"Lance stürzen - dazu braucht es etwas Großes"Vorweg: Es tut mir leid, dass ihr zwei Tage lang auf meine Kolumne verzichten musstet. Aber mir ging es echt schlecht. Der Ritt ins Gelbe Trikot war für meinen Körper wohl einfach zu viel. Am Ruhetag fühlte ich mich dann schon nicht so gut. Als ich dann in Gelb auf die 10. Etappe gegangen bin, merkte ich bereits nach wenigen Kilometern, dass meine Beine nicht so sind, wie sie sollten. Ich habe mich dann noch mit Hilfe meines Teamkollegen Giovanni Lombardi nach Courchevel hochgequält.
Im Ziel bekam ich Schüttelfrost-Attacken und im Hotel wurde 40 Grad Fieber gemessen. Am Morgen der 11. Etappe wollte mich unser Teamarzt dann auch gar nicht starten lassen. Das war wohl so eine Art Bronchitis, eine Lungeninfektion. Mit fiebersenkenden Mitteln und Antibiotika wollte ich dann irgendwie durchkommen, aber es hat nicht gereicht.
Es hätte auch nichts gebracht, wenn ein, zwei Teamkollegen bei mir geblieben wären. Denn wenn ich einfach nicht schneller fahren kann, dann helfen mir auch zehn Leute um mich herum nicht. Das Rennen ist für mich einfach dumm gelaufen. Die ersten Ausreißversuche kamen zu schnell und da ist das Feld dann gleich explodiert. Wenn sich das Gruppetto erst hoch zum Telegraph gebildet hätte, dann hätte ich mich vielleicht so durchmogeln können.
Wäre ich der einzige Fahrer außerhalb der Karenzzeit gewesen, hätte mich die Jury wahrscheinlich drin gelassen. Aber da Kevin Hulsmans, einer der wichtigsten Helfer von Tom Boonen, noch nach mir ins Ziel kam, war die Entscheidung, uns beide von der Tour auszuschließen, klar. Schließlich wollen sich die Verantwortlichen ja von den anderen Sprinterteams keine Wettbewerbsverzerrung vorwerfen lassen. Pech für mich, dass Boonen nach seinem Sturz nun auch aufgegeben hat.
Die Attacke von Vinokourov war übrigens großartig. Das war genau der richtige Weg. Denn Lance ist ein großartiger Fahrer und deshalb muss man auch etwas Großartiges leisten, um ihn zu schlagen. Den kann man nicht mit kleinen, taktischen Spielchen austricksen. Dazu bedarf es einer außergewöhnlichen Aktion. Mit einer einfachen 10-Kilometer-Attacke wird das nichts, dazu ist Discovery zu stark. Um Lance zum Wackeln zu bringen, musst du etwas reißen, was ihm, seiner Mannschaft, aber auch dir und deinem eigenen Team richtig weh tut.
Dass mein Teamkollege Basso noch nicht angegriffen hat, ist auch irgendwo verständlich. Ivan will seinen Podiumsplatz ja auch nicht einfach so verschenken. Lance hatte hoch zum Galibier noch fünf Fahrer an seiner Seite. Was hilft es Ivan da, wenn er seine Körner in einer sinnlosen Attacke verschwendet. Einfach mal angreifen, so einfach ist das nicht. Der Radrennsport ist da viel komplizierter. Aber: So ganz frisch sah Lance hoch zum Dach der Toru auch nicht aus. Mal schauen.
Nochmal zurück zu mir und meiner Krankheit: Meine Frau ist irgendwo erleichtert, dass ich jetzt raus bin. Denn wie schnell holt man sich als Sportler mit einer Infektion eine Herzmuskelentzündung und setzt damit seine Karriere aufs Spiel. Das ist schon gefährlich. Und schließlich habe ich auch eine Verantwortung gegenüber meiner Familie.
Bis dann,
Euer Jens Voigt
Quelle: Voigt-Kolumne auf Sport1