Das "Phänomen Freizeitpark" und die KircheAus dem Konradsblatts Nr. 12 vom 20.03.2005
An diesem Wochenende beginnt im "Europapark" bei Rust die Saison – zugleich feiert man ein Jubiläum: vor 30 Jahren wurde der Freizeitpark eröffnet. Inzwischen hat sogar die Kirche den Park als Ort für die Seelsorge entdeckt.
Offen gesagt: es gibt Themen, die einem näher liegen. Natürlich war auch ich schon im "Europapark", mehrmals sogar. Die erste Begegnung liegt fast 20 Jahre zurück. An der Tafel im Klassenzimmer wurden die Stimmen derer gezählt, die genau diesen Ausflug machen wollten. Der "Europapark" hat um Längen gewonnen. Das Gelände in Rust strahlte wohl für jeden Unterstufenschüler aus Karlsruhe einen geheimnisvollen Glanz aus.
So ging es per Bus in die südliche Ortenau. Viel von dem Tag ist dann aber doch nicht "hängengeblieben": allenfalls die Wildwasserbahn. Für die rasanteren Fahrgeschäfte fehlte es an Mut – aber ehrlich gesagt: auch am Interesse.
Bis heute empfinde ich bei dieser Form von Nervenkitzel kaum einen Reiz. Es ist sicher etwas Besonderes, in Europas größter Achterbahn, dem "Silver Star", mit 130 Stundenkilometern in die Tiefe zu stürzen. Ein solches Tempo soll der Abwärtsbeschleunigung eines Kampfjets entsprechen. Aber warum sollte man das eigentlich tun wollen? Kampfpilot habe ich nicht eine Sekunde als mögliches Berufsziel erwogen.
Auch mit den Ministranten musste man nach Rust. Aber im Wesentlichen habe ich die Entwicklung von Deutschlands größtem Freizeitpark eher aus sicherer Entfernung beobachtet.
Immerhin war auch aus dieser Perspektive nicht zu übersehen, wie der "Europapark" ständig gewachsen ist. Die Zahlen der Erfolgsgeschichte können einen schwindlig machen. Seit der Eröffnung vor genau 30 Jahren sind rund 62 Millionen Menschen in den Park gekommen, allein im vergangenen Jahr waren es mehr als 3,7 Millionen Besucher. Früher gab es deswegen schon auf der Autobahn lange Schlangen und Hinweisschilder, die das rechtzeitige Einordnen empfahlen. Möglich wurde der neue Besucherrekord übrigens auch deshalb, weil der Park seit dem Jahr 2001 sogar für einige Wochen im Winter geöffnet hat.
Die Leute kommen von überall her. Laut einer Statistik stammt nur knapp die Hälfte der Besucher aus Deutschland. Der Rest sind Gäste, vor allem aus Frankreich und der Schweiz, auch darüber hinaus. Diese Erhebung veranlasst die Verantwortlichen zu der Aussage, der "Europapark" sei nach dem Kölner Dom das meist besuchte Tourismusziel in Deutschland.
Es gibt also eine ungeheure Nachfrage. Achterbahnen und Co. wirken auf weite Teile der Bevölkerung offensichtlich alles andere als abschreckend. Wobei: die Lust am "höher, schneller, spektakulärer" ist nur ein Teil des Erfolgs. Eine "Mischung aus Abenteuer, Show und Illusion" wolle er seinen Besuchern präsentieren, hat "Europapark"-Chef Roland Mack kürzlich in einem Interview gesagt: "Bei uns können die Besucher in kurzer Zeit viele Abenteuer erleben und in eine andere Welt eintauchen." Das heißt: die Fahrgeschäfte sind eingebettet in Themenlandschaften, die verschiedene Länder darstellen. Alles übrigens gebaut mit Originalmaterial. "Wer bei uns im griechischen Dorf sitzt, hat das Gefühl, er sitze an einem Marktplatz auf Mykonos", erklärt Roland Mack: "Unser größter Konkurrent heißt Mallorca."
