, zumindest vom sehen her, aber unter den marodierenden Kirchgängern und flötenden Musikern hast du keine Sau erkannt - nicht eine einzige! Gut, der Spinner auf der anderen Straßenseite ist bekannt, aber nur weil er seinen Wohnwagen in unserer viel zu engen Einbahnstraße falsch parkt, und weil er sich ständig mit dem Pizzabäcker anlegt - aber der zählt nicht. Die Buben sieht man an 360 Tagen im Jahr nicht, was eigentlich gar nicht sooo verkehrt ist - ich frage mich nur: wo kommen die alle her? Und wer steht tatsächlich auf diesen merkwürdigen Sound? Wieso sind alle so komisch angezogen? Und warum kleidet sich die einzige Frau mit der Inneneinrichtung ihrer Wohnung? Kapier' ich alles nicht. Gefunden im Forum auf www.brehmstrasse.de. Das Copyright liegt beim User "Staredown" auch bekannt als "WodkaOnIce". www.parkwelten.de | www.blogspiele.de | www.sneakfilm.de
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