Hi
Hier ein Bericht über Disneyland in Florida!Am Anfang war die Maus
Ein Bericht von Dankwart Grube
Weiß Gott, sie haben ihre Welt verändert. Eben waren die Kiefernwälder und Palmenhaine beiderseits der Autobahn noch natürlich unordentlich nun sehen sie plötzlich gehegt aus, aufgeräumt, makellos. Ehen waren die Gräser des Ödlandes noch dürr, und manchmal wehten Sandschwaden über den Beton der Straße, aber nun ist der Rasen saftig, akkurat gemäht, fast wie in Windsor. Eben waren die wilden Büsche noch struppig und ineinander verhakelt wie verbissene Ringkämpfer, nun sind sie zu Figuren geschnitten. kleine Elefanten, Rehe, Giraffen. Eben standen noch rechts und links der Autobahn die King- Size- Reklameschilder brüllten lautlos in grellen Farben nach Kundschaft, nun sind sie plötzlich verschwunden - wie schön. Eben noch waren am Highway die schlimmen Produkte untergeordneter ,,Main Street, USA"-Bauweisen zu sehen: Würstchenbuden neben Tankstellen, Motels neben Shopping Centers, Gebrauchtwagenhändler neben ,,Drive In" - Restaurants, und sie überboten einander mit Fähnchen und Farben, Großschrift und Leuchtzeichen in der vulgären Bemühung um Konsum, aber nun herrscht Harmonie. Weiß Gott, dies ist ein anderes Land. Eben war da noch die ordinäre Welt, die Gebrauchswelt, unzulänglich, ein bißchen verkommen, voll von Signalen vom Kampf um das Überleben, aber nun beginnt eine andere: ,,Disneyworld", Walt Disneys Welt, bei Orlando in Florida, 113 Quadratkilometer groß, ein ,,Magisches Königreich", der größte Freizeit- und Vergnügungspark der Erde.
Nicht nur die Szene ändert sich, auch die Menschen. Eben, auf dem Alltags-Highway, hatten sie noch Alltagsgesichter, nun liegt Erwartung auf ihnen, Neugier, lächelnde Spannung. Und vollends jene, die in ,,Disneyworld" arbeiten, sind ganz anders als die Menschheit da draußen: Sie lächeln, immer. Sie sind adrett, gewiß riechen sie nach frischen Limonen. Sie haben für jeden ein freundliches Wort und bringen das Kunststück fertig, bis zu tausendmal täglich den festen Eindruck zu vermitteln, als meinten sie es auch. Sie verrichten, ganz erkennbar, keine Arbeit, sondern spielen eine Rolle. Sie sind Darsteller - in einer erstaunlichen Kulisse. Kein Kunststück, die zu verreißen. Meine Güte, sie haben da im ,,Magischen Königreich" einen schrecklichen Neuschwanstein-Verschnitt, Aschenbrödels Schloß, bei Tag eine Zumutung, bei Kunstlicht zum Erbarmen. Sie haben die ,,Main Street" aus dem vergangenen Jahrhundert wieder aufgebaut, sieben Achtel des Originalformats, das Erdgeschoß aus richtigem Stein, oben, wo kein Besucher hingreifen kann, aus Kunststoff, das war so sparsam wie die für den Besucher unmerkliche Verkleinerung der oberen Stockwerke. Sie haben den Wilden Westen errichtet, Feuer aus der Hüfte, Rot-häute wiegen bedächtig den Tomahawk in der Hand und blicken tragisch.. Sie haben alle US-Präsidenten nachgebaut, da sitzen und stehen sie nebeneinander, Vinyl-Gesichter, aus denen Stimmenkommen, sehr patriotische Sentenzen, Glory Glory Hallelujah. Kitsch, wohin im ,,Magischen Königreich" das staunende Auge blickt, und wo kein Kitsch ist, ist das Sternenbanner, und wo auch das nicht ist, ist Mickey Mouse und legt einem Besucher die Kunststoffhand auf die Schulter und läßt sich drollig fotografieren. Wirklich kein Kunststück das „Magische Königreich" in Florida zu verreißen, und doch: Zwölf Millionen Menschen kommen im Jahr in Disneys Welt - rnehr als Pilger nach Mekka reisen, mehr als die großen Naturwunder Nordamerikas, der Grand Canyon oder die Wasserfälle von Niagara anziehen. Sie geben in dieser Welt, die bisher umgerechnet rund 1,5 Milliarden Mark gekostet hat, rund 300 Millionen Mark im Jahr aus und haben - wie die unglaublich freundlichen, aber mindestens ebenso smarten Disney-Leute wissen - rast sämtliche den Wunsch, wiederzukommen, möglichst bald für möglichst lange. Nicht, weil sie Kinder hätten, denen sie einen wiederholten Besuch bei Mickey Mouse und Pluto schuldig zu sein meinen - auf je vier Erwachsene in „Disneyworld“ kommt nur ein Kind -, sondern weil das Kind im Erwachsenen genauso reagiert wie Walt Disney, das Genie des Schaugeschäfts, dies ahnte.
