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Sue im Wunderland
17-Feb-02, 23:20 Uhr ()
Artikel Süddeutsche Zeitung, 16. 02. 2002

Sue im Wunderland

Früher hat sie für die „Beatles“ gearbeitet, heute schafft sie für Micky Maus: Disneys Pariser Chefdesignerin Sue Lecash


Goofys Pulli ist ausgeleiert. Die Strickstreifen haben jede Form aufgegeben, mit den schlaffen Ärmeln könnte man Entenhausens Straßen fegen. Künstlerpech für Sue Lecash; sie zerrt entschlossen an den Maschen und bestimmt schließlich, dass Goofy einen neuen Pulli bekommt. Das gleiche Stück, nur diesmal aus Fleece. Das leiert nicht. Und wärmt genauso.

Kleopatra macht weniger Ärger. Fast zärtlich streicht Lecash über den prächtigen Stoff. „Mein Lieblingskostüm“, sagt sie. Von Mitte März an kommt Leben in das schöne Tuch; sobald Kleopatra im neuen Park ihren ersten Auftritt hat, kann Lecash aufatmen. Der Weg bis zu der 600000 Euro teuren Disneyattraktion war lang – 1000 Kostüme lang.

Lecash, 56, ist Designerin. Bei ihr zu Hause steht sogar ein Emmy- Award, weil sie die Schauspieler in der englischen TV-Produktion „Edward the King“ in den Siebzigerjahren in eindrucksvolle Roben steckte. Was sie für Disney in Marne-la-Vallée in der Nähe von Paris entwirft, muss allerdings mehr als einen Film überstehen, länger als einen Spaziergang über den Laufsteg oder ein paar Launen verwöhnter Society-Damen lang taugen. Lecashs Verkleidungen lassen sich quälen, werden jeden Tag durch Wind und Wetter getragen, müssen Schnee, Regen, notfalls auch Hagel aushalten, dürfen auch in gleißender Sommer-Mittagssonne keine Farbe verlieren. Und allabendlich landen sie in der Reinigung. Jahrelang. Ein einziger Härtetest, so ein Dasein als Disneyklamotte. Für jemanden, der Kostüme entwirft vielleicht das letzte große Abenteuer.

Als Lecash ihr Londoner Atelier aufgab, um als Chefdesignerin im Disneyland Paris anzufangen, stand der Park kurz vor der Eröffnung. Lecash hatte die Londoner Modeschule St. Martins hinter sich und ein paar fabelhafte Jobs für englische Film- und Fernsehproduktionen, sie hatte die Beatles-Filme und die Bühnenshows von Elvis Presley und Tom Jones ausstaffiert, später auch den „Wings“ witzige Outfits verpasst. „Für Linda McCartney“, sagt die Engländerin ein bisschen wehmütig, „habe ich sehr viel gearbeitet.“ Mit der Mode war sie längst fertig: „Ich dachte immer viel theatralischer. Nicht so kühl und geometrisch, wie es damals en vogue war.“ Lecash wollte es witzig, überkandidelt, bunt und glitzernd. Paradiesvogelig zusagen. Ein bisschen wie aus einer anderen Welt. Aus der Welt der Phantasiefiguren.

An Lecashs erstem Arbeitstag bei Disney gab sich diese Welt ziemlich grau. Von ihrem Hotel in Paris aus war die Designerin morgens zum Crew- Eingang des Parks gefahren. Es war dunkel draußen, kalt, und es regnete. Im Büro empfing sie ihr amerikanischer Kollege mit einem Videofilm von einer der schrillen Paraden im Mutterhaus – Disneyworld in Florida. Lecash sah wuchtige Wagen, tanzende Kürbisse und Frauen in Federkleidern. „Sowas ähnliches“, sagte der Kollege, „brauchen wir hier für die Eröffnungsparade.“ Was er nicht sagte, war, dass es mit ein paar Wagen nicht getan war. „7000 Kostüme wollten die in einer Woche“, erzählt Lecash. „Ich war absolut geschockt.“

Sicher: Mickey hatte sein Latzhöschen, Donald seinen Matrosenanzug und Schneewittchen ihr Puffärmelkleidchen– aber die meisten Figuren kannten keine Standards und brauchten neue, phantasievolle Outfits. Abgucken in Amerika? No way: Phantasie, stellte Lecash schnell fest, ist Geschmacksache, und Geschmäcker sind verschieden: „In Europa wollen die Leute raffinierte, feine Schnitte sehen, die oft ziemlich eng geschnitten sind. Die amerikanischen Parkbesucher dagegen lieben es sehr schrill und pompös.“ Japans Disneyversion gibt sich gewöhnlich sogar noch ausladender: Farbenfeuerwerke, Glimmer und Glitzer– Kitsch as Kitsch can.

