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Christian Ahuis

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Disneys Epcot im Spiegel vom 30. März 1981
05-Jun-05, 11:05 Uhr ()
"Der Gegenwart um Lichtjahre voraus"

SPIEGEL-Redakteur Helmut Sorge über den weltweiten Disney-Kult Die Expansion der tierisch heilen Welt des Hollywood-Träumers Walt Disney scheint auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Geburt der Micky Maus noch immer grenzenlos: Bei Tokio entsteht ein japanischer Disney-Vergnügungspark, in Florida investieren die Disney-Manager für den Bau einer Zukunftswelt 1,6 Milliarden Mark.

Die Sitze beginnen zu vibrieren, der Kontrollraum meldet: "Ready for countdown", fertig für den Start. Auf einer computergesteuerten Uhr werden die Sekunden angezeigt: "10, 9, 8 ... go."

Plötzlich - ohrenbetäubender Lärm, Qualm, ein Feuerstoß, Sekunden später wieder die emotionslose anonyme Stimme: "Hyper space penetration", der Flug in den Weltraum - die Sitze vibrieren, die Erde ist auf einer Leinwand in Globus-Umfang zu erkennen.

Nur, diese "Mission to Mars" dauert nicht Jahre, sondern Minuten, Es ist eine simulierte Weltraum-Fahrt ins Traumreich des Walt Disney und, so meint Disney-Vizepräsident Jack Lindquist, "ausreichend realistisch, um zu verstehen, was Astronauten empfinden, wenn sie starten".

"Morgen kann ein schönes Zeitalter sein", hatte Walt Disney seine Landsleute beschworen, deren Zweifel, ob Amerika tatsächlich je das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gewesen ist, nicht erst mit dem Vietnam-Krieg zunahmen. "Unsere Wissenschaftler öffnen heute die Türen zum Weltraumzeitalter für Entwicklungen, die unseren Kindern und Generationen danach nutzen werden."

Walt Disney persönlich entschied, daß auch die Micky Maus auf dem Flug ins All nicht fehlen dürfe, er engagierte für seine Zukunftsvision Astronauten, Science-Fiction-Autoren und Astronomen. Noch bevor die US-Astronauten vom John F. Kennedy Space Center abheben werden, nehmen Disneys Träume nahe der knapp 100 Kilometer weit entfernten Stadt Orlando schon Konturen an.

Phantasten sind am Werk. Architekten bauen auf einem 223 Hektar umfassenden Gelände den Himmel auf Erden nach.

Bei Orlando nämlich vereint sich die Vision der Nasa-Techniker mit einem anderen Produkt speziell amerikanischer Phantasie: der Micky-Maus-Welt. Für 800 Millionen Dollar bauen die Schöpfer von Goofy und Cinderella, Pluto und Donald Duck eine "Future World", in der die zweifelnden, im Selbstbewußtsein tief getroffenen Amerikaner Heilung finden wollen, in der allerdings für die weltberühmte Maus mit den großen Ohren nicht einmal ein Schlupfloch geblieben ist.

Dies ist die "Experimental Prototype Community of Tomorrow" (Epcot), so etwas wie eine Versuchsstation des Lebens von morgen, ein "Schaufenster für die Welt", wie der 1966 verstorbene Walt Disney bestimmte, ein Symbol für den "Einfallsreichtum und die Phantasie der freien Marktwirtschaft".

Im Oktober nächsten Jahres soll dieser Hollywood- und George-Orwell-Verschnitt eröffnet werden, rund vier Kilometer von dem Vergnügungspark "Disney World" entfernt und mit ihm durch eine Alweg-Bahn (Alweg: Kurzwort nach dem schwedischen Industriellen Axel Leonard Wenner-Gren.)verbunden.

Rund 25 Millionen Dollar zahlen US-Wirtschaftsgiganten wie der Ölkonzern "Exxon", die Lebensmittelfirma "Kraft" oder die Automobilbauer von "General Motors" dafür, daß sie in den von ihnen auf zehn Jahre gepachteten Hallen mit Namen wie "Energie", "das Land" oder "Transport" Imagepflege betreiben und darstellen können, wie sie die Zukunft meistern wollen.

Mehr als 2000 sogenannte "Imagineers", Disney-Denker und -Träumer, liefern den rationalistischen Kapitalisten jene Phantasien, die, so wollte es Walt Disney, "nie von der Zeit überholt werden können, da sie einen Flug in eine Dimension darstellen, die hinter der Zeit liegt".

