Am heutigen Montag kehrt Medienkritiker und Grimmepreisträger Oliver Kalkofe (39) mit einer neuen Staffel von „Kalkofes Mattscheibe“ zurück. Er ist das schlechte Gewissen Fernsehdeutschlands - immer auf der Jagd nach Verblödungs-Tätern und Geschmacks-Verbrechern kommentiert Oliver Kalkofe wieder ausgewählte TV-Peinlichkeiten. Der liebevolle "Medienterminator" und stolze Grimme-Preisträger ist dieses Jahr mit seiner Kultshow "Kalkofes Mattscheibe" in der Kategorie "Comedy" für die begehrte Rose d'Or nominiert. Was ihn sonst umtreibt, sagte er Torsten Sülzer (Kölnische Rundschau)
Frage: Herr Kalkofe, Sie haben zurzeit viel zu tun, oder?
Kalkofe: Richtig. Das wichtigste ist aber, dass die Mattscheibe wiederkommt. Und im Mai kommt die zweite DVD mit Material vom Vorjahr.
Frage: „Kalkofes Mattscheibe“ spießt schlechtes Fernsehen auf. Wie stehts um unsere Programme?
Kalkofe: Zu 90 Prozent der Sachen, die jetzt laufen, sagen die Redakteure hinter der Kamera selber: Mein Gott, ist das schlecht! In den Neunzigern wurde bei den Privaten wenigstens noch experimentiert. Das ist weg. Es gibt nicht mehr den Wunsch, zu zeigen: Hallo, wir können Fernsehen machen, und zwar toller und größer als alle anderen.
Frage: Keine Sendung findet Ihre Gnade?
Kalkofe: Kaum eine. Es gibt ein paar Routine-Produkte, die keinem wehtun. Eine Ausnahme ist „Genial daneben“, das ist klasse, da merkt man, dass die Leute, die mitmachen, Spaß dran haben.
Frage: Die Sendung lebt ausschließlich von den Leuten. . .
Kalkofe: Klar, die lebt aber auch davon, dass auch hinter den Kulissen Leute sitzen, die Spaß dran haben. Ansonsten freue ich mich natürlich, dass Harald Schmidt wieder da ist.
Frage: Warum kommt nichts gutes Neues? Fehlt das Geld? Fehlen Leute mit Mut?
Kalkofe: Es fehlen Leute mit Visionen oder mit Spaß an der Arbeit. Geld fehlt nicht wirklich, man ist nur geizig. Das Erschreckende ist ja: Es gab noch nie so viele Flop-Formate wie im letzten Jahr, auf allen Sendern: „Kämpf um deine Frau“, „Hire and fire“ und diese Schönheits-OP-Formate. Trotzdem haben quasi alle Sender finanziell ihr bestes Jahresergebnis seit Bestehen abgeliefert.
Frage: Das heißt. . .?
Kalkofe: Das heißt, die Frage bei den Sendern lautet: „Wie viel ##### muss man bauen, um erfolgreicher zu werden, statt was Richtiges zu machen?“ Die Flops sind egal, weil der Rest so billig produziert und versendet wird und damit trotzdem viel Kohle reingeholt wird. Das ist eine schlimme Erkenntnis. Denn das heißt auch, dass die Sender so weiter machen werden.
Frage: Sie spielen auf die nächtlichen Quiz-Shows an?
Kalkofe: Genau! Das beste Beispiel sind dieses nächtlichen Quiz-Shows à la Neun live, die wirklich niemand sehen will, die unterirdischste Quoten haben, aber es kommt trotzdem Geld rein. Die Quiznacht auf Sat.1 läuft erbärmlich - wird aber verlängert. Früher wurden wenigstens noch Zuschauer gebraucht, um die Werbung zu verkaufen. Inzwischen sagen die: „Hauptsache, es sind genügend Idioten da, die in der Show anrufen, um zu bezahlen, dass wir sie verarschen.“ So bitter ist das.
Frage: Was ärgert Sie noch?
Kalkofe: Dass gute Serien, wenn welche laufen, systematisch getötet werden. Das Bild wird platt gemacht. Es laufen kleine Männchen ins Bild, die dafür werben, was demnächst läuft. Das Programm wird selbst von den Machern nicht mehr ernst genommen.
Frage: Man kann ausschalten.
Kalkofe: Klar. Man kann sich die Serien auch als DVD kaufen. Aber es ärgert mich, dass ich dazu gezwungen werde. Und einfach abschalten? Es sind vier- oder fünftausend Leute, die dieses Gerät haben, mit denen die Einschaltquoten gemessen werden. Ob Sie ihren Fernseher aus dem Fenster werfen oder den ganzen Tag Arte gucken - das interessiert niemanden. Bei der Wahl werden Nichtwähler noch registriert. Man weiß also, wieviele nicht gegangen sind. Beim Fernsehen wird man gar nicht wahrgenommen. Man hat keine Chance.
Frage: Was können Sie zum Inhalt der neuen Mattscheibe-Folgen verraten?
Kalkofe: „Die Burg“ wird als große Geschichte dabei sein, ein paar Viva-Sachen - und „Big Boss“ natürlich.
Kalkofes Mattscheibe, neue Staffel 23.05 Uhr, ProSieben.
Quelle(n): tv-newsline, KR, KSTA, tvtv.de
Deutschland von unten (III)
Von Holger Gertz - sueddeutsche.deDas Leben vor und in der Glotze
Das Drama ist der Alltag: Hartz IV, Furz Drei und die Geheimnisse des so genannten Unterschichtenfernsehens, in dem es nur bedingt um Bildung geht
Es ist schwierig, einen Termin bei Borris Brandt zu bekommen, er hat verdammt viel zu tun. Im Büro geht gar nichts, hatte seine Mitarbeiterin am Telefon gesagt, auch abends nicht, abends hat er noch eine Besprechung. Bleibt nur die Zugfahrt, zwischen zwei Sitzungen, nachmittags vielleicht, da kommt er aus Frankfurt und muss nach Köln, 15 Uhr fährt der ICE ab, der Platz für Borris Brandt sei reserviert. Wagen 28, Platz 36.
Borris Brandt fährt Erste Klasse.
Er sieht auch erstklassig aus, Hemd und Dreiteiler, der Bart auf Viertageslänge getrimmt. Seine Turnschuhe, weinrot mit gelben Streifen, sind der einzige Farbtupfer in Wagen 28, in dem sonst die Boss-Träger sitzen, Frankfurter Banker vielleicht. Es riecht nach teurem Aftershave, aus Aktentaschen lugt das Handelsblatt. In der Ersten Klasse rauscht die Upperclass, die Oberschicht durchs Land, und irgendwie sind die bunten Turnschuhe des vergnügten Borris Brandt wie ein Signal dafür, dass er da nicht so richtig hineinpasst. Die Tür schließt sich mit leisem Fauchen. Borris Brandt reist mit der Oberschicht. Aber er ist im Auftrag der Unterschicht unterwegs.
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