DISNEY-KONZERN
Ohren steif halten, Micky!
Friede, Freude, Pustekuchen: Im amerikanischen Zeichentrick-Imperium tobt ein erbitterter Kampf um Macht und Geld.
"Die Tugend siegt über das Böse. Gute, kleine Leute vertreiben mächtige Tyrannen. Und am Schluss gibt es ein Happy End“ – so charakterisierte einst Walt Disney das Strickmuster der Geschichten, die sein Unternehmen produziert. Unter www.savedisney.com sind diese Worte seit einigen Tagen im Internet auf der Seite zu lesen, die Roy Disney jüngst gestartet hat. Der 73-jährige Multimillionär hat einen Konflikt vom Zaun gebrochen, in dem er sich selbst als den „kleinen Mann“ sieht. Der Tyrann in diesem Drama ist kein anderer als Michael Eisner, der Vorstandsvorsitzende des Disney-Konzerns. Ihm ging Ende November 2003 ein Schreiben zu, in dem ihn Roy Disney zum Rücktritt aufforderte. Der Sohn von Roy senior – dieser hat den Konzern gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Walt gegründet – gehörte dem Verwaltungsrat des Unternehmens als stellvertretender Vorsitzender an und leitete die Produktion von Zeichentrickfilmen.
In seinem Brief formulierte Roy Disney sieben Vorwürfe und verkündete zugleich den Rücktritt von seinen Posten: Eisner habe gegen ihn intrigiert, schlechte Entscheidungen in wesentlichen Geschäftsbereichen getroffen, mit seinem „Mikro-Management“ kreative Köpfe aus dem Konzern vertrieben und es versäumt, stabile Beziehungen zu wichtigen Partnern wie dem Animationsstudio Pixar zu schmieden. Der Konzern sei zu einer „seelenlosen Maschine verkommen, in der es nur noch um die schnelle Kohle geht“. Dabei seien die Gewinne bei Disney im Branchenvergleich seit Jahren miserabel, während Eisner Hunderte von Millionen Dollar an Gehalt und Optionen eingestrichen habe. Er, Disney, wolle nun das Traditionserbe des Konzerns retten.
Indem er sein dreiseitiges Schreiben zeitgleich an die Medien gab, stellte er sicher, dass die Sache nicht in der Firmenfamilie blieb. Der mit Roy Disney eng verbundene Verwaltungsrat Stanley Gold zog rasch in einem noch schärfer formulierten Brief identischen Tenors an seine Kollegen in dem Aufsichtsgremium nach. Dieses wies die Vorwürfe zurück. Disney und Gold reagierten mit der Etablierung ihrer „Save Disney“-Seite, die ein Forum für andere Disney-Aktionäre sein soll, die ebenfalls mit Eisner unzufrieden sind.
Unmagisches Königreich
Seither debattieren die Branche und die Medien diesen höchst ungewöhnlichen Vorgang, der nicht nur ein grelles Licht auf die Verfassung des „Magischen Königreichs“ wirft, sondern auch auf den Zustand der globalen Unterhaltungsindustrie insgesamt. Disney ist schon lange nicht mehr das auf Familienkino und Zeichentrickfilme spezialisierte Studio mittlerer Größe, das Eisner bei seinem Amtsantritt 1984 vorgefunden hat.
Von einer feindlichen Übernahme bedroht, hatte der Konzern damals eine Börsenkapitalisierung von 1,7 Milliarden Dollar. Dank der von Eisner geleiteten Expansion, etwa durch den Kauf des TV-Networks ABC, sprang diese 1998 auf etwa 100 Milliarden Dollar und sank nach Umsatzeinbrüchen vor allem bei den Freizeitparks und im Fernsehgeschäft auf heute 45 Milliarden ab. Im Zuge dieser Entwicklung verlor Disney seine klare Identität und wurde zu einem Konglomerat ähnlich wie Time Warner. Doch hatte Eisner wohl keine andere Wahl, als mit der Zeit zu gehen. Das sagt Chris Dixon, als ehemaliger Medien-Analyst bei UBS und nun als freier Unternehmensberater einer der besten Branchenkenner an der Wall Street: Disney musste neue Märkte erschließen, weil das Kerngeschäft wegbrach.