Eine Achterbahn rollt durch die Adern eines überdimensionalen Körpers, gerät im Herz ins Schwanken und rast - scheinbar in Gedankenschnelle - durch das Hirn. In einem dreidimensionalen Kino schweben Wolken, Sterne und Nebel unter den Zuschauern. Eine Tauchfahrt durch ein 20 Millionen Liter fassendes Becken endet auf dem Ozean - Stützpunkt Alpha. Astronauten arbeiten in Wohnsiedlungen im All - Amerika ist hier noch so, wie es die Ungebrochenen haben wollen: God's own country.

Biblisches, so scheint es, wollen die Disney-Missionare vermitteln. "Fürchtet euch nicht", lautet ihre Parole, "die Wüste kann blühen, im Weltall finden wir die Energien, die uns die Araber möglicherweise verweigern."

"Viele Menschen", weiß Disney-Manager Martin A. Sklar, "haben kein Vertrauen mehr in ihre Regierungen oder Industrien, aber immer noch in Micky Maus." Und die hat "auch die Gegenwart nicht vergessen", obschon "wir der Gegenwart um Lichtjahre voraus sind", wie Disney-Manager Jack Lindquist beruhigt.

So werden neben der Technologie der Zukunft auch noch die Annehmlichkeiten und Schönheiten der Gegenwart dokumentiert: Ein rund 35 Meter hoher Eiffelturm wird in Klein-Paris nachgebaut, wo Drei-Sterne-Koch Paul Bocuse mit zwei renommierten Kollegen ein Feinschmeckerlokal eröffnen will. Ein Disney-Team dreht derzeit in China einen Film für den China-Pavillon. Der König von Marokko will eine Halle finanzieren, die das Märchen von Tausendundeiner Nacht wiedererweckt. Im englischen Pavillon errichten die Brauereien Bass und Guinness einen typisch britischen Pub.

Auch der Rhein soll gebettet werden, nur fehlen für den Flußbau (Baukosten: rund neun Millionen Dollar) noch Finanziers. An Miniaturen von Schwarzwald, Köln, Heidelberg, Garmisch und Neuschwanstein sollen Rheindampfer entlangschaukeln und dann anlegen in einem deutschen Örtchen, das ein Architekt in zweijähriger Arbeit nach Impressionen aus Freiburg im Breisgau, dem Römerberg in Frankfurt, Burg Eltz und Rothenburg ob der Tauber zusammenbastelt.

In einem "Becks"-Biergarten können die Besucher schunkeln oder Hausgemachtes aus deutschen Landen (Made in New York) verzehren. Ein Winzer von der Mosel, Bahlsens Keksfabrik, Hummel-Eigner Wilhelm Göbel und die Porzellanhersteller von Hutschenreuther haben bereits Ausstellungsflächen im deutschen Disney-Dorf bestellt.

"Wir wollen", so John Hench, einst einer der engsten Vertrauten Walt Disneys, "dieses Projekt zu einer permanenten Weltausstellung machen", die sich stets verändern und vergrößern und zudem dokumentieren solle, daß "Menschen keine Angst vor der Zukunft haben müssen", daß "das Böse nicht siegen und Technologie nicht unmenschlich sein muß".

Zukunftsvisionen, deren Optimismus sich bereits in den Märchen Disneys finden läßt, eine Welt eben, in der sich rund 700 Disney-Kreaturen trotz manchen Geknurres und Gezeters vertragen, als trügen sie die Bibel unter ihrem Gefieder. In Disneys tierisch heiler Welt, in der stets das Gute über das Böse siegt, wird verständlich, warum sogar tödlich verfeindete Tiere auf der Arche Noah überlebten.

So, als sei Walt Disney nie gestorben, zitieren ihn die Disney-Manager auch heute noch unermüdlich: "Walt meinte", S.238 "Walt dachte", "Walt hat das so gesehen", ein Visionär, ein Gott der Zeichenkunst, ein guter Geist, der sich seine eigene heile Welt schuf, in der es keinen Rassenhaß gibt und keine Kriege, sondern nur liebenswerte skurrile Gestalten:

Da gibt es etwa den geizigen Milliardär Dagobert Duck, der per Kopfsprung in seinen Dukatenhaufen taucht. Daniel Düsentrieb, den genialen Erfinder, Schweine, Wölfe, die Biene "Spike", die Bulldogge "Butch", den Kanarienvogel "Frankie", das Pferd "Percy", die Elefanten "Dumbo" und "Colonel Hathi", Gorillas, Möwen, Katzen, Hasen und das Rehlein Bambi, das sogar Schlittschuhlaufen lernt.

