Guten Abend

War eine interessante Sendung, die ich leider nur zur Hälfte anhören konnte, weil ich (oder ihr?) in der ersten Hälfte irgendeine Störung in der Leitung hatte, wodurch ich nichts verstanden habe.

Als evangelisch-reformierter Pfarrer fand ich eure Darstellung "der Kirche" allerdings etwas einseitig und ziemlich klischeehaft. Für den nächsten Karfreitag hätte ich gern eine Hotline, auf der ich protestieren kann...

Hier ein paar Bemerkungen aus dem Gedächtnis:

• Die Funktion Jesu als "Opfer" für Gott ist sehr umstritten. Ich glaube auch nicht an einen Gott, der seinen Sohn als Opfer braucht, um den Menschen zu vergeben. Die Geschichte von Abraham und Isaak im Alten Testament ist eine Absage Gottes an alle Menschenopfer; dem würde eine "Opferung" Jesu widersprechen. Das Opfer brauchen vielmehr die Menschen; sie waren es schliesslich auch, die "Kreuzige ihn" gefordert haben. Facebook ist voll von aktuellen Beispielen dazu...

• "Die Kirche" hat nichts gegen Homosexuelle. Ich weiss: Die katholische Kirche akzeptiert sie (noch) nicht, viele Freikirchen sehen Homosexualität als Krankheit und wollen Homosexuelle heilen. Aber viele protestantische Kirchen segnen inzwischen gleichgeschlechtliche Partnerschaften und treten für die Rechte von Homosexuellen ein. Was zugegebenermassen stimmt: Die Kirche braucht in ihren ganzen Entscheidungs- und Veränderungsprozessen immer ein paar Jahre mehr; das liegt aber auch daran, dass bei uns die Themen sehr gründlich angegangen werden.
  Ich habe neulich gelesen, es gibt ca. 8 Bibelstellen gegen Homosexualität, und über 300 Bibelstellen gegen soziale Ungerechtigkeit. Mit welchem Thema sollten wir uns also vorrangig beschäftigen...?

• Bibelstellen, die sich positiv zur Homosexualität äussern, sind mir keine bekannt. Aber die, die sie verurteilen, verfolgen meist ein Interesse, das heute nicht mehr aktuell ist (Abgrenzung von anderen Völkern und Religionen, Sicherung der Zukunft des eigenen Stammes durch Nachwuchs etc.). Darüber hinaus gibt es Berichte über Männerfreundschaften, die man durchaus entsprechend deuten könnte: David und Jonathan, Jesus und der ominöse "Jünger, den Jesus lieb hatte" und der "an seiner Brust lag" (Johannesevangelium)

• "Auge um Auge, Zahn um Zahn" als Begrenzung von Vergeltung und Verhinderung von Gewalteskalation ist für mich auch heute noch topaktuell. Ich denke dabei an diverse Aufrufe zur Gewalt an Tierquälern bei Facebook oder auch an Rufe nach Todesstrafe für Sexualstraftäter an Minderjährigen. In aller Klarheit: Ich verurteile das eine wie das andere - doch wir haben eine Rechtsprechung, die darüber entscheidet. Aber hier sind wir wieder beim Thema "Opfer": Der aufgestachelte Mob würde die Täter lieber bluten sehen.

• Die Nächstenliebe ist übrigens keine Erfindung von Jesus, sondern kommt aus dem Alten Testament (3. Buch Mose 19,18); Jesus hat lediglich daran erinnert. Und die Jungfrauengeburt ist sowohl Übersetzungsfehler als auch griechische Mythologie: Jesaja 7,14 kündigt an "Siehe, eine Jungfrau wird schwanger." Das Wort, das dort im Hebräischen steht, bezeichnet jedoch eine junge Frau, die zum ersten Mal schwanger ist - mitnichten eine Frau, die noch keinen Sex hatte. In der jüdischen Tradition werden bedeutende Kinder immer von "unfruchtbaren" Frauen geboren (das AT ist voll davon), in der griechischen Tradition von Jungfrauen. Wie muss also Jesus geboren werden, dem sowohl ehemalige Juden als auch die Griechen nachfolgen? Richtig: Von einer Jungfrau, und er wird angekündigt und getauft von einem Mann, der von einer Unfruchtbaren geboren wurde (Johannes der Täufer). Wissen wird im Orient über Geschichten vermittelt, nicht über "Fakten" in unserem heutigen Sinn - was jedoch weder bedeutet, dass die alten Geschichten nicht wahr sind, noch dass unsere "Fakten" alle echt sind.

• Karfreitag als Zwang: Der Karfreitag ist ein öffentlicher Trauertag und damit keine Frage des individuellen Befindens. Wenn ich eine Beerdigung im Dorf habe und mit dem Trauerzug über die Strasse gehe, erwarte ich auch, dass alle Autofahrer anhalten - unabhängig davon, ob diese den Verstorbenen kennen oder nicht. Vielleicht macht es ein Extrembeispiel klar: Bei einer Katastrophe, die in heutiger Zeit passiert, braucht es Formen wie Gedenkgottesdienste, Schweigeminuten etc. um die allgemeine Betroffenheit aufzufangen. Nach dem Tod von Robert Enke 2009 wurde die Trauerfeier auf 5 Fernsehkanälen live übertragen; beim anschliessenden Länderspiel gab es eine Gedenkminute, auch wenn es sicherlich genug Leute hatte, die gern das angekündigte Fernsehprogramm gesehen hätten oder den Anpfiff des Länderspiels erwartet haben. Eine öffentliche Betroffenheit muss öffentlich ausgedrückt werden, und da braucht es dann auch die Toleranz der nicht persönlich Betroffenen. So sehr ich den Wunsch verstehe, auch an Karfreitag "volles Programm" zur Auswahl zu haben, so wichtig finde ich es gleichzeitig, dass die Welt einmal ein bisschen stillstehen darf. Und wahrscheinlich ist das noch das grösste Problem daran... Hier gibt es übrigens auch noch ein paar interessante Gedanken zum Thema.

Aber das sind nur meine $0.02...

Ansonsten gilt:

In diesem Sinne: Frohe Ostern morgen!

Gruss
Marc
Wir sind ja schließlich nicht zum Vergnügen hier! ...