Der machte nie ein Hebt aus der Eskapismus-Funktion seiner lächelnden, sehr ordentlich und pieksauberen Plastikwelt; er war ein Überzeugungstäter. „Ich will nicht“, sagte er einmal ,,daß unsere Besucher die reale Welt sehen, in der sie leben müssen. Ich will, daß sie sich wie in einer anderen Welt fühlen, die voller Freundlichkeit ist." Der Mann, der zuerst die Weltfluchteinrichtung „Disneyland“ in Kalifornien, eine knappe Autostunde von Los Angeles, und dann sein Meisterwerk ,,Disneyworld" in Florida baute, weil er selbst Amerikas Städte für zunehmend menschenfeindlich und für im Grunde zerstört hielt, kannte die Wunsche seiner Pappenheimer, denn er war selbst einer. Er baute auf Maß. Und wie, Nostalgie all over the place, Großmutters Zeiten waren die schönsten, Sehnsucht nach dem Märchen, in dem das Gute siegt. Und der Wilde Westen war eigentlich schön, wie in der exotischen Abteilung der Amazonas-Strom schön ist, er riecht nach Chlor und ist blitzsauber, und die wilden Tiere am Ufer, vinylnatürlich, scheinen beim Grollen zu lächeln, denn auch Krokodile sind eigentlich immer zu einem Spaßchen aufgelegt. Und auch die Gegenwart, sogar die Zukunft könnte schön sein; überall gibt es Disney-Signale für ein erfreuliches Morgen, „Fürchtet euch nicht“, sagt „Disneyworld“ allenthalben, „fürchtet euch nicht, denn ich bin bei euch." Also Nepp? Profit aus der Sehnsucht der Zeitgenossen, die sorgenvolle Welt zu vergessen? Typisch Kapitalismus? Typisch Amerika? Es ist wahr: Europas Publizistik hat ,,Disneyworld“ immer mit Häme übergossen und sich köstlich über die infantilen Amis amüsiert, die ausgerechnet zu Mickey Mouse und Pluto und den anderen Disney-Charakteren wie zu Erlösern strömen. „Disneyworld“ - das schien Europa ein Indikator für die prekäre Seelenlage der westlichen Führungsmacht und die Fähigkeit geriebener Leute zu sein, selbst aus prekären Seelenlagen Bares zu machen. Nur: Was machen Bayern im Festzelt des Oktoberfestes? Rheinländer beim Winzerfest in Rüdesheim? Was halb Europa mit Pappnase und Verkleidung im Karneval? Sie flüchten aus der Welt, wie Amerikaner in ,,Disneyworld" aus der Welt fliehen, indem sie sich ein Mickey- Mouse- T-Shirt überziehen Europäer flüchten sich in Kopenhagen ,,Tivoli“, in den Wiener „Prater" oder in die - übrigens ziemlich miserablen - roten Eskapismus-Beiträge, wie den ,,Gorki-Park" in Moskau. Organisierte Weltflucht - das ist so alt wie der Mensch. Neu ist nur, wie sie Disney organisiert hat. Tatsächlich ist ,Disneyworld" viel mehr als Mickey Mouse und redende Präsidenten aus Kunststoff, Rosarot und Kitsch, Wildwest und Mondfahrt, 17 Mark Eintritt pro Erwachsenen, 15 Mark für Junioren, 14 Mark pro Kind. ,,Disneyworld" ist der bisher einzige überzeugende Versuch, eine ganze Landscharf in den Dienst der vergnüglichen Freizeit zu stellen. Nirgendwo hat jemand mit mehr Aufwand, mehr Raffinesse und mehr Perfektion diesen Versuch gemacht, als Walt Disneys Leute 26 Kilometer südwestlich von Orlando' in Florida. Nirgendwo ist man konsequenter vorgegangen als hier. Und nirgendwo haben Ersatzwelt-Bauer die Bauherren aus der realen Welt eindrucksvoller blamiert. Ein paar Superlative müssen her: ,,Disneyworld" ist das fußgängerfreundlichste Stück bebaute Welt, das ich kenne. Es ist mit Abstand das sauberste Stück bebaute Welt, das ich kenne. Es ist, sozusagen, mit mehr freundlichem Nachdenken nicht eigentlich erbaut, sondern weit mehr komponiert worden als irgendein anderes Bauwerk Es steckt. mit einem Wort, mehr ingeniöse Bemühung im Reich der albernen Mickey Mouse als in jeder deutschen Großstadt.
