Auch Karussellfans suchen Stille
Können Menschen zwischen Riesenrad und Zuckerwatte Sinn finden?
Mancher Pfarrer sagt: Das geht nicht. Doch im Europa-Park Rust
ist die Kirche ganz nahe bei den Menschen. Die Besitzerfamilie
Mack hat ihre katholischen Wurzeln nicht vergessen.VON VERA RÜTTIMANN
HIMMELSLEITER: Der katholische Pfarrer Ernst Heller klettert nach
Geschäftsschluss gern auf eine Achterbahn. Von oben schweift sein
Blick über den schlafenden Freizeitpark. Fotos: Vera Rüttimann
Der Blick aus der vierten Etage des Hotels „Santa Isabel“ ist spektakulär:
Am Horizont sind bizarre Achterbahn-Schlaufen zu erkennen. Aus der Ferne
sehen sie aus wie ein Phantasiegebilde aus Christopher Nolans neustem
Filmhit „Inception“. Futuristisch wirkt auch die Parkbahn, die elegant am
Fenster vorbeigleitet, um Touristen in die Themenbereiche zu bringen.
Zu seinem 35-jährigen Geburtstag ist der größte Freizeitpark Deutschlands,
der Europa-Park im badischen Rust, besonders gut besucht. Das zeigt sich
auch im Innern des ausgebuchten Hotels, das im Stil eines portugiesischen
Klosters gebaut wurde. Größer könnte der Kontrast zu draußen nicht sein:
Sommergäste wandeln still durch einen Kreuzgang, in dem Choralgesänge zu
hören sind. In der Braustube gibt es Klosterbier.
Die Zimmer sind ausgestattet mit Madonnen, Weihwasserschalen und dunklen
Ölbildern diverser Päpste. Aus der Jakobus-Kapelle in der Hotellobby
riecht es süßlich nach Weihrauch. Für einen Freizeitpark wie diesen ein
eher ungewöhnliches Ambiente. Das „Santa Isabel“ ist das erste Resorthotel
dieser Art in einem Freizeitpark. Das liegt vor allem an dessen Besitzern,
der Unternehmerfamilie Mack.Sie hat sich zu ihren katholischen Wurzeln
stets bekannt. Vor allem Park-Mitbegründer Roland Mack, das „Gesicht des
Europa-Parks“. Gerade zieht es ihn wieder in die Jakobus-Kapelle.
Eine Hand taucht er ins Weihwasserbecken. Mit der anderen streicht er
liebevoll über die dort zum Andenken an seine Mutter Liesel Mack angebrachte
Votivtafel.
Das Herz der charismatischen Frau schlug katholisch, was ihre beiden Söhne
Roland und Jürgen bis heute beeinflusst. Der im portugiesischen Stil
gestaltete Andachtsraum ist ihr gewidmet. Der kernige Badener blickt mit
Freude auf die stilechten Bänke, Kruzifixe und den Altar, die Innenarchitekt
Rudi Neumeier einst aus allen Gegenden Portugals zusammengetragen hat.
Kritikern, die meinen, der Europa-Park nutze hier bloß den Effekt von
Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ aus, entgegnet Roland Mack:
„Die Gäste sollen spüren, dass dieses Unternehmen Wurzeln hat, dass in
ihm Seele ist.“ Die Geistlichkeit jedenfalls fühlt sich hier wohl.
Im Restaurant nebenan begrüßt Mack einen Pfarrer, der es schätzt, dass
man hier vorzüglich speisen und sinnieren kann. Auch der Freiburger
Erzbischof Robert Zollitsch ist gern gesehener Gast.
Roland Mack eilt ins gegenüberliegende Hotel. Auch hier findet sich eine
perfekte Illusionswelt: An den ockerfarbenen Fassaden hängen Wäscheleinen,
auf einer Piazza befinden sich Cafés. Mack setzt sich in einen der
rotbraunen Polstersessel. Sein Blick wandert auf einen Glaskasten, in dem
die Uniform eines Schweizergardisten ausgestellt wird. Aufwendig gerahmte
Bilder zeigen Mack mit Prominenten wie dem ehemaligen Chef von Porsche,
Wendelin Wiedeking, im Vatikan oder mit Papst Benedikt XVI. Im Foyer trifft
er den evangelischen Seelsorger Martin Lampeitl und seinen katholischen
Amtsbruder Andreas Wilhelm zum Gespräch. Seit 2005 arbeiten die beiden
Diakone im Freizeitpark. Martin Lampeitl fühlt sich hier ebenso wohl.
