Aus der FAZUnterhaltung
Neues Spiel für die europäische Mickey Mouse
Von Christian Schubert
08. April 2005 Der Freizeitpark Euro Disney bei Paris will die Besucher vom heutigen Samstag an mit einer neuen Achterbahn "an die äußersten Grenzen des Universums" reisen lassen. Mancher Investor wird sich denken, daß er dort längst angekommen ist. Die Aktie notiert derzeit bei 13 Cent, nachdem sie für umgerechnet 11 Euro 1989 ausgegeben wurde. Eine ewige Mondfinsternis für die Anleger?
Vor ziemlich genau 13 Jahren wurde der Park am Rand der französischen Hauptstadt eröffnet. Manchem Beobachter oder Beteiligten mag die Zeit wie Lichtjahre vorkommen, denn sie war von ebenso vielen Rückschlägen wie Erfolgen markiert. Im vergangenen Jahr entging Euro Disney nur knapp dem Bankrott, nachdem sich die Gläubiger zu einem Schuldenverzicht aufrafften und die Anteilseigner an einer Kapitalerhöhung teilnahmen.
Mehr Besucher als Louvre und Eiffelturm zusammen
Dem Auf und Ab des Unternehmens liegt ein Paradox zugrunde: Euro Disney zieht heute so viele Besucher an wie keine andere Touristenattraktion in Europa. Mit mehr als zwölf Millionen Menschen kommen jährlich mehr Personen als zum Louvre und Eiffelturm zusammengenommen. Doch die Schuldenlast, die aufgrund hoher Aufbaukosten und Planungsfehler vor allem eine Hypothek der Vergangenheit ist, verdunkelt den Horizont der Gesellschaft auch in den nächsten Jahren.
Euro Disney hat sich nun zur Flucht nach vorne entschieden: Man investiert ins Kerngeschäft der Besucherattraktionen, um die Einnahmen zu erhöhen. "Space Mountain - Mission 2" sind die Stichwörter, die seit Tagen auf T-Shirts, Tassen und den TV-Bildschirmen prangen. Damit ist die Erneuerung der schon vorher wilden Achterbahn-Fahrt im Innern einer zum "Weltall" umfunktionierten Großraumhalle gemeint. Die Teilnehmer sollen sich wie Astronauten auf der Reise ins Unbekannte fühlen, wenn sie auf eine Geschwindigkeit von 14 Metern pro Sekunde beschleunigt werden, um an Kometen und Meteoren vorbei durch drei Loopings und eine Korkenzieher-Drehung zu rasen.
Investitionen in neue Attraktionen
Wieviel der Umbau gekostet hat, will Euro Disney nicht verraten. Wahrscheinlich soll die Zahl nicht enttäuschen, denn allzu grundlegend ist die Erneuerung von "Space Mountain - Mission 2" gegenüber der vorherigen Version nicht. Doch Marketing ist alles. Ein kleines Heer von Journalisten - und, wenn vorhanden, deren Kinder - wurde in den Park eingeladen, um sich auf den Flug durchs Weltall zu begeben.
Euro Disney beläßt es freilich nicht bei der Modernisierung des Space Mountain. Ein großer Heißluftballon wurde als neuer Aussichtspunkt installiert, außerdem ein Imax-Kino mit Riesenleinwand eröffnet. Im nächsten Jahr soll eine Attraktion starten, bei der man mit dem Astronauten Buzz Lightyear aus dem Kinofilm "Toy Story" gegen das Monster Zorg kämpfen kann. 2007 sollen die Kinder hinter die Kulissen eines neuen Filmstudios schauen dürfen. Und für 2008 ist ein "Turm des Schreckens" geplant, in dem sich die Gäste in einem abstürzenden Aufzug vergnügen dürfen.