,,Disneyworld" ist eine Stadt mit einer Infrastruktur, von der Mel Kaufman, ein angesehener Städteplaner aus New York, gesteht, ihm laufe das Wasser im Mund zusammen, wenn er sie sehe Peter Blake, einer der führenden Architekturkritikern Amerikas, nannte Disney Schöpfung ,,die einzige neue Stadt von Bedeutung, die seit dem Zweiten Weltkrieg in den USA gebaut wurde". David Brinkley, der vermutlich einflußreichste TV-Kommentator der Staaten, bestaunte ,,Disneyworld" als eine für den Menschen hergerichtete Landschaft, „besser als irgendeine andere in Amerika". Und selbst James Rouse, der die hochgelobte neue Stadt Columbia im US-Staat Maryland konstruierte, kehrte aus ,,Disneyworld" mit der Überzeugung zurück, sie sei „das Größte, was es in den Vereinigten Staaten auf dem Gebiet der Städtebau-Entwicklung gibt“. Das ist einerseits einzuschränken, andererseits zu unterstrichen. Die Einschränkung: ,,Disneyworld" ist natürlich keine Stadt mit ständigen Einwohnern, sondern nur eine Einrichtung, die morgens öffnet und abends schließt, in der Zwischenzeit freilich alle Funktionen einer normalen Stadt zu erfüllen hat. Die Unterstreichung: Deutscher Baumeister und Architekten, insbesondere aber Städteplaner, sollten, notfalls in Fesseln, gezwungen werden, sich bei Mickey- Mouse- Leuten darüber zu informieren, wie man ein ,,environment“ schaffen kann, in dem das Lächeln gedeiht, in dem Wohlbefinden erzeugt wird. Zum Beispiel: Das ,,Magische Königreich“, der eigentliche Kern des Disney-Großgrundbesitzes, ist praktisch eine einzige große Fußgängerzone und mithin eine Einladung zu stundenlangen Spaziergängen. Folgerichtig ließen Disneys Leute deshalb nicht nur Ruhebänke in großer Zahl aufstellen, sondern auch einen eigens entwickelten, fußgängerfreundlichen Asphalt verlegen, denn nicht nur Infanteristen, sondern auch Kinder und fußmüde alte Menschen sind Menschen - bei Disney, wenn auch nicht in deutschen Fußgängerzonen, deren Erbauer iii gleichwohl feiern lassen, als hätten sie das Brot erfunden. Oder der Massentransport: In ,,Disneyworld" werden unausgesetzt Menschen befördert, aber es wird kein Tropfen Benzin verbrannt, keine Auspuffahne verpestet die Luft, kein Smog liegt über dem ,,Magischen Königreich“. Als Hauptzubringer von den 14000 Parkplätzen funktioniert eine ,,Mono-Rail“ -Bahn, die aus dem banalen und in Alltag eher ärgerlichen und anstrengenden Vorgang der Personenbeförderung ein Erlebnis macht und übrigens bei ihrer Runde um ,,Disneyworld" geradewegs in die vierte Etage des ,,Contemporary Resort Hotels" fährt. Als Kurzstreckenvehikel für Fahrten innerhalb des ,,Maigischen Königreiches" dienen Bahnen, Schiffe, Autos und Seilbahnen, die mit abgasfreien Treibstoffen fahren und demnächst