Ihm fiel schon früh auf, dass in diesem Park nicht allein Besucherstatistiken
zählen.
Für ihn war es nur eine Frage der Zeit, bis Religion und Spiritualität
ein eigenes Themenressort erhalten. Während Roland Mack mit den beiden
Seelsorgern durch die verschiedenen Restaurants flaniert, erzählt er ihnen,
wie faszinierend er den gedanklichen Ansatz des Hamburger Zukunfts-
wissenschaftler Horst W. Opaschowski findet, der Freizeitparks einmal als
„Kathedralen des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet hat; dass ihm schon länger
klar sei, dass in diesen Freizeitoasen, in denen sich wie unter einem
Brennglas unterschiedliche Nationen, Mentalitäten und Religionen bündeln,
immer mehr Menschen nicht nur nach Vergnügen, sondern auch nach Sinn suchen;
dass aus dieser Erkenntnis heraus 2005 das Projekt „Kirche im Europapark“
entstand.
Der Freizeitpark ist ein Ort der Rekorde: 850 000 Quadratmeter groß, über
120 Attraktionen und 13 Themenbereiche. In den Jahren, in denen dieser Ort
mit immer neuen Innovationsschüben zum Marktführer in Europa heranwächst,
sehen die beiden Parkseelsorger auch „ihr“ Ressort gedeihen. Martin Lampeitl
begleitet an diesem Morgen eine Ministrantengruppe auf einem „Spurenweg“
durch das riesige Areal. Er zeigt ihnen die meditative Ruhe, die die sich
stets drehende Kugel des Mack-Brunnens auf Besucher ausübt, und den
Seerosenteich, an dem er die Parkbesucher zu Gebeten einlädt. Er fährt
mit ihnen ins russische Dorf, wo sich in einem Fluss golden die Kuppeln
der orthodoxen Kirche spiegeln.
Schließlich gehen sie in die Böcklinskapelle, ein stiller Ort, der sich
hinter einem Torbogen mit dunkelroten Kletterrosen versteckt. Darin befinden
sich ein Altar, Betstühle und Fresken. Der Betende ist hier für einige
Momente geschützt vor dem Lärm der tobenden Menge draußen. Martin Lampeitl
sagt: „Touristen und Parkmitarbeiter sind dankbar für solche Oasen im Park.“
Immer neue Spuren werden gelegt, so auch ein Teil des Jakobswegs, der von
Ettenheim nach Rust führt. Die Badische St. Jakobusgesellschaft gründete
hier ihre Veranstaltungsreihe „Die Muschel in Europa“.
Wenn sich Martin Lampeitl mit seinen Gästen durch den Menschenstrom wühlt,
ist er in seinem Element. Der Besucher spürt, dass es für den Badenser
auch nach fünf Jahren noch immer ein Privileg ist, seinen Seelsorgedienst
zwischen Achterbahnen und Wasserrutschen auszuüben. Der Trubel, die
fröhlichen Kindergesichter, das ist seine Welt. Es gibt jedoch auch Kollegen,
die finden, dass die Kirche nicht hierhergehört. Martin Lampeitl entgegnet,
während er auf eine Gruppe Burka-Trägerinnen blickt: „In einem Freizeitpark
treffen alle Nationen, Mentalitäten und Religionen aufeinander. Hier können
sie sich füreinander öffnen. Die Kirche muss heute auf die Leute zugehen,
nicht umgekehrt. Sie muss mitten unter den Menschen sein.“
Die Park-Seelsorger sind gefragte Gesprächspartner. Martin Lampeitl
beobachtet auch an diesem Tag, wie Menschen hier unter Beziehungsturbulenzen,
Angst und Einsamkeit leiden. Der Seelsorger schätzt seine Arbeitsbedingungen,
„weil die Menschen hier innerlich loslassen und offen sind“. Manche kommen
immer wieder zu ihm in den Park. Gerade verabschiedet der evangelische
Diakon in der Bar „Colosseo“ eine Frau, die durch widrige Umstände ihre
Arbeit verloren hatte und sich als Toilettenfrau in einer Autobahnraststätte
verdingen musste. „Ich konnte ihr nicht nur zu einer neuen Arbeit verhelfen,
sie nahm auch uns als Kirche im Park positiv war“, sagt er danach zufrieden.