Als Lecash an jenem Abend wieder nach Paris zurückfuhr, war es dunkel draußen, kalt, und es regnete. In ihrem Kopf allerdings war alles voller Farben. Farben für 7000 neue Kostüme.

Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Bunte Jahre. Wer Lecash heute im Disney-Designertrakt besucht, verfällt ins Märchenraten: Das prächtige dunkle Samtkleid könnte Schneewittchens böser Stiefmutter gehören, das Leopardenoutfit vielleicht irgendwie zu Tarzan passen. Man muss sich ducken unter ausladenden Krinolinen, steigt über Schaumstoffpanzer, entdeckt das Weihnachtsstern-Kostüm aus der ChristmasParade und ein Püppchen im Kimono, das Lecash seinerzeit aus China mitgebracht hat, als sie Stoffe für die Mulan- Bühnenshow suchte.

Auch Lecashs kleines Büro bevölkern seltsame Gestalten: Als Skizzen an den Wänden und auf der Festplatte ihres Computers, auf dem sie ihre Zeichnungen einscannen lässt, seitdem die riesigen Mappen in den Schränken überquellen. Zur Zeit ist der Raum vor allem voller Musiker: Schwarz-weiße Dandys, lässige Trommler, Glamourtypen mit Gitarren. Derzeit leistet sie wieder Schwerstarbeit: Die Disneyfamilie bekommt Nachwuchs. Am 16. März eröffnet hier in Paris mit den „Walt Disney Studios“ ein neuer Park rund um die Filmwelt – und für den Paradetag werden mehr als 1000 neue Kostüme gebraucht.

Aus wuchtigen Kartons quellen Stoffproben. Lecash zupft hier, lässt da einen Zipfel durch ihre zierlichen Finger gleiten. „Die Leute denken, Designer sitzen nur vor ihren Buntstiften“, sagt sie und lacht. „Tatsächlich hocken sie zwischen Kisten voller Spitzen und Bändern.“ Tagelang fahndet sie auf Messen nach ausgefallenen Materialien. Notfalls sogar auf Bauausstellungen.

Irgendwann hat sie dabei auch den Kunststoffschaum entdeckt. Für Masken, Hüte, Rundungen. Bildhauer arbeiten viele ihrer Maskenentwürfe erstmal als Prototypen aus Ton, bevor Lecash sie als Schaumgebilde für die Show an fertigen lässt. Prototypen sind Vorsichtsmaßnahmen, falls doch mal ein Blind gänger unter den Entwürfen ist. Wie zum Beispiel das afrikanische Masken ungetüm für die Millenniumsparade: Toll sah es aus und trug sich wohl auch gar nicht übel. Nur nicht so lange. 15 Kilogramm am Körper hätten die Tänzer bald lahmgelegt. „Die Details selbst waren gar nicht so schwer“, erzählt Lecash, die privat am liebsten simple Schnitte trägt. „Nur alle zusammen, das hat sich addiert. Das haben wir schließlich umgearbeitet.“

Menschen in eine zweite Haut stecken, Körper verkleiden – das ist ihre Leidenschaft. Noch spätabends, wenn sie in ihre zum Wohnhaus umgebaute Mühle in der Nähe der Disney-Parks zurückkehrt, blättert sie sich in Bildbänden durch die Jahrhunderte und Kontinente. Schon als kleines Mädchen bastelte sie ständig an Umhängen und Röcken für ihre Puppen. Ihre kleinen Schwestern allerdings wehrten sich erfolgreich, wenn Sue ihnen mit ihren Ideen zu Leibe rückte.

Kürzlich allerdings machte die 56-Jährige höchst unfreiwillig den Ausrüster: Ein Lastwagen voller Kostüme für die Show vom „Glöckner von Nôtre Dame“ wurde in Paris geklaut. Ein Albtraum, natürlich. Auch für die Diebe übrigens: Wer erbeutet schon gerne einen Haufen Esmeralda-Kleider?

Die schwarz-weißen Dandys, die lässigen Trommler, die Glimmer- Gitarristen werden nicht verloren gehen, hofft Lecash. Kleopatra natürlich auch nicht. Sie alle werden vom 16. März an im Disney-Rampenlicht stehen. Und allabendlich in der Reinigung verschwinden. Ein ganzes buntes Leben lang.

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No ned huddla

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