Am deutlichsten wird diese Entwicklung durch die katastrophalen Misserfolge des Konzerns im traditionsreichen Zeichentrickfilm-Geschäft: Unter Roy Disneys Wacht floppte vor wenigen Jahren der 140 Millionen Dollar teure Animationsfilm „Treasure Island“, während am Computer entwickelte Produkte von Pixar wie zuletzt „Findet Nemo“ rund um den Globus Milliardenumsätze einfahren.
Eine gleiche Botschaft senden die laufenden Bemühungen des Hauses, seiner Leitfigur Mickymaus ein neues, zeitgemäßeres Design zu verpassen. Denn die Kinder von heute interessieren sich für Videospiele und nicht mehr für die Maus, die nach ihren anarchischen Anfängen vor 75 Jahren längst Symbol braver Bürgerlichkeit geworden ist. Vor diesem Hintergrund schwelt der Konflikt zwischen dem Tandem Disney-Gold und Eisner schon seit vielen Monaten. Im Herbst 2002 konterkarierte der gewiefte Taktiker Eisner durch geschickte Manöver im Verwaltungsrat einen Umsturzversuch der beiden Vorstände, die ihn vor zwanzig Jahren ins Haus geholt hatten.
Dixon sieht hier ein Problem, das nicht nur Disney betrifft: „Corporate Governance“, also die Frage, wie die Aufsichtsgremien verfasst sein sollten, damit sie gerade die Führung großer Unternehmen unabhängig und effizient kontrollieren können. Hier liegt einiges im Argen in Mickys Königreich: Gold und Disney monieren zu Recht, dass der Disney-Verwaltungsrat von „Jasagern“ besetzt ist, die Eisner über die Jahre in das Gremium gehievt hat. In diesem Frühjahr konnte Eisner auch eine Altersgrenze von 72 Jahren für Mitglieder des Verwaltungsrates durchsetzen. Dass die nun auch auf Roy Disney angewendet werden sollte, erfuhr dieser Ende November und motivierte ihn zu seinem Brief.
Gleichwohl geben Insider dem Putschversuch kaum eine Chance. Obwohl die „Save Disney“-Seite nach eigenen Angaben innerhalb weniger Tage „viele Tausende von unterstützenden Mails erhalten hat“, glaubt auch Dixon, dass Eisner diesen Sturm nicht zuletzt dank des Verwaltungsrates überstehen wird.
Zu den Vorwürfen an Eisner erklärt der Branchenfachmann, diese seien teilweise berechtigt, wobei die Umsatzeinbrüche bei den Freizeitparks allerdings eindeutig auf die Terroranschläge im September 2001 zurückgingen. Tatsächlich aber hätten viele jüngere Talente Disney frustriert verlassen, da Eisner sich auch in Entscheidungen mehrere Etagen unter ihm einmischte. Überhaupt habe sich der sehr machtbewusste Spitzenmann seit einiger Zeit bei Personalentscheidungen etliche schwere Schnitzer geleistet.
Dixon weist allerdings auch darauf hin, dass Roy Disney in den letzten Jahren Millionen von Aktien an seinem Unternehmen abgestoßen hat – so ganz scheint er sich seiner Sache wohl nicht sicher zu sein.
Wo ist das Happy End?
Letztlich führt Dixon die Krise in Mickys Königreich nicht auf mangelnde Kompetenz Eisners zurück, sondern auf die gewaltigen Probleme, die sich nicht nur für Disney infolge der raschen Konzentration in der Unterhaltungsindustrie stellen: „In den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir noch viele Verwerfungen erleben, ehe sich diese Konglomerate konsolidiert haben.“ Nicht nur Eisner, auch die Spitzenmanager der anderen Medienriesen müssten den idealen Weg zwischen Mikro-Management und Delegations-Prinzip erst noch finden.
Für das traditionsgemäße Disney-Happy-end besteht allerdings langfristig noch Hoffnung: „Unser Leben wird immer mehr von den Medien und der Unterhaltungsindustrie bestimmt. Die einschlägigen Versprechungen des geplatzten Internet-Booms werden heute allmählich eingelöst. Für Leute wie Eisner kommt es jetzt darauf an, aus dem Hype Realitäten zu machen.“
mfg Boris