Die Hauptrolle aber spielt ein Tier, das in den Biologie-Büchern der realen Welt als Schädling identifiziert wird: Mus musculus, die Hausmaus. Micky Maus, geboren am 18. November 1928 (als Figur im Zeichentrickfilm "Steamboat Willie"), sollte eigentlich Mortimer heißen und nach dem Willen von Vater Walt Disney weder "mit irgendwelchen sozialen Symbolen belastet" noch "Ausdruck für Frustrationen oder böse Satire sein", sondern einfach "eine kleine Persönlichkeit, die zum Lachen animiert".

Nach John Wayne (über 250 Filme) ist die Maus (118 Hauptrollen) zu einem der erfolgreichsten Filmstars der Welt geworden. Mann und Maus schrecken vor niemandem zurück, Helden ohne Fehl und Tadel, beide made in U.S.A. Sogar Ex-Präsident Jimmy Carter hält den Winzling für "den größten und meistbewunderten Führer der Welt".

Sie wird so bewundert, daß nun auch das Ausland seine Micky Maus haben will. Nahe Tokio bauen die Amerikaner jetzt an einer nahezu 500 Millionen Dollar teuren japanischen Disney-Welt, die von 21 japanischen Firmen und Banken finanziert und von Amerikanern - gegen die Beteiligung am Profit - erdacht und gemanagt wird. Geplantes Eröffnungsdatum: 1983.

nders als zu Hause, wo sie ihr "Disneyland" (bei Los Angeles) und "Disney World" (bei Orlando) in weitgehend sonnigen Zonen errichteten, stellen sich die US-Planer in Japan auf Schnee und Regen ein: Die simulierte Tropenlandschaft wird mit Gewächsen bepflanzt, die auch Wintertemperaturen überstehen, viele Freilicht-Projekte werden mit Dächern abgedeckt.

Im übrigen erwarten die Japaner von den Amerikanern klassisch japanische Fähigkeiten: Sie sollen die US-Disneywelt exakt kopieren. Eine japanische Märchengestalt oder gar Donald Duck mit asiatischem Antlitz ist unerwünscht.

Kein Zweifel: Das Mäuse-Phänomen ist dem von Coca-Cola gleichzusetzen, ein Produkt, das scheinbar zeitlos zu genießen ist, geschmacklich ausgerichtet eben auf globalen Konsum.

In der Bundesrepublik stellten sich acht Millionen Deutsche für "Bernard und Bianca, die Mäusepolizei" vor den Kinos an. In der letzten Dezemberwoche sahen 225 000 Pariser "Pongo und Perdita", die Geschichte von den Dalmatiner-Hunden. In Peking ließen sich Hunderte von Parteifunktionären in einer geschlossenen Veranstaltung den Disney-Streifen "Fantasia" vorführen. Die Auflage der im Stuttgarter Ehapa-Verlag herausgegebenen deutschen Micky-Maus-Hefte stieg in den letzten fünf Jahren auf 530 000 Exemplare wöchentlich.

In den USA brachten Marxisten als wissenschaftliche Studie einen Leitfaden für Donald-Duck-Leser auf den Markt: "How to read Donald Duck".

Donald-Duck-Fanclubs untersuchten ebenso ernsthaft, ob die Donald-Neffen Huey, Dewey, Louie (Tick, Trick und Track) etwa uneheliche Kinder seien. Ergebnis: In einem Comic-Buch (Jahrgang 1937) entdeckten die Experten ein "Fräulein Duck", das Donald bittet, die drei zu erziehen.

Offen blieb indes die Antwort auf die Frage, wo "Duckburg" (Entenhausen) liegt. Eine Theorie: an der Ostküste der USA. Denn als Donald bei einer Auktion niesen mußte und damit - ungewollt - in den Besitz eines Schiffes geriet, segelte er damit 2400 Meilen nach Duckburg.

Expertenfrage: Wieviel ist eine Entenmeile? Die Antwort fand sich in einem anderen - historischen - Comic: "1000 Entenschritte gleich eine Entenmeile." Da allerdings nicht verläßlich ermittelt werden konnte, wie groß Donald Duck ist, blieb auch seine Schrittweite unbekannt.