mit Kraftstoffen fahren werden, den die smarten Disney aus Müll sowie aus der Wasserhyazinthe gewinnen werden, die es in Florida im ärgerlichen Übermaß als Unkraut gibt. Nein, das sind keine Disney-Gags; das wird noch nicht einmal annonciert. Die ökologisch vernünftige, technologisch fortschrittliche und mithin ,humane“ Infrastruktur ,,Disneyworlds“ - mit der verglichen das Dienstleistungsnetz einer richtigen Stadt wie Lilienthals Aeroplan neben einem Set aussieht - wird nicht als ,,Attraktion“ verkauft, sondern ist Teil eines Konzepts, dessen Spuren man überall in dieser erstaunlichen Welt wiederfindet. Das nur den ersten Blickt aus nichts als Vordergrund bestehende ,,Magische Königreich“, in dem sich gleichzeitig bis zu 100 000 Menschen aufhalten, kennt keinen Verkehrsstau und wird keinen kennen. Nie werden fettwanstige, dieselstinkende Lastwagen die Straßen befahren, denn die Versorgung findet statt, wo sie in der Welt von morgen selbstverständlich zu finden sein wird: unter der Erde. Zwölf Hektar Tunnel verlaufen unter Mickey –Mouse- Reich und enthalten auch die jederzeit leicht zugänglichen Wasser-, Elektrizitäts- und Müllabfuhrsysteme, von denen die Müllbeseitigungsanlage mindestens drei Sterne und die Aufmerksamkeit von Städtebauern verdient: An 20 Stellen wird der enorme Abfall der Besucher gesammelt und gleichzeitig unter die Erde gekehrt, wo ein ,,Staubsauger“ den Unrat mit einer Geschwindigkeit von 1600 Metern pro Minute durch Rohre auf eine Müllhalde leitet, aus der Disneys Techniker und Wissenschaftler schon bald eine Energiequelle und proteinreiches Viehfutter machen werden. Sie haben, als sie ihre Welt bauten, nichts vergessen. Überlandleitungen gibt es nicht; sie liegen unterirdisch und können keine Landschaft verschandeln. Die Energie, erzeugt durch zwei gigantische Jet-Triebwerke, die mit abgasfreiem Kraftstoff gespeist werden, wird behandelt, wie sie im 20. Jahrhundert behandelt werden sollte: ,,Abfall"-Hitze wird zu Boilern geleitet, die heißes Wasser produzieren. Das heiße Wasser wiederum speist vier Kühlmaschinen die ihrerseits für die Klimatisierung der in der warmen ,,Disneyworld" stehenden Hotels sorgen. Die Abwässer werden gereinigt auf eine 40 Hektar große Baumschule geleitet, wo sie als künstlicher Regen auf Hartholz-Eukalyptusbäume fallen, die von der Papierindustrie dringend benötigt werden und unter Disneys Kunstregen monatlich rund 30 Zentimeter wachsen - Ideen muß man haben. Disneys Leute haben mehr Ideen als alle praktizierenden Städtebauer zusammen, und: Nicht Techniker gehen den Ideen die äußere Form, sondern Künstler, Bühnenbildner, Formgestalter, Landschaftskomponisten. Nicht, beileibe nicht dass irgendwo in ,,Disneyworld" auf Effizienz verzichtet worden wäre, aber nirgendwo erscheint sie in technologisch brutaler Form. Selbst die Effizienz lächelt, alles lächelt - sie haben hier auf 113 Quadratkilometern so penibel gearbeitet, wie sie bei Disneys Zeichentrickfilmen penibel sind, für die man 1500 akkurate Handzeichnungen rnachen muß, um eine Minute Film zu haben. Natürlich wurde Disney, als er 1965 die Errichtung seiner Welt bei Orlando ankündigte, nicht mit Jubel