Die Bars sind für die Park-Seelsorger bevorzuge Orte. Nicht, weil sich hier
abends oftmals amtierende Schönheitsköniginnen, Fußballstars und Pop-Sternchen
treffen, sondern weil man den Tag mit einem guten Gespräch schön ausklingen
lassen kann.
Inmitten der Achterbahnen und Zuckerwatteläden kümmern sich die
Geistlichen um Angestellte und Besucher. So auch Ernst Heller, der
Dritte im Bunde, der hier als Seelsorger arbeitet. Der Schweizer hat
das Projekt „Kirche im Europa-Park“ mit angestoßen. Sein Rat ist
gefragt, da er als Zirkuspfarrer lange schon mit Schaustellern und
Artisten zu tun hat. Am liebsten ist er mit Roland Mack im Park
unterwegs, um den Leuten ganz nahe zu sein. Mitten drin im „Zirkus
Macksimus“! Wie an diesem Morgen, als die Besucher schon um neun Uhr
den Attraktionen entgegenströmen. Der Parkchef kommt mit einem
kleinen Elektrowagen angesurrt und zieht Heller auf den Beifahrersitz.
Macks Spazierfahrten sind gefürchtet, denn der Unternehmer ist gern
flott unterwegs. Er gibt Gas, bremst immer wieder mal scharf ab und
umkurvt Leute, als wären sie Slalomstangen. In diesem Stil fährt er
durch dreizehn europäische Themenbereiche. Als Erstes geht es nach
„Russland“ zur Euro-Mir, einem spektakulären blauen Glaskasten, an
dem Touristen in Gondeln rückwärts heruntersausen. Weiter geht es nach
„Frankreich“ mit seinen Bistros, Mini-Eiffelturm und Croissantläden.
Dann zu den Geisterbahnen in „Griechenland“ mit all ihren
Feuerschluckern, Schlangenmenschen und Piratenspielen auf dem Wasser.
Die Tour nützt Ernst Heller, um mit Touristen sowie mit den Mitarbeitern
des Parks ins Gespräch zu kommen. Sei es mit der Zuckerwattefrau oder einer
Kassiererin in der Geisterbahn. Ein Artist, der auch an diesem Tag die
Begegnung sucht, ist ein Mann mit schwarzem Schnurrbart, dunklen Augen und
Spazierstock. Als Charlie Chaplin unterwegs, unterhält er die Leute mit
Streichen, studiert deren Verhaltensweisen oder dreht mit einem Riesenfahrrad
seine Runden. Wenn wie heute ein Parkbesucher seine Späße nicht versteht,
ist Trost angesagt.
Mit Roland Mack stoppt Ernst Heller vor der Böcklinskapelle. Wer glaubt,
der Schweizer fahre hier mit Achterbahnen nur Loopings, der irrt.
Wie seinen Kollegen auch, ist ihm das Wohl derer, die Verantwortung
tragen, wichtig. Als Roland Mack schweigt, niederkniet und seine Miene
ernst wird, spürt der Unternehmer wieder etwas von der Last, die einer
wie er tragen muss. Der Betrieb, auch Mack selber, alles läuft auf
Hochtouren, Tag für Tag. Mack offenbart ihm, dass er sich oftmals wie
ein überdrehter Motor fühle und dass er dankbar sei, dass es Leute wie
ihn gebe, die ihn immer wieder „abbremsen“, entschleunigen.
Manchmal steigen die Park-Seelsorger auch mit Gästen auf eine Achterbahn,
um ihnen eine Freude zu bereiten oder um ihnen beizustehen bei ihrer
Mutprobe. Andreas Wilhelm begleitet eine Familie zum „Silverstar“.
1620 Meter lang, 130 Stundenkilometer schnell und imposante 73 Meter hoch.
Ein technisches Meisterwerk. Die Menschen stehen Schlange vor den
Formel-eins-Rennwagen. Das Kind zittert vor Angst. Andreas Wilhelm spricht
ruhig auf die Kleine ein, hält ihre Hand. Ein Startsignal ertönt und der
Coaster rauscht einer Rakete gleich aus dem Gehäuse. Nach einer ersten
scharfen Rechtskurve hakt die Bahn in eine Kette ein, die sie zum 69 Grad
steilen First Drop zieht. Das Kind klammert sich ängstlich am Sitzbügel
fest, Wilhelm spricht von hinten beruhigend auf es ein. Unbarmherzig geht
es nach oben. Fünf, zehn, zwanzig Meter.