An die Theorie, daß Duckburg in Kalifornien oder Florida liegen könnte, mögen die Disney-Forscher nicht glauben. Auf einem Comic haben sie Schnee in Duckburg entdeckt, und der ist an der Sonnenküste kaum je zu sehen. An der Suche beteiligte sich sogar das seriöse New Yorker "Wall Street S.240 Journal", das auch bei Fanclubs in Hamburg recherchierte.

Für die Fans ist Donald in jedem Falle eine Ente ohne Tadel, obgleich seine beinah 50jährige Verlobung mit Daisy doch einige Fragen offenläßt. Aber niemals wurde er mit ihr in Situationen entdeckt, die seinem Vater das Gefieder in die Höhe getrieben hätten. Daß Donald nicht raucht und trinkt, versteht sich eigentlich von selbst.

1980 setzte der Disney-Konzern allein Micky-Maus-Kitsch-Produkte wie Uhren, T-Shirts und Aschenbecher für mehr als 29 Millionen Dollar ab. Sogar das Sportartikelunternehmen Adidas wird demnächst Hemden mit einer Disney-Figur bedruckt auf den Markt bringen: mit Goofy, dem tolpatschigen Hund.

Und dennoch: Allmählich zeigt auch Micky Maus, der Weltstar, Anzeichen von Altersschwäche.

1953 wurde das Ur-Vieh zum letztenmal - in "Simple Things" - in einer Hauptrolle gezeigt. Und Donald Duck, inzwischen fast ein halbes Jahrhundert alt, erschnatterte auf dem Langspielplatten-Album" Mickey Mouse Disco" 1980 zwar noch einen "Hit", von dem über zwei Millionen Platten allein in den USA verkauft wurden. Doch vom Gesamtumsatz des Disney-Konzerns brachten die Film- und TV-Einnahmen gerade noch 17,6 Prozent, 161,4 Millionen Dollar.

Im Film- und Fernsehgeschäft, so räumten die Disney-Manager im letzten Jahresbericht ein, sei "ein beträchtlicher Rückgang" zu verzeichnen, die Einnahmen aus dem einheimischen Markt seien sogar auf den "tiefsten Stand seit drei Jahren" gefallen. Schon sorgt sich etwa Disney-Neffe Roy Edward Disney, das Filmgeschäft, der "kreative Springbrunnen" des Konzerns, könnte versiegen.

Nur die Filmeinnahmen im Ausland (1980: 78,3 Millionen Dollar), die vor allem durch den Neuverleih des Streifens "Das Dschungel-Buch" zustande kamen, "haben uns vor einem katastrophalen Filmergebnis bewahrt", weiß ein Disney-Direktor, dem "Tränen in die Augen geraten", wenn er an die Rekordeinnahmen früherer Disney-Produktionen wie "Schneewittchen und die sieben Zwerge" oder "Mary Poppins" denkt.

Doch das war einmal. Inzwischen machten mehrere Disney-Produktionen, darunter etwa "Der letzte Flug der Arche Noah", empfindliche finanzielle Bruchlandungen.

Filme über den jungen Albert Einstein (Hauptdarsteller Richard Dreyfuss), die DDR-Flucht zweier ostdeutscher Familien im Ballon (Titel: "Night Crossing") sowie die Abenteuer eines Vogelmenschen ("Condorman") sollen nun eine neue "Ära dramatischer, realistischer Filme" einleiten, die "das Leben in der heutigen Welt reflektieren", so Disney-Verwaltungsratsvorsitzender E. Cardon Walker.

Im Sommer wird der 20. Zeichentrickfilm uraufgeführt. Titel: "The Fox and the Hound" (Der Fuchs und der Jagdhund) - die Abenteuer des Fuchses "Copper" und des Hundes "Todd". Derzeit sitzen die Zeichenkünstler im Disney-Hauptquartier zu Burbank (bei Los Angeles) an drei weiteren Feature-Zeichenfilmen. Produktionsdauer pro Streifen: rund vier bis fünf Jahre.

Doch das Film- und Fernsehgeschäft ist das einzige Problemkind bei den Disneys. Insgesamt verzeichnete das Imperium (24 000 Beschäftigte) nun schon im 13. Jahr hintereinander "Rekordumsätze und Profite".

Der Umsatz des Traum-Konzerns (Vermögen: mehr als 1,3 Milliarden Dollar) kletterte im letzten Jahr auf 914,5 Millionen Dollar. Der Gewinn betrug 135,2 Millionen Dollar nach Steuern.