begrüßt. Das Stück Land, das er bebauen wollte, war, wenn nicht eigentlich schön, so doch urig: Kiefern, Zypressen, Seen, ein paar Orangen-Plantagen, viel Ödland, Alligatoren, Rehe, Reiher, Wildkatzen, manchmal ein Bär. Landschaftsschützer, an den Küsten des grausig zugerichteten Staates Florida ohnehin in ihrer Bemühung um Naturerhalt ständig zweite Sieger, fürchteten, nun könne in der Mitte des Staates ein neues Miami Beach entstehen, eine Beleidigung der Natur, der Ruin der Umwelt. Nichts davon trat ein. Vielmehr erwies sich, daß Disney nicht nur alle gesetzlichen Vorschriften peinlich genau befolgte, sondern aus eigenem
Entschluß Umweltschutz und, sozusagen, Umweltverbesserung betrieb.
,,Disneyworld" wird jährlich einmal aus einem Satelliten infrarot fotografiert, um die Gesundheit der Vegetation und des Wassers kontrollieren zu können. Wo ,,stress" erkennbar ist, wird die schädliche Ursache sofort und rigoros abgestellt. Als sich zeigte, daß es im klimatisch heiklen Florida Flut- und Dürreprobleme geben könnte (während in Deutschland Sommer ist, kommt es hier zu Hurrikans und schweren, fast tropischen Regenfällen; im deutschen Winter zu langen niederschlagslosen Perioden), gruben die Disneys 60 Kilometer Kanäle und garantierten damit einen ständig optimalen Grundwasserspiegel. Um schließlich Staubbildung in den Trockenzeiten zu verhindern, buddelten sie einen 100 Hektar großen See, beschafften sich der Welt schönsten Strandsand aus Hawaii, den sie mit prächtigen Königspalmen garnierten, und weil sie auch damit noch nicht zufrieden waren, sehnten sie in der Mitte ihres Sees eine kleine Insel, auf der eine brandungerzeugende Maschine steht – nun wogt der See, wenigstens stundenweise, nun lebt er, nun sind seine Schöpfer zufrieden.
Derlei Anstrengungen hat niemand Sonst nur sieht genommen, um einen Amüsierpark menschenfreundlich, herzurichten. Mehr noch.: Solche Strapazen hat noch nicht einmal irgendeine Kommune der Welt auf sich genommen, obwohl doch ihre Väter allesamt „das Menschliche" auf ihre Fahnen geschrieben haben und dann doch schon ihre Stadtväterliche Klimax erleben, wenn sie ein armseliges Abenteuerspielplätzchen ihrer Bestimmung übergeben. Daß ausgerechnet Walter Elias Disney damit begann, zunächst bei Los Angeles und dann bei Orlando Landschaften aufzuhübschen, ist so überraschend nicht. Denn der Mann, der Kinogeschichte machte, der Mickey Mouse erfand - aber sie nie selber zeichnen konnte -, der den ersten Zeichentrickfilm mit unterlegtem Ton machte, den ersten farbigen Zeichentrickfilm, mit „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ den ersten Zeichentrick-Spielfilm, der den Kino-Stereoton und die ,,Circle Vision", also die 360-Grad-Lein-