Noch immer klafft eine Besucherlücke von mehreren Millionen
Fast die gesamten Mittel der in diesem Jahr erfolgreich abgeschlossenen Kapitalerhöhung über 253 Millionen Euro sollen in die neuen Attraktionen fließen. Der Präsident von Euro Disney, Andre Lacroix, will damit die Besucherlücke verkleinern, die, gemessen an den ursprünglichen Prognosen, immer noch besteht. 16 Millionen Besucher sollte Euro Disney einst jährlich anziehen, so stand es 1989 im Börsenprospekt. Ein zweiter, später eröffneter Park sollte acht Millionen Gäste anlocken. Die zweite Anlage namens "The Walt Disney Studios" kam tatsächlich. Doch zur Unzeit. Kurz zuvor hatten die Terroranschläge vom 11. September 2001 einen Einbruch im Tourismus verursacht, der später durch den Irak-Krieg, die Hitzewelle 2003 sowie französische Streiks verschärft wurde. Die Studios ziehen nach Branchenschätzungen bisher nur 2,2 Millionen Besucher im Jahr an.
Die finanzielle Restrukturierung, an der vor allem der Großaktionär Walt Disney aus Amerika, der saudische Prinz Alwaleed Bin Talal und mehrere Banken teilnehmen, ließ die Verschuldung von 2,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf 1,95 Milliarden Euro fallen. Doch immer noch sind die Zinskosten enorm. 2004 verschlangen sie mehr als 100 Millionen Euro - bei einem Betriebsergebnis von nur 24 Millionen Euro. Gierige Hedge Fonds, die einen Teil der Schulden gekauft hatten, ließen sich ihre Teilnahme an der Umschuldung teuer abkaufen. "Es wird noch einige Jahren dauern, bis wir wieder profitabel sind", senkte Lacroix Anfang des Jahres vor Journalisten die Erwartungen.
Weg vom Eintagesausflug hin zu mehrtägigen Aufenthalten
Die Gewinnschwelle will der Franzose, der früher bei Burger King in Deutschland gearbeitet hat, unter anderem durch den Auftritt als Urlaubressort für mehrtägige Aufenthalte anstatt Eintagesausflügen erreichen. Dazu soll in mehr Hotelbetten investiert und eine Zusammenarbeit mit dem Feriendorfbetreiber Pierre & Vacances aufgebaut werden. "Wir sind ein Ressort, nicht ein Freizeitpark. Doch mit dem Vermitteln dieses Konzeptes stehen wir nach zwölf Jahren noch am Anfang", sagt Lacroix. Ein Potential von 122 Millionen Gästen sieht der Manager allein in Westeuropa, von denen drei Viertel Euro Disney noch nicht besucht haben. Die Briten sind mit Abstand die größten Kunden außerhalb Frankreichs. Ihr Besucheranteil von 19 Prozent läßt den aus Deutschland von nur 6 Prozent verblassen.
"Wir bieten eine ganz neue Art von Familienurlaub an", sagt Lacroix. Die Fehler der Frühzeit, als die aus Amerika importierten Manager im Weinland Frankreich etwa keinen Alkohol ausschenken wollten, gelten als überwunden. Heute bietet Euro Disney mehr Sonderveranstaltungen - etwa einen Kinderkarneval -, um die schwierige Wintersaison zu überbrücken, in der das Ressort im Gegensatz zu anderen Parks geöffnet hat. Gleichzeitig drängt Lacroix die französische Regierung, mehr Billigfluggesellschaften nach Frankreich zu lassen, weil diese seiner Meinung nach den internationalen Tourismus revolutionieren.
Der französische Staat gilt als die unsichtbare Schutzmacht im Hintergrund. Immerhin hat Euro Disney östlich von Paris für die Schaffung von 43.000 neuen Arbeitsplätzen gesorgt, zu der die Regierung durch billiges Land und den Anschluß von Bahnverbindungen beigetragen hat. Im Fall des Falles dürfte also immer der französische Staat bereitstehen, um der europäischen Mickey Mouse das Überleben zu sichern.
Text: F.A.Z., 09.04.2005, Nr. 82 / Seite 18