Von oben kann man die Vogesen und den Schwarzwald sehen. Der „Silverstar“
stoppt bei 73 Metern ruckartig. Eine gefühlte Ewigkeit vergeht, bis das
Gefährt Anlauf nimmt. Da gibt es nur den freien Fall. Mit 130 Sachen
rauscht es in die Tiefe. Ein einziger gellender Schrei! Geschwindigkeit
und Fahrtwind öffnen alle Schleusen. Der Besucher fühlt sich wie auf dem
Schleudersitz. In halsbrecherischer Manier katapultiert die Bahn ihre
Fahrgäste erneut in den Himmel. Wieder: schreien, zittern. Oben, unten,
seitwärts. Manchmal ist es die Hölle, dann der Himmel. Die Menschen
reißen die Arme hoch und scheinen wegzufliegen. Nach 240 Sekunden
Wahnsinn kommt die Höllenmaschine zum Stoppen. Der „Silverstar“ immerhin
fährt mit dem Segen der Kirche. Denn alle neuen Parkattraktionen werden
von Ernst Heller gesegnet, bevor sie in Betrieb genommen werden.
Martin Lampeilt eilt zu einer Trauung in die Stabkirche, die sich am
Rentierbrunnen im skandinavischen Themenbereich befindet. Bald wird im
Europa-Park die 50. Hochzeit abgehalten, auch die Anfragen nach Taufen
nehmen ständig zu. Besonders beliebt ist dabei diese Kirche. 1991 erbaut,
ist sie umgeben von einer zerklüfteten Fjord-Landschaft und einem reißendem
Fluss, auf dem sich Touristen auf schwarzen Gummireifen wild schreiend
hinuntertreiben lassen. Dahinter lärmt die Riesenschaukel „Vindjammer“.
Die Kirche ist ein Schmuckstück: Im nordischen Stil des 11. Jahrhunderts
gebaut und mit Wänden aus senkrecht gestellten Holzmasten. Schiffsbau und
Drachenköpfe an den Giebeln erinnern an die Wikinger. Das Innere der Kirche
zieren kostbare Ikonen. Das aufgelegte Fürbittbuch zeugt vom Besucherstrom.
„Die Gutenberger Ministranten“, „Ich und meine Liebe“, „Je t’aime“ oder
„Myself“ steht darin. „An guten Tagen findet man kaum Platz in der Kirche“,
sagt Martin Lampeilt, der hier mit gekonntem Puppenspiel fast täglich
biblische Geschichten darstellt, auf der Gitarre musiziert oder mit den
Besuchern seelsorgerliche Gespräche führt.
Vereinzelte Impulse, Andachten und Gottesdienste machen die Kirche zu
einer Oase der Stille und der Besinnung inmitten des Menschenstroms.
„Wie das ruhige Auge eines Tornados“, sagt Andreas Wilhelm. Hier findet
seit vielen Jahren auch ein Gottesdienst für die im Park arbeitenden
Artisten statt. Besonders schätzen die beiden Diakone, dass sich in
den letzten Jahren eine Art Parkgemeinde gebildet hat.
„Menschen, die noch immer in der Kirche verwurzelt sind, aber ihren
Kontakt zur Heimatgemeinde längst verloren haben. Hier haben sie neue
Heimat gefunden“, sagt Lampeitl. Im Gedächtnis ist hier vielen auch
der Name Heinz-Peter Schönig. Der Begründer der katholischen Circus-
und Schaustellerseelsorge in Deutschland zählt zusammen mit Ernst Heller
wohl zu den geistigen Urhebern des Projektes „Kirche im Europa-Park“.
Nach ihren Touren durch den Park sitzen die drei Seelsorger abends
in der Bar im fünften Stock des Hotels „Colosseo“. Wenn sie aus dem
Fenster sehen, liegt vor ihnen die Rheinebene mit den angrenzenden
Ländern Schweiz und Frankreich. Die drei sind fasziniert vom Geist
dieses Ortes, der vor lauter Achterbahn-Loopings manchmal untergeht.
In einer Zeit, als noch keiner an den Wegfall von Grenzen dachte,
wurde das Konzept des Themenparks angelegt. Entstanden ist ein Europa
im Miniaturformat, in dem sich Menschen unterschiedlicher Länder,
Kulturen und Mentalitäten grenzübergreifend begegnen können.
Und die Kirche ist mit ihren Angeboten mittendrin dabei.
© Rheinischer Merkur Nr. 33, 19.08.2010
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