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Aufruhr im Zwergenland
21-Nov-04, 21:50 Uhr ()
Ein Artikel von Spiegel Online:

FREIZEITINDUSTRIE: Aufruhr im Zwergenland
Von Frank Hornig

Mini-Deutschland ist auf die schiefe Bahn geraten: Die Krise bei Märklin schockt die Branche der Modelleisenbahner. Die Globalisierungsfolgen beschädigen nun auch ihre heile Welt.

Modellbahn-Produktion: Krise in der Zwergenrepublik
Las Vegas leuchtet. Alle zwölf Minuten gehen in der Wüstenstadt die Lichter an. Casinos blinken in der Dämmerung, Feuerwehrwagen jagen durch die Straßen. Majestätisch ziehen die Züge von Amtrak vorbei.

Dann wird es wieder hell. Frederik Braun steht vor seiner Modelleisenbahn und lacht. Er lacht schon morgens, wenn er aufsteht, sagt er. Er lacht, wenn er zur Arbeit kommt und die Warteschlangen vor seinem Privatmuseum sieht. Und vor allem lacht er über seine Jahresbilanz. Sie übertrifft alles, was er je erreichte.

Frederik Braun betrieb früher eine Disco, in einem Hamburger Vorort, das "Voilà". Er gründete ein Technolabel und betreute Bands wie Kernkraft 400. Aber die brachte es nur auf Platz 100 in den amerikanischen Charts.

Vor drei Jahren kam ihm die Idee seines Lebens. Auf 1000 Quadratmetern schraubten Braun, 35, sein Bruder und sein Vater in Hamburgs Speicherstadt die weltgrößte Modelleisenbahn zusammen - obwohl ihr verstaubtes Hobby zwischen Playstation und Handys eigentlich keine Zukunft zu haben schien.

Ein Irrtum: An die 900.000 Menschen werden in diesem Jahr ihr "Miniatur Wunderland" besucht haben. "So viel gibt es nicht beim HSV, nicht bei Hagenbeck im Zoo und nicht beim Musical 'König der Löwen'", sagt Braun. "Wir sind in Hamburg mit Abstand die größte Touristenattraktion."

Deutschland boomt. Zumindest im Miniaturmaßstab 1 : 87. Ein Millionenpublikum strömt zu den Brauns in Hamburg, ihren neuen Wettbewerbern von den "Miniatur Welten Berlin" oder den Modellbahner-Messen von Köln bis Leipzig, von Dortmund bis München.

Aber die Zwergenrepublik steckt gleichzeitig auch in der Krise. Billigkonkurrenten aus Fernost und hohe Arbeitskosten daheim machen dem Modellbau mit seiner Bahnproduktion, seinen Autoherstellern, Häuslebauern und Landschaftsgärtnern das Leben schwer. Ausgerechnet der schwäbische Musterbetrieb Märklin ist mit seinem Lokgeschäft auf die schiefe Bahn geraten - mit Konsequenzen für die ganze Industrie.

Zwei große Trends bestimmen die Lage. Da ist zunächst die wachsende Sehnsucht nach einer heilen Welt. Nach wenigstens ein paar Quadratmetern im Leben, die überschaubar sind und nicht fremdbestimmt, wo Züge pünktlich, Bahnhöfe sauber und "Kopfpauschale" und "Bürgerversicherung" noch Fremdwörter sind.

Modellbahnfans wie Horst Seehofer (CSU) zieht es deshalb regelmäßig in ihr privates Mini-Imperium, wenn ihnen draußen die Kontrolle entgleist. Weil die kleine Branche dieses Bedürfnis befriedigen kann, hat sie derzeit eigentlich ein großes Potenzial.

Daneben jedoch haben die traditionellen Modellbahner mit den Folgen der Globalisierung zu kämpfen. Immer weniger Kunden können oder wollen den Preis für einheimische Wertarbeit noch zahlen. 600 Euro für eine deutsche Präzisionslok ist ihnen zu viel - internationale Konkurrenten bringen das Komplettpaket mit Lok, Waggons und Schienen bei Aldi für ein Zehntel unters Volk. Zwei Drittel der Weltmarktproduktion kommen inzwischen aus Fernost.

Paul Adams ist Geschäftsführer bei Märklin - aber auch eine Art Museumsdirektor. Seine Fabrik in Göppingen wirkt beinahe wie eine Gedenkstätte der deutschen Wertarbeit, ein Monument der Industriegeschichte. "Wir bauen unsere Lokomotiven natürlich aus Zink", sagt Adams stolz. Für ihn ist es undenkbar, eine Batterie unter ein Plastikgehäuse zu setzen und als Eisenbahn zu verkaufen - wie manche Konkurrenten es tun.

Bis zu 300 Einzelteile pro Lok lässt Adams im Druckguss fertigen, dann verkupfern, vernickeln und schließlich vielfach von Hand montieren. Gleich viermal werden die Züge lackiert. Mitarbeiterinnen kontrollieren bei jedem Stück, ob womöglich ein winziger Buchstabe in einem Schriftzug fehlt, und pinseln notfalls nach. Nicht einmal der eigene Spielwarenverband kann diesen Aufwand noch verstehen: "So viel Handarbeit am Hochlohnstandort - das ist verrückt", sagt Geschäftsführer Volker Schmid.