Wichtigste Einnahmequelle sind die Amüsement-Parks "Disneyland" und "Disney World". 24,5 Millionen Besucher - mehr als dreimal so viele Menschen, wie alle deutschen Fußball-Bundesligaklubs in ihren Stadien zusammen an Zuschauern registrierten - ließen im Vorjahr 640 Millionen Dollar bei Disney. Allein am 31. Dezember kamen 92 969 in das "Magic Kingdom", das magische Königreich des Walt Disney in Florida. "Wir waren hart an der Grenze des Möglichen", erkannte einer der Disney-World-Manager, Charles Ridgeway, "man kann sagen, es war sehr voll."

Der Disney-Besitz in Florida erstreckt sich über 111 Quadratkilometer, eine Fläche von der Größe Kiels.

Heimlich hatte Walt Disney das Terrain nach und nach von Rinderzüchtern und Wochenendhausbesitzern aufkaufen lassen, um Spekulationspreise zu verhindern. Insgesamt zahlte der Konzern gerade 5,5 Millionen Dollar. Heute existieren auf dem Gelände neben dem Magic Kingdom eine Disneyeigene Stadt - Lakee Buena Vista -, Disney-kontrollierte Golfplätze, Hotels, Shopping-Zentren und Campingplätze. Wenn es brennt, rückt die Disney-Feuerwehr an, die 320 Ordnungshüter sind Disney-Angestellte. Die Filialen der "Sun"-Bank auf dem Disney-Gelände bedrucken Scheckhefte der Kunden - auf Wunsch - mit dem Micky-Maus-Emblem. Der Tennis-Shop am Disneyeigenen "Contemporary Resort Hotel", das zugleich Bahnhof der Disney-eigenen Alweg-Bahn ist, verkauft "Penn"-Tennisbälle, die ebenfalls mit dem Kopf der Micky Maus verziert sind.

Disneys Reich ist Jahrmarkt und modernes Wachsfigurenkabinett zugleich, Hollywood-Kulisse und Marionettentheater, eine Freilichtbühne, die beispiellos ist in der Welt. Die Straßenfeger tragen blütenweiße Anzüge, der Müll wird unterirdisch von einer Art Riesenstaubsauger im 100-Kilometer-Tempo abgesaugt.

Über Nacht werden jene Häuser neu gestrichen, an denen die Farbe zu verblassen scheint - von Disney-eigenen Gärtnereien werden frische Blumen herbeitransportiert. Eine heile Welt wie nirgends in Amerika, eine aus dem Disney-Märchen in die Realität umgesetzte Theaterkulisse.

Schwerfällige Brauereipferde ziehen Straßenbahnwagen über die "Main Street", die Hauptstraße des Königreichs, S.244 die vor das Cinderella-Schloß führt. Dort stehen die blau-weiß gekleideten "Kids of the Kingdom" und singen: "Everything is beautiful in the USA". Alles ist schön in Amerika.

Für Stunden, Tage auch, mag es so scheinen. Kein Wort in diesem Reich über Raub und Mord, Inflation und wirtschaftliche Krise. Hier können sich Erwachsene, die unter den Besuchern in der Mehrheit sind, die oft Tausende von Kilometern mit Omas und Kindern anreisen, Entennasen aus Pappe aufsetzen und sich wie Donald fühlen oder sich mit Pappohren wie Micky dekorieren. Für Blinde liegen am Eingang Kassetten bereit, die ihnen die Disney-Welt erklären. Hunde haben keinen Eintritt, doch ihre Zwinger vor der Tür sind klimatisiert.

Wie Theaterbesuchern bleibt den Disney-Gästen der Blick hinter die Kulisse verwehrt: hinter künstlich aufgeschütteten Wällen und Buschwerk verborgen, reihen sich Lagerhallen aneinander, Schiffswerften und Malerstudios. In einer Halle lagern rüssellose Elefanten, beinlose Cowboys, Handwerker drehen einem Indianerhäuptling ein neues Scharnier in die Kniekehle.

Der Micky-Maus-Darsteller, der sich mit anderen Disney-Geschöpfen eine Stunde später vor dem Rathaus oder Cinderella-Schloß mit den Touristen photographieren läßt, steigt aus dem Bus und drückt auf die Stechuhr. Sein Wochenlohn durchschnittlich 150 Dollar. Oftmals ist es für die Tierdarsteller unter den Kostümen derart heiß, daß sie unter dem Pelz mit batteriebetriebenen Ventilatoren nach Kühlung suchen.

