Von Frank MenkeDer Maler und Kunstprofessor Jörg Immendorff ist am Montag (28.05.07) im Alter von 61 Jahren in seinem Haus in Düsseldorf gestorben. Das teilten seine Ehefrau Oda Jaune-Immendorff und sein betreuender Neurologe Thomas Meyer mit. Ein Nachruf.
Pointiert, gerade heraus, mitunter aggressiv: Jörg Immendorff hatte sich vor Ausbruch der Nervenkrankheit ALS stets als "starker Mann" gefühlt. Zuletzt war er zum Gefangenen seines Körpers geworden. 1998 hatte er die todbringende Diagnose erhalten: ALS1 -
Amyotrophe Lateralsklerose. Die unheilbare Nervenkrankheit führt erst zu Lähmungen, schließlich zum Erstickungstod. Immendorffs letzte öffentliche Auftritte dokumentierten seinen Verfall. Wegen der fortschreitenden Lähmung von Händen, Armen und Beinen saß er im Rollstuhl. Für einfachste alltägliche Verrichtungen benötigte er fremde Hilfe.
Immendorff resignierte angesichts seiner Gebrechen nicht. "Irgendwann ist eben Schluss", sagte er in einem "Stern"-Interview. Auch wenn er seinen Malpinsel nicht mehr halten konnte und nach seinen Anweisungen malen ließ, blieb die Kunst sein Lebenselixier. Erleichtert war er, als er im November 2004 wieder an der Düsseldorfer Kunstakademie lehren durfte. Die damalige NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft hatte nach Immendorffs spektakulärem Kokain-Prozess, in dem er zu elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden war, seine Suspendierung aufgehoben.
Soweit es seine Kräfte zuließen, rückte er seine Krankheit ins öffentliche Bewusstsein. An der Berliner Charité rief er eine ALS-Stiftung ins Leben, die er auch mitfinanzierte. Er engagierte sich für Christoph Schlingensiefs Projekt "Kunst als Gemüse - Theater ALS Krankheit" an der Berliner Volksbühne. Auch Schauspielerin Veronica Ferres unterstützte sein Bemühen, über die unheilbare Nervenkrankheit aufzuklären. Sie hielt zudem die Laudatio, als der Heinrich-Bauer-Verlag Immendorff im Mai 2005 mit der "Goldenen Feder" für sein Lebenswerk auszeichnete. Wie immer an seiner Seite: seine junge Frau Oda, mit der er eine kleine Tochter hat und die trotz mancher Eskapade immer zu ihm hielt.
Querkopf in Beuys-Ritterrüstung
Immendorff war stets ein Querkopf. Am 14. Juni 1945 in Bleckede bei Lüneburg geboren, kam er Anfang der 1960er Jahre an die Düsseldorfer Kunstakademie und landete bei Bühnenbildner Teo Otto. Von dessen Assistenten wurde Immendorff aus der Klasse gefeuert, "weil ich meine Kunst nicht als Partydekoration missachtet sehen wollte." 1964 folgte die schicksalhafte Begegnung mit seinem Übervater Joseph Beuys. Wie immer bezog Immendorff eindeutig Position, ließ sich sogar verspotten, als er seinem Meister in einer selbstgebastelten Beuys-Papp-Ritterrüstung huldigte. Immendorff wurde sein Meisterschüler, engagierte sich politisch für die KPD/ML, später für die Grünen. Aufsehen erregte er erstmals mit neodadaistischer Aktionskunst - und zwar so sehr, dass er von der Akademie flog, an die er dann schließlich 1996 als Professor zurückkehrte.
Vom Revoluzzer zu Schröders Lieblingsmaler
1972 war Immendorff reif für die "documenta 5". Der Durchbruch gelang ihm zwischen 1977 und 1983 mit dem 19-teiligen Bilderzyklus "Café Deutschland." Realistisch-expressiv thematisierte er die Teilung Deutschlands und deren Nachhall, lieferte Visionen einer Wiedervereinigung. Stets kritisch begleitete er auch die Rolle der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft - wie etwa in seiner Bilderserie "Café de Flore" (1987 bis 1992). 1996 zeichnete ihn das Museum Monterey in Mexiko mit dem höchstdotierten Kunstpreis der Welt aus, dem mit 250.000 Dollar verbundenen Marco-Preis. Immendorff erhielt Gastprofessuren von Schweden bis China, gestaltete Bühnenbilder für die Salzburger Festspiele, kreierte sogar eine Modekollektion. Er war Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Salzburg, stieg zu Gerhard Richter, A.R. Penck oder Georg Baselitz in den Kunst-Olymp auf. Und welch eine Ironie der Geschichte, dass der ehemalige Revoluzzer und Verfassungsfeind zum Lieblingsmaler von Ex-Bundeskanzler Schröder (SPD) avancierte.
Freunde: Der Maler und der Ex-Kanzler
Schröder war denn auch zur Stelle, als die Neue Nationalgalerie in Berlin dem führenden Vertreter deutscher Gegenwartskunst im September 2005 eine Retrospektive unter dem Titel "Immendorff. Male Lago - Unsichtbarer Beitrag" widmete. Der Künstler revanchierte sich Anfang des Jahres 2007 mit einem offiziellen Porträt Schröders, das dieser dem Bundeskanzleramt als Dauerleihgabe für die Ahnengalerie überließ.
Eine der Stärken Immendorffs - auch im Hinblick auf seine Kunst - war seine Fähigkeit zur Kommunikation. Der so genannte Maler-Fürst wusste sich auf jedem Parkett zu bewegen - und zu inszenieren. In den elitären Zirkeln der Düsseldorfer Kunstmäzenin Gabriele Henkel verkehrte er genauso selbstverständlich wie in den Kneipen der Düsseldorfer Altstadt.
"Ich lebe durch die Kunst", hatte Jörg Immendorff einmal gesagt. Durch die Kunst wird er auch über seinen Tod hinaus weiterleben.
Quelle: wdr.de