Die Kunden sehen das anders, jedenfalls im Prinzip. Täglich strömen Besuchergruppen von Frührentnern durchs Werk und betrachten die Präzisionsarbeit mit Wohlgefallen. Es ist diese mächtige Kundengruppe, die den Marktführer in eine Art Perfektionswahn getrieben hat. "Wir bekommen bei jedem neuen Modell erbitterte Briefe, wenn gegenüber dem Original eine kleine Niete fehlt", sagt Adams. Ein gutes Dutzend von Fachzeitschriften wie der "Modelleisenbahner" nimmt jede neue Lokomotive kritisch unter die Lupe. Schon bei winzigen Millimeter-Abweichungen vom Originalvorbild hagelt es Verrisse, ein Zahnrad aus Kunststoff provoziert böse Kritik. Die betroffene Baureihe ist dann kaum noch zu verkaufen. Eine Millioneninvestition verpufft.

Je unübersichtlicher die Außenwelt wurde, desto perfektere, detailgenauere Züge haben die Sammler für ihre Parallelwelt verlangt - und bekommen. Vor zehn Jahren lag der Neuheitenanteil am Branchenumsatz bei 30 Prozent. Inzwischen hat er sich verdoppelt.

So wurden die kleinen Loks für viele Modelleisenbahner und vor allem die Sammler schlicht zu teuer. Schon 2003 fielen die Umsätze, dieses Jahr erwartet der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie einen weiteren Rückgang von fünf Prozent.

Märklin hat jetzt reagiert: Über ein Drittel der 1100 Jobs am Stammsitz soll nach Thüringen verlagert werden, wo das Personal nur die Hälfte kostet - oder gleich nach Ungarn, wo Mitarbeiter schon heute Märklin-Gleise für 350 Euro im Monat produzieren.

Die Probleme des Marktführers, der mit großem Abstand und einem Umsatz von 164 Millionen Euro vor Roco und Fleischmann die Modellbahnwelt dominiert, haben die gesamte Branche in Bewegung gebracht. Alle im Mini-Land bekommen die Folgen der Märklin-Krise zu spüren.

Heinz Köntopp ist so etwas wie die graue Eminenz der Szene. Seit über 40 Jahren arbeitet er für die Modellhaus-Firma Faller, 20 davon als Geschäftsführer. Sein Sortiment besteht vor allem aus Klassikern wie dem Rathaus von Lindau oder dem Schwarzwaldhaus.

In Notzeiten baute seine Firma schon Dächer aus Toilettenpapier und verputzte Häuser mit Gries. Und wenn es gut lief, wie mit dem vor zehn Jahren gestarteten Kirmessortiment, dann begeisterten Innovationen wie die bewegliche Schifferschaukel oder die voll funktionsfähige Achterbahn ("seidenweicher Lauf") regelmäßig das Publikum. "Das war wie ein warmer Regen", sagt Köntopp.

Doch jetzt packen ihn mitunter Zweifel. "Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll", sagt er. Seine Produktion im Hochschwarzwald ist inzwischen so teuer geworden, dass er für das Bauernhaus gut 50 Euro und das Rathaus etwa 90 Euro verlangen muss. Von neuen Artikeln verkauft er nur gut 5000 bis 7000 Stück; früher war es ein Vielfaches. Deshalb kann Köntopp auch keine Fertigung nach Fernost verlagern. Die Stückzahlen sind zu gering.

Seit auch die Eisenbahnfans den Geiz entdeckten, läuft nur noch das Geschäft mit vergleichsweise billigem Zubehör. "Wenn die Leute weniger Loks kaufen, geben sie mehr für unser Grünzeug aus", sagt etwa Jörg Vallen. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Firma Busch, die im vorigen Jahr ein neues Kunststoffspritzverfahren entwickelt und damit eine kleine Sensation gelandet hat: Sonnenblumen im Miniaturformat. Inzwischen hat Busch auch winzige Weinstöcke und Kürbisfelder im Programm, und Vallen freut sich über zweistellige Zuwachsraten.

Mit Innovationen haben sich ebenso die Autobauer behauptet. Wiking aus Lüdenscheid ist inzwischen in der Lage, Originallacke von VW zu verwenden. Silberne Scheinwerfer und Türklinken oder bedruckte Nummernschilder, vor zehn Jahren undenkbar, gehören heute zum Standard. Eine hochmoderne Lackierstraße hat die Handbemalung ersetzt. Allein den Phaeton, bei Volkswagen ein Flop, hat Wiking schon 150 000-mal verkauft, für 9,95 Euro pro Stück. Wichtiger noch: Nach Jahrzehnten des Stillstands haben zumindest Busse und Lkw das Fahren erlernt. Sie haben einen Akku im Gehäuse und werden durch eine unterirdische Spule über die Straßen geführt.

Technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel, mit diesem Rezept ist auch Frederik Braun angetreten. In seinem Hamburger Miniatur Wunderland gibt es Sexszenen im Wald, Autounfälle und Wasserleichen, es gibt Hooligans im Stadion und Demonstranten vor stillgelegten Zechen. Die heile Welt, seit über hundert Jahren Grundausstattung für jeden Modelleisenbahner, ist ins Wanken geraten.

Zum Glück ist alles so klein, versteckt, dass konservative Stammkunden die Kratzer in ihrer Dampflok-Idylle gnädig übersehen können.
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