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Titel: "Kino: IMPORT EXPORT - das neue Werk von Ulrich Seidl"     Vorheriger Beitrag | Nächster Beitrag
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Foren-Gruppen Kino, Circus, Varieté & Musicals Beitrag Nr. 396
Beitrag Nr. 396
Slidy

 
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Kino: IMPORT EXPORT - das neue Werk von Ulrich Seidl
03-Dez-07, 12:22 Uhr ()
"Der Osten sieht immer mehr wie der Westen aus und der Westen immer mehr wie der Osten" - so stand es im Programmheftchen eines kleinen Programmkinos in der Region. Nachdem Tom schon in der Plauderecke auf Ulrich Seidls neuen Film aufmerksam machte, habe ich mich am Samstag Abend ins Programmkino "Zazie" begeben, um mir dieses Werk zusammen mit einem guten Freund anzutun.
Seit "Spaß ohne Grenzen" schätze ich den Herrn Seidl sowieso, aber mit "IMPORT EXPORT" hat er sich selbst übertroffen. Eine Import-Geschichte von der Ukraine nach Österreich und eine Export-Geschichte in die andere Richtung gibt es in diesem Film zu erfahren, beide so unterschiedlich, und doch haben sie mehr gemeinsam.

Ukraine. Olga, eine Krankenschwester, wohnt mit ihren Eltern in einem Plattenbau. Die Wasserleitung und die Heizung ist defekt, Heizstrahler versorgen die Wohnung mit ein wenig Wärme, Wasser holt man sich von einer zentralen Wasserstelle in Kanistern und "speichert" es in der Badewanne. In diesem Bezirk befindet sich auch das Kinderkrankenhaus, die Arbeitsstelle von Olga. Als sie wiederholt nur 30% ihres Lohnes bekommt, beschließt sie, in einer Nacht- und Nebel-Aktion nach Österreich auszuwandern. Dort fängt sie zunächst als Kindermädchen bei einer reichen Familie an, wo sie bald wieder entlassen wird, da die Mutter der Kinder eifersüchtig ist, dass die "Ausländerin" besser mit den Kindern klar kommt, als sie selbst. Schließlich landet sie als Putzfrau in der Geriatrie eines Krankenhauses. Schon bald baut sie zu den Patienten dort, die meist ohnehin nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben haben, ein besseres Verhältnis auf, als die Pfleger und Ärzte dort.

Die andere Geschichte ist eine Exportgeschichte. Pauli, ständig pleite und deswegen in Schwierigkeiten bei den Leuten, mit denen er sich aufhält, beschließt nach einer misslungenen Security-Ausbildung seinen Vater auf Arbeit zu begleiten. Sein Job ist es, ausgediente Spiel- und Verkaufsautomaten aufzuarbeiten und in der Ukraine aufzustellen. "Für die Jugos und Russen ist das gerade gut genug" - einer der Schlüsselsätze, den man dort hört. Dabei verschlägt es die beiden in eine Zigeunersiedlung, deren baulicher Zustand in etwa gleichauf mit den Ruinen-Ecken in Halle liegt - nur sind die Häuser dort nicht vernagelt, sondern bewohnt. Die Menschen dort leben in leeren Häusern mit nichts als einer Matratze auf dem Boden, vor den Häusern türmt sich meterhoch der Müll.
Im weiteren Verlauf des Films geht es in ein Intourist-Hotel, für die Ukrainer selbst etwas mit ziemlich hohem Standard, allerdings noch alles auf Vor-Wende-Zustand.

Den Film zu beschreiben, fällt sehr schwer, denn vieles wird in unkonventionellen Kamera-Einstellungen gezeigt. Dabei wirkt er bisweilen fast wie ein Dokumentarfilm, obwohl es sich hierbei um einen klassischen Spielfilm handelt. Dabei werden seidl-typisch Abgründe des Menschen gezeigt, wobei man sich teilweise fragt, andererseits regelrecht angeekelt fühlt ob dem, wozu wir fähig sein können.
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Beispielsweise, als der Vater von Pauli eine Besucherin des Hotel-Restaurants für ein wenig Geld als Opfer für seine perversen Sex-Fantasien missbraucht, und dies nur ganz lax mit "Schau her, Pauli, das ist die Macht des Geldes" kommentiert, oder als Pauli am Anfang von einer Türken-Gang überfallen wird, die ihn bis auf die Unterhose ausziehen und um ihn herumtanzen. Da fragt man sich, wieso sie sich dabei toll fühlen.

Andererseits hat mich eine Szene sehr beeindruckt, in der ein halb verfallener Treppenaufgang zu sehen ist, mit einer Unterführung darunter. Die Kamera hält direkt in die Blickrichtung der Unterführung, so dass der Gang endlos und trostlos erscheint. Ganz am Rande stellen die beiden Österreicher gerade einen Kaugummiautomaten auf, der voll mit bunten Kaugummikugeln ist. Nachdem sie fertig sind, bleibt die Kamera noch wie im Standbild eine ganze Minute darauf stehen - eine Minute, die dem Zuschauer wie eine Ewigkeit vorkommt.

Wer mit dem schonungslosen, ins negative übertreibenden Stil von Seidl zurecht kommt und seine Erzählweise und Kameraeinstellungen zu schätzen weiß, dem sei "IMPORT EXPORT" wärmstens ans Herz gelegt.

Fazit: Herausragend, von allen Filmen, die ich dieses Jahr im Kino gesehen habe jener, der mich am meisten beeindruckt hat.

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peterbourbon


 
Mitglied seit 12-Aug-02
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1. RE: Kino: IMPORT EXPORT - das neue Werk von Ulrich Seidl
12-Okt-08, 23:55 Uhr ()
Als Antwort auf Beitrag Nr. 0
 
Hey,

damals habe ich den Film im Kino verpasst -
nun konnte ich ihn mir auch endlich auf DVD mal anschauen und bin restlos begeistert.
Das ist sogar einen push Wert!

Wer ihn noch nicht gesehen hat: Bitte angucken!
Mag sich zuweilen für Blockbuster-gewohnte etwas träge anmuten, aber Österreich hat ja sowieso immer mehr zu bieten als man dem Land zutrauen mag.

Gruß,
Turgut

I wish the milkman would deliver my milk in the morning.

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