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Foren-Name: Plauderecke
Beitrag Nr.: 6811
#0, Feuilleton
Geschrieben von The_Source am 06-Okt-05 um 16:40 Uhr
Letzte Bearbeitung am 06-Okt-05 um 16:47 Uhr ()
Hi

Heute morgen habe ich einen Artikel über die "Deutschlandkampagne" in der Zeitung "DIE ZEIT" gelesen.
So das man schon sehr geteiler Meinung über die Werbung haben kann. Hier der Artikel:


Du bist Werbeagentur

Die Deutschlandkampagne

Von Jens Jessen

Das Nette am Kapitalismus früher war sein großmütiger Verzicht auf Propaganda. Bestechung, nicht Agitation hieß das Prinzip. Selbst Systemkritik wurde gerne angenommen (und damit entgiftet) oder aber (das war schon die schlimmste Strafe) der Lächerlichkeit preisgegeben. Damit ist es jetzt vorbei. Die Medienkampagne »Du bist Deutschland«, die derzeit mit unerhörtem Materialeinsatz durch Zeitungen und Fernsehen dampft, versucht das Publikum mit einem Optimismus einzuräuchern, als sei der Sozialismus wiederauferstanden, der den Menschen den real existierenden Mangel als Weg des Fortschritts zu verkaufen trachtete.

Denn um die Ideologisierung des Mangels geht es heute wie ehedem. Die gedrückte Stimmung der Deutschen wird von den Kampagnemachern aber nicht auf steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne zurückgeführt, wie es die Vernunft nahe legt, sondern die Arbeitslosigkeit wird umgekehrt als Folge schlechter Laune dargestellt, also als ein Privatphänomen, das jederzeit durch innere Einkehr und positives Denken korrigiert werden könnte. Nun lässt sich zwar darüber streiten, ob zuerst das Huhn oder das Ei da war, aber dass es genügt, mit den Flügeln zu schlagen und zu gackern wie eine Henne, um goldene Eier zu generieren, darf doch mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Jedenfalls würde man gerne erleben, wie die Werbetexter, die sich diesen Schwachsinn ausgedacht haben, einem fünfzigjährigen Ingenieur erklären, dass er seinen Arbeitsplatz nur deswegen verloren hat, weil er vergaß, dass auch August Thyssen, Ferdinand Porsche oder andere berühmte Werktätige der deutschen Vergangenheit einmal klein angefangen haben. »Du bist Thyssen« – »Du bist Porsche«. Gewiss doch! Gewiss hätte unser Ingenieur das Zeug dazu, ein Porsche zu werden, wenn seine Fähigkeiten dazu nur auf dem Markt nachgefragt würden. Muss man den Initiatoren der Kampagne, die aus der Medienwirtschaft kommen, erst eigens erklären, dass unsere Probleme auf einem Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage beruhen, dass Kapital knapp geblieben, Arbeitskraft aber im Überfluss vorhanden ist?

Den Höhepunkt an Zynismus gewinnt die Kampagne aber in dem Fernsehspot, der Schwule und Behinderte auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals versammelt. Der Bildeinfall ist in seiner Häufung diskriminierter Randgruppen so geschmacklos, dass man unweigerlich an jene alten Witze denken muss, die mit dem Satz »Jude allein reicht wohl nicht« endeten. »Du bist Deutschland.« Ei freilich! Auch Juden, Schwule und Mongoloide waren Deutsche. Jetzt sind sie aber tot. Ehrlicher wäre es gewesen, einen schneidigen SS-Offizier mit der Unterschrift »Du bist Deutschland« zu zeigen. Damit wäre man der Wahrheit schon näher gekommen; übrigens auch der Einsicht, dass allzu viel Trost aus dem Nationalstolz gerade von dem klügeren Teil der Deutschen nicht mehr gefordert werden kann.

(c) DIE ZEIT 06.10.2005 Nr.41


The Source



#1, RE: Feuilleton
Geschrieben von The Knowledge am 06-Okt-05 um 16:59 Uhr

Hmmm ...

... wenn man sich die Auflagenentwicklung der Zeit so anschaut, dann wird auch Herr Jessen möglicherweise in Bälde zur Gruppe derer gehören, die es zu motivieren gilt.

Man kann alles schlecht reden. Auch diese Kampagne. Gut ist sie trotzdem. Und nötig sowieso.

Positive Grüße,

Tim
... immer alles anders!


#2, RE: Feuilleton
Geschrieben von Maaahzel am 06-Okt-05 um 17:04 Uhr

>Man kann alles schlecht reden. Auch diese Kampagne. Gut ist sie trotzdem. Und nötig
>sowieso.

Vollste Zustimmung!

www.du-bist-deutschland.de

Gruß
Marcel


#3, RE: Feuilleton
Geschrieben von ALeXX am 06-Okt-05 um 17:06 Uhr


>Man kann alles schlecht reden. Auch diese Kampagne. Gut ist sie trotzdem. Und nötig
>sowieso.
>
>Positive Grüße,

... Und überfällig erst Recht. Beide Daumen nach oben für diese Kampagne.