Der Zugang zum Arbeitsplatz erfolgt durch die Unterwelt: Ein Tunnelsystem durchzieht das gesamte "Magic Kingdom". In den Tiefen unter der Traumwelt lagern 300 000 Kostüme, 9000 Kleider werden täglich ausgegeben. Die Uniformen werden jeden Tag gewechselt, ein Fleck auf der weißen Weste, und schon sind die Disney-Angestellten angehalten, die Jacke zu wechseln.

Planmäßig vorbestimmt ist, über welche Tunnel-Treppe angestelltes Personal das Magic Kingdom betreten darf. Ein Disney-Lokomotivführer etwa darf sich am Cinderella-Schloß nicht aufhalten - "das", so einer der Organisatoren, "wäre Stilbruch". Für den Zugang auf die Hauptstraße etwa sind die Ausgänge mit den Nummern 17 bis 22 vorgesehen.

Denn wer in diesem Reich Straßen fegt oder die Schiffe durch den Dschungel steuert, gilt nicht als gewöhnlicher Arbeiter oder Angestellter, sondern wird als "Schauspieler" eingestellt und an der eigens dafür eingerichteten Disney University auf seinen Job vorbereitet. Das Personal-Büro ist das "Casting Office", hier werden Rollen verteilt, aber keine Jobs.

Ob jener trunkene Bergarbeiter, der auf der Strecke der "Thunder Mountain Railroad" in der Badewanne schaukelt, mit den Zehen wackelt, ob im "Mission Control Center" bei einem simulierten Raketenstart die Sitze vibrieren, ob in der Piratenshow Plünderer unermüdlich Wein in die Kehle gießen oder US-Präsident Abraham Lincoln in der "Hall of Presidents" aufsteht und eine Rede hält -nahezu alle Figuren erhalten ihre Signale von einem der 30 Computer, die unter dem Kingdom operieren. Tief unten im künstlich aufgeschütteten betonierten Berg ist der Data General-Computer versteckt, der die Fahrt der "Thunder Mountain Railroad" kontrolliert. Sensoren tasten die Schienen ab, drei TV-Kameras verfolgen die Fahrt durch unübersehbares Gelände.

Ein Computer meldet der Zentrale auch, wann es in den Kühlräumen zu warm, ein anderer notiert, wie oft die Tür zum Safe geöffnet wird. Über Computer sind die Filialen in Anaheim und Orlando natürlich auch mit der Zentrale in Burbank verbunden.

Das zweistöckige Verwaltungsgebäude der Disney-eigenen Elektrizitätswerke dient zugleich als Versuchsstation für Solarenergie. Heizung, Warmwasser und Kühlanlagen werden durch die Sonne betrieben. Und alle fünf Minuten werden - hier schließt sich der Kreis - die Daten dieses Experiments elektronisch an das "Marshall Space Flight Center" der Nasa weitergeleitet und mit Erkenntnissen anderer amerikanischer Solar-Stationen verglichen.

Bevor überhaupt die Weltraum-Fähre "Columbia" abhebt vom John F. Kennedy Space Center, ist sicher: Amerikas Micky Maus im bunten Dress und Amerikas Astronauten in druckfesten Monturen sind bereits auf derselben Umlaufbahn:

36 000 Kilometer über dem Äquator kontrolliert ein geostationärer US-Satellit mit elektronischen Sensoren die Strömungs-Geschwindigkeiten, Wasserzusammensetzung und den Wasserstand jener Flüsse und Seen, die der Mäuse- und Entenvater Walt Disney in Florida schuf: "Disney World" - das Weltall und die Träume sind grenzenlos.

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Quark


 
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1. RE: Disneys Epcot im Spiegel vom 30. März 1981
08-Jun-05, 23:34 Uhr ()
Als Antwort auf Beitrag Nr. 0
 
Danke fuer diesen Querschnitt durch Disney-Artikel. Auf den Spiegel ist Verlass: Fuer 1981 ist dieser Artikel ziemlich gut recherchiert und erstaunlich vorurteilsfrei. Die ueblichen kritischen Untertoene gibts natuerlich, aber im Vergleich zu dem Anti-Amerikanischen Feuerwerk, das EuroDisney hat ueber sich ergehen lassen muessen wirkt das ja direkt harmlos. Habe schlimmeres befuerchtet. 1981 war Florida wahrscheinlich auch noch so weit weg, dass ein Spiegel-Autor nicht um seine intellektuelle Vorherschaft in Deutschland fuerchten musste. So aendern sich die Zeiten.

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