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Bremer Autor veröffentlicht neues Buch - 14.10.2010
Zeitreise durch die Freimarktsgeschichte
Von Thomas Joppig
Bremen. Es ist ein weiter Weg vom Mittelalter zu den modernen Karussells auf der Bürgerweide. Der Bremer Autor Johann-Günther König nimmt die Leser seines neuen Buches mit auf eine Zeitreise zu Moritatensängern, Kühen mit zwei Köpfen - und anderen Freimarktsattraktionen vergangener Jahrhunderte.
Bremen. Der feine Herr mit Anzug und Weste hat es sich auf dem Freimarkt gut gehen lassen. Offenbar etwas zu gut. Die Augen sind glasig, der Gang schwankend. Doch zwei adrette Damen mit Federhüten haben ihn untergehakt und blicken ihn von der Seite verständnisvoll lächelnd an. Ein paar Meter weiter übergibt sich ein anderer Freimarktbesucher in seinen Zylinder, ein weiterer ist dagegen noch gut bei Kräften und trägt seine Freimarktliebe huckepack über den Festplatz.
„Ischa Freimaak“ – diesen halb triumphierenden, halb entschuldigenden Ausspruch hat man offensichtlich auch schon 1899 gekannt, als diese Postkarte gedruckt wurde. Sie stammt aus der Sammlung des Bremer Schaustellers Paul Reinecke-Emde und ist nur eine von vielen kuriosen Karten, die in dem Buch „Der Bremer Freimarkt – Die Schausteller und ihr Publikum“ abgedruckt ist. Rechtzeitig zum 975. Geburtstag des Volksfests hat der Bremer Kellner-Verlag den lesens- und betrachtenswerten Band auf den Markt gebracht (128 Seiten, 14,95 Euro). Der renommierte Sachbuchautor Johann-Günther König nimmt die Leser mit auf eine Zeitreise durch die Freimarktsgeschichte.
Am Anfang stand der Handel im Mittelpunkt
Schon auf den ersten Seiten seines sachkundig und zugleich unterhaltsam geschriebenen Buches räumt König mit einer zwar schönen, aber falschen Vorstellung auf. Nämlich mit dem Klischee, dass in Bremen schon seit fast tausend Jahren alljährlich im Oktober ausgiebig gefeiert wird. „Der Freimarkt, so wie wir ihn heute kennen“, sagt König, „hat seine Konturen erst vor gut 200 Jahren entwickelt.“
In den ersten Jahrhunderten habe nicht das Freizeitvergnügen im Mittelpunkt gestanden, sondern – so wie es der Name schon andeutet – der freie Handel. Als Kaiser Konrad II. im Jahr 1035 dem Bremer Erzbischof Bezelin die sogenannte Marktgerechtigkeit verlieh, gab er der Stadt damit das Recht auf einen zweiten Termin, an dem Wanderkaufleute ihre Waren feilbieten konnten. Zuvor war dies nur in der Woche vor Pfingsten erlaubt. Aus überlieferten Quellen sei zwar ersichtlich, dass in Bremen schon früh Gaukler, Akrobaten, Quacksalber, Musikanten und Wahrsager gastierten, sagt König, „aber wenn man auf die Daten schaut, merkt man schnell, dass sich die Gastspiele über das ganze Jahr verteilten. Das war keine Besonderheit der Freimarktszeit.“
Wachsende Sehnsucht nach Vergnügungen
Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert wuchsen die Städte, und das Bürgertum gewann an Einfluss. Mit der Erfindung der Dampfmaschine begann die Industrielle Revolution. Mühsam erkämpften sich die Arbeiter Freizeit. Zeit, in der sie etwas erleben wollten. Die wachsende Sehnsucht nach Vergnügen und Ablenkung vom Arbeitsalltag machte die Volksfeste groß.
1818 stand erstmals nachweislich eine Schaukel auf dem Freimarkt, vier Jahre später das erste Karussell. Bewegt wurden die Jahrmarktsattraktionen damals noch mit menschlicher Muskelkraft. Doch viel wichtiger als das Fahren war das, was es auf den Jahrmärkten zu sehen gab. In Wachsfigurenkabinetten staunten die Besucher über die plastischen Nachbildungen von Adligen und menschlichen Organen. „Diese Kabinette dienten teils der Bildung, teils waren sie aber auch so etwas wie die ,Bunte’ des 19. Jahrhunderts“, sagt König. In Schaubuden traten kleinwüchsige und besonders große Menschen auf. Besonders starke Frauen trugen Männer aus dem Publikum auf ihren gewaltigen Busen umher, und in Völkerschauen wurden Menschen aus fernen Ländern gezeigt, etwa Schwarzafrikaner.
Wobei es die Schausteller mit der Wahrheit oft nicht so genau nahmen – auch dafür gibt es im Buch amüsante Beispiele: So wurde mancher Kirmesarbeiter mithilfe von Schuhcreme zum Afrikaner, und die vollmundig angekündigte lebende Kuh mit zwei Köpfen war angeblich kurz vor dem Freimarkt gestorben und entpuppte sich in der Schaubude bei näherem Hinsehen als ausgestopftes Rind, dem mit groben Nadelstichen ein zweiter Kopf angenäht worden worden war. „Aber auch dieses Hinters-Licht-geführt-werden gehörte für viele Besucher einfach zum Freimarkt dazu.“
Zwischen Moritatensängern und moderner Technik
Die Dampfmaschine und der elektrische Strom ermöglichten zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer größere, schnellere und aufwendigere Karussells. „Am liebsten wäre ich in den 20er-Jahren als Kind auf Freimarkt gewesen“, sagt Johann-Günther König. „Das war eine spannende Umbruchzeit, in der die Volksfeste immer größer wurden: Es gab noch all die alten Schaubudenattraktionen, die Drehorgelspieler und die Moritatensänger, aber auch schon reisende Kinos und die ersten Achterbahnen.“
Der außergewöhnlich hohe Stellenwert, den die Bremer ihrem Volksfest beimessen, habe übrigens auch religiöse Gründe: „Anders als in katholisch geprägten Gegenden wurde im protestantischen Bremen früher nie Karneval gefeiert“, sagt König. „Der ganze Drang nach Vergnügungen konzentrierte sich deshalb auf den Freimarkt.“
Weser Kurier vom 14.10.2010
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