Tatsächlich scheinen sich immer mehr Menschen den Flug in den Urlaub zu sparen und sich ihr Griechenlanderlebnis eben in der Ortenau zu holen. Bereits jeder vierte Besucher bleibe mindestens zwei Tage im "Europapark". Diesen Trend zum Kurzurlaub greift Mack auf – und verstärkt ihn durch ein immer umfangreicheres Angebot. Drei Themenhotels sind heute in die Anlage eingegliedert, mehr als 4000 Betten stehen zur Verfügung.
Was ist eigentlich so anziehend an diesem Gesamtkunstwerk "Europapark"? Man ist versucht, das Ganze als Gipfel- oder (je nach Sichtweise) als Tiefpunkt der Spaß- und Erlebnisgesellschaft zu sehen. Gewissermaßen eine durchgängige "Loveparade" für ein Land, das der einstige Bundeskanzler Helmut Kohl einmal in seiner Gänze als "kollektiven Freizeitpark" bezeichnet hat.
Brauchen Menschen heute den immer extremeren Kick, um ihrem Alltag einen Sinn zu geben? Oder entfliehen sie einfach gerne aus einer Welt, die keine Abenteuer, dafür aber mehr als fünf Millionen Arbeitslose hat? Sind Freizeitparks – ähnlich wie Wellnessoasen und Einkaufszentren – die "Kathedralen unserer Zeit"?
Fest stehen dürfte jedenfalls, dass Einrichtungen wie der "Europapark" eine verbreitete Suche, vielleicht sogar eine Sehnsucht ansprechen. Das hat in früheren Zeiten auch die Kirche geschafft, und deshalb interessiert sie sich in der jüngeren Vergangenheit speziell auch für den "Europapark". Im Mai 2002 etwa lud die Jugendarbeit im Erzbistum Freiburg unter dem Stichwort "Happyluja" in den Park ein. Zur Eröffnung des neuen Hotels "Colosseo" kam im vergangenen Jahr Erzbischof Robert Zollitsch. Mit dem neuen "Sinnenpark Ostergarten" werden gezielt kirchliche Gruppen angesprochen. Ja, man denkt sogar über eine ständige Präsenz nach.
Das Ganze ist nicht unumstritten. Läuft die Kirche damit nur einem Modetrend hinterher? Muss nicht der Eindruck entstehen, das eigene "Angebot" sei genauso tiefgründig wie ein paar Minuten Achterbahnfahrt, nämlich gar nicht? Darf sich die Kirche in die Nachbarschaft von Wellness und "Spaß ohne Grenzen" (so einmal ein Slogan des "Europaparks") begeben?
"Das hat schon etwas mit Wagnis zu tun", hat Weihbischof Paul Wehrle, der Verantwortliche für die Jugendarbeit im Erzbistum, mit Blick auf "Happyluja" gesagt. Man könne es aber auch "missionarisch" nennen. Kirche wolle bewusst dorthin gehen, wo sich die Jugend heute ohnehin gerne aufhält. Wehrle weiter: "Kirchliche Jugendarbeit kann nur mitten unter den Jugendlichen eben für diese jungen Menschen zum Zeichen dafür werden, dass das Leben weiter und tiefer und verheißungsvoller ist als was uns dafür Tag für Tag angeboten wird." Das heißt konkret: in den Park zu den Menschen gehen – aber sich nicht vereinnahmen lassen, sondern auch auf die Unterschiede aufmerksam machen: Das Sinn-"Angebot" der Kirche reicht weiter.
Dass die Kirche heute auch unkonventionelle Wege beschreiten sollte, um gerade auf junge Menschen zuzugehen, ist wohl unumstritten. Dass man damit erst Erfahrungen machen muss – und es manchen nie wird Recht machen können –, ist ebenso klar. Im Zweifel könnte man sagen: Mut zum Experiment, zum Aufbruch. Den "Ostergarten" – und dann auch den Rest vom Park – will ich mir jedenfalls anschauen. Achterbahnfahren ist ja keine Pflicht.
Stephan Langer
Gruß Thomas
http://www.ep-fans.de