Es ist eher ein Resumee des ganzen Wettbewerbs, aber dafür mit einer Prise Ironie. Hier der Artikel aus der Süddeutschen Zeitung:
Auf den Marterpfählen der Spaßgesellschaft
184 Tage lang hocken zwei Menschen auf Holzstämmen im Heidepark Soltau, einen irren Rekord und 35000 Mark im Sinn
Von Reymer Klüver
Soltau – Am Ende war es ein Duell, einem Ringen von Titanen gleich. Ja, wer das große Wort nicht scheut, wird von einem Kampf der Kulturen sprechen: das Norddeutsche gegen das Süddeutsche, Frau gegen Mann, Gut gegen Böse. Und das alles trug sich zu zwischen zwei Pfählen, zwei zweieinhalb Meter emporragenden Holzstämmen, in den sandigen Boden der Lüneburger Heide gerammt. 184 Tage haben zwei Menschen auf diesen Pfählen hockenderweise zugebracht, ein paar zehntausend Mark und einen irren Rekord im Sinn und vielleicht eine vage Vorstellung von Ruhm und Ehre. Am Donnerstag nun sind sie herabgestiegen von ihren Höhen, als neue Champions im Pfahlsitzen, einer der Weltmeisterschaften dieser Tage der etwas bizarreren Sorte.
Denn der Wettbewerb fand statt mitten in einem Freizeitpark, genauer gesagt, im holländischen Teil des Heide-Parks Soltau. Dort hatten sie die Pfähle aufgereiht. Auf ihnen konnten es sich die Titelaspiranten so gemütlich einrichten, wie es eben auf einer Fläche von 40 mal 60 Zentimetern geht, gegen die Unbill des norddeutschen Wetters nur geschützt durch einen weißen Langnese- Sonnenschirm. Alle zwei Stunden durften sie für höchsten zehn Minuten diese Marterpfähle des Vergnügungszeitalters verlassen. Wer am längsten aushält, nicht nur schlechte Witterung, sondern auch die neugierigen Blicke und mitunter abfälligen Witzchen der Zerstreuung suchenden Besucher des Parks, hat gewonnen.
Und weil das Pfahlsitzen angeblich eine ur-holländische Tradition ist, kam den Marketing-Leute des Vergnügungsparks die Idee, einen solchen Wettbewerb doch vor der Kulisse von nachgebauten Delfter Häuserfronten und einer geschrumpften Holländer-Mühle als Werbegag ins Leben zu rufen. Das war vor vier Jahren.
Seither lief die Sache prima. Immer wieder mal purzelte einer im Schlaf vom Stamm, aber sonst passierte nichts Ernsthaftes. Die meisten verpassten es, am Ende ihrer zehnminütigen Pausen wieder rechtzeitig auf dem Baum zu sein. Bisher am längsten hielt es ein Münchner oben aus, 167 Tage. Das war eine Attraktion und preiswerte Werbung für den Park.
Doch in diesem Jahr kam alles anders. Es fing damit an, dass anstatt der zehn Pfähle erstmals nur neun besetzt waren: Ein Kandidat war in der Nacht vor der Anreise verunglückt. Und dann kamen binnen Tagen sechs der neun Aspiranten nicht mehr rechtzeitig auf den Pfahl. „Alles deutete auf einen schnellen Wettbewerb hin“, sagt Klaus Müller, Sprecher des Heide-Parks. Die letzten drei harrten dann allerdings aus – und am Ende drohte ihr Wettbewerb gar aus dem Ruder zu laufen: Denn selbst als der Park am 4. November zur Winterpause schloss, blieben sie hocken. Das heißt vor allem die Sitzenbleiber von Pfahl 3 und Pfahl 9, die 29 Jahre alte Cordula Straub aus Hannover und der 38-jährige Roland Maier aus dem schwäbischen Cleebronn, inzwischen der neue Weltrekordhalter. Der Mann auf Pfahl 5, der 30-jährige Maurermeister Wilko Jäschke aus Jüterbog in Brandenburg, galt nur als Mitläufer. Er kam denn auch in der vergangenen Woche vorzeitig herunter.
Nicht, dass der Park auf ein Überwintern seiner Dauergäste nicht vorbereitet gewesen wäre: Die fünf Saisonkräfte, die zur Betreuung der Pfahlsitzer rund um die Uhr eingestellt waren, wurden weiterbeschäftigt. PR- Mann Müller hatte sich schon einen Adventskalender überlegt, ja selbst für Heiligabend am Pfahl gab es erste Ideen: Straubs Mutter wollte drei Gänse stiften, und Müllers „Mütterchen“, wie er sagt, wollte erzgebirgische Kartoffelklöße zubereiten.
Die Pläne schienen bitter nötig zu sein. Denn ein Drama auf Pfählen vollzog sich nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit (wenn man vom Personal absieht): Keiner der beiden Kontrahenten wollte nach all der Quälerei von sich aus aufgeben. Der Schwabe nicht, weil er die ausgelobten 35000 Mark Siegprämie für sein Häusle brauchen kann. Die Frau nicht, weil sie dem männlichen Kontrahenten den Sieg nicht gönnte. Hatte er nicht einfach nur die Tatsache ihres Geschlechts ausgenutzt? Dass sie sich täglich geduscht hat, und Pausen auch deshalb brauchte, weil sie monatlich ihre Regel hatte in all dieser Zeit? Er aber seine Auszeiten auf das Nötigste begrenzte und so einen Vorsprung von 50 Stunden und mehr herausholte? Ja, solcherart sind die Gedanken, wenn Menschen ein halbes Jahr ihr Leben einfach aussitzen.
Der Wettbewerb ist übrigens auf Video aufgezeichnet: 4324 Stunden und zehn Minuten. Nonstop.