wand, einführte, schon 1948 mit ,,Seal Island" den ersten auf Umweltschutz orientierten Film präsentierte und in der ganzen Welt von unglaublicher Popularität ist, obwohl oder weil er sich weigerte, „modernistischen Filmleinwanddreck" zu erzeugen, dieser Mann glaubte fest daran, daß von der ,,good clean fun“, Filmkunst, wie er sie verstand, ein gerader Weg zu der Kunst führt, die Menschen auch außerhalb des Kinos zu unterhalten und womöglich mit der Unterhaltung glücklich zumachen. Aus dem Glauben wurde, wie das bei Amerikanern gelegentliche so geht, ein ,,dream“, ein höherer Lebenssinn, eine Mission. Disney besaß, als er 1966 in Alter von 65 Jahren starb, 960 staatliche und künstlerische Ehrungen aus der ganzen Welt - seither sind noch einmal 325 für Produktionen seiner Filmateliers hinzugekommen - für Kino-Entertainment oder TV-Darbietungen, aber zum mindesten während seiner letzten Jahre lebte er nur mehr für seinen Traum: ,,Disneyworld", und dann, noch weit darüber hinaus, »Epcot", eine „Experimental Prototype Community of Tomorrow", eine experimentelle Modellstadt der Zukunft das ganz große Ding: Sonnenenergie in jedem Haus, Unterwasserfarmen in den Seen, Vollklimatisierung auch der Straßen, Nutzbarmachung der Natur und Überwindung ihrer Widrigkeiten, wasserstoffbetriebene Fahrzeuge, in den Häusern soviel Elektronik wie heute in einem mittleren Jet, das 21 Jahrhunden made by Mickey Mouse. Mit einem ,,World Showcase", einer ständigen Weltausstellung, untergebracht in Bauten von verwegener Kühnheit soll ,,Epcot" schon 1979 zu bestehen anfangen. Was immer die Industrienationen an wirklichem oder nur vermeintlichem Fortschritt produzieren, soll hier für jedermann zu sehen sein. Etwas abgesetzt von ,,Disneyworld" sollen die Aussteller aus den verschiedenen Ländern in einer Modellsiedlung wohnen, für Disneys Leute auf ihrem „Lake Buena Vista“ genannten Besitz schon experimentieren: Baumhäuserbauen sie, Häuser, durch deren Mitte vom Fundament bis über den Dachboden hinaus ein Baum wächst, vor den riesigen Fenstern breitet sich ein See und auf der anderen Seite ein Golfplatz, Autos gibt es nicht, nur geräuschlose Elektrowagen, die man sich nimmt, wenn man sie braucht, und die man stehen-läßt, wenn man an Ziel ist.
Vielleicht aber wird die zum ,,World Showcase" gehörende Stadt ganz anders aussehen, vielleicht noch viel überraschender - nur eines ist nach der Überzeugung der Disney-Willensvollstrecker sicher: Hier, in ,,World Showcase", soll die Schwelle der Zukunft liegen und täglich ein bisschen weitergerückt werden. Nichts soll je „fertig“ sein, auch „Epcot“ nicht, das sich Walt Disney als „ständigen Plan der Zukunft“ dachte und als „Stadt“, die immer wieder neue Materialien und Systeme einführt, testet und demonstriert". Disneys Leute testen schon. In Glendale im US-Staat Kalifornien sitzen sie in einem Unternehmen, das nach Walter Elias Disneys Initialen WED heißt und nichts anderes als eine Denkfabrik ist, ein Dorado für ,,Spinner", ein Traum für Visionäre, ein Heute für das Morgen. Was WED treibt, scheint so attraktiv zu sein, daß nicht nur der Astronaut Gordon Cooper, sondern auch andere renommierte Techniker und Wissenschaftler aus kalifornischen Unternehmungen der Technologie zur Mickey- Mouse- Firma wechselten, die sich mit dem beschäftigt, was der erstaunliche Walt Disney für ,,die in Wahrheit größte Herausforderung an die Technik" hielt:
,,Die Schaffung menschenfreundlicher Städte". Die wurden bislang nicht von den Roten gebaut, ,und von den Schwarzen auch nicht, also: eine Chance für Mickey Mouse!
Sebastian Horacek alias Coasters