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Foren-Name: Plauderecke
Beitrag Nr.: 4851
#0, Die Sucht nach Synonymen
Geschrieben von jwahl am 08-Sep-03 um 13:45 Uhr
Ein traumhafter Artikel aus der Zwiebelfish Kolumne bei Spiegel online, der ein Thema behandelt, dass besonders die Vielschreiber sicher schon das ein oder andere Mal beschaeftigt hat: Wie vermeide ich eine Wortwiederholung?


Die Sucht nach Synonymen

Von Bastian Sick

Unter Journalisten ist ein Sport besonders beliebt: die Jagd auf Ersatzwörter. Gesucht werden einprägsame Stellvertreter und dynamische Platzhalter, die dem Text eine Extraportion Curry verleihen. Die Verwendung von Synonymen ist in manchen Ressorts so unverzichtbar wie der Reifenwechsel in der Formel 1.

Seltsamerweise weiß jedes Kind, dass Michael Schumacher aus Kerpen stammt und Jan Ullrich in Rostock geboren wurde. Seltsamerweise weiß kaum jemand, wo Angela Merkel, Edmund Stoiber und Gerhard Schröder das Licht der Welt erblickten oder aufgewachsen sind. Haben Profisportler einen höheren Bekanntheitsgrad als Spitzenpolitiker? Das kann nicht sein, wie Umfragen bestätigen. Immerhin geben sich die PR-Berater von Merkel, Stoiber und Schröder alle Mühe, ihre "Schützlinge" bekannt und populär zu machen, und wenn man sich die Nachrichten anschaut, dann sieht man Schröder, Stoiber und Merkel auch immer als Erstes; Schumacher und Ullrich kommen erst ganz am Ende, vor dem Wetter.
Im Journalismus gibt es viele Absprachen und Regeln. Eine davon scheint zu sein, dass man den Namen der Person, um die es gerade geht, erst dann ein zweites Mal erwähnen darf, wenn man zwischendurch mindestens zwei Synonyme verwendet hat. Dies gilt besonders im Sport. So lesen wir in Texten über Michael Schumacher regelmäßig wiederkehrende Ersatz-Bezeichnungen wie "der Ferrari-Pilot", "der fünfmalige Formel-1-Weltmeister", "der 34-Jährige" und eben "der Kerpener". Steffi Graf war immer "die Brühlerin" und Boris Becker "der Leimener". Kein Mensch hatte je zuvor von Leimen oder Brühl gehört, aber dank ihres häufigen Gebrauchs als Platzhalter haben sich diese Ortschaften dauerhaft ins öffentliche Bewusstsein eingebrannt.

Mit Sportler-Synonymen ließe sich manch unterhaltsames Quiz bestreiten: Wer ist "der 34-Jährige", "der Bayern-Kapitän", "der Rekord-Keeper" und "der Torwart-Titan"? Natürlich: Oliver "Olli" Kahn. Und wer ist "der Überflieger", "der 28-Jährige", "der Hinterzartener" und "der Vierfach-Sieger der Vierschanzentournee"? Richtig: Sven "Hanni" Hannawald. Aber wer ist "der Oberaudorfer", "der zweimalige Bayern-Sieger", "der 61-Jährige" und der "Bambi-Preisträger 1993"? Das wissen Sie nicht? Edmund "Eddy" Stoiber! Diesen Mann hätten Sie letztes Jahr fast zum Bundeskanzler gemacht, und Sie wissen nicht mal, dass er aus Oberaudorf stammt!

Der Test bestätigt: Der Sport kommt ohne Antonomasien (denn so lautet der Fachterminus für das Ersetzen von Eigennamen durch ein besonderes Merkmal) nicht aus und macht sie notfalls so berühmt wie den Namensträger selbst. Was sich hingegen in Sporttexten nur sehr begrenzt findet, obwohl seit vielen Jahrhunderten fester Bestandteil der deutschen Sprache, das sind Personalpronomen wie "er" und "sie". Angesichts ihrer sparsamen Verwendung muss man sich die Frage stellen, ob Pronomen unsportlich sind? Ein Beispiel aus einer Meldung über Franziska von Almsick: Statt "Am Samstag wird sie im Rahmen des ZDF- Sportstudios ab 22.25 Uhr die Paarungen für die zweite Hauptrunde im DFB- Vereinspokal auslosen" steht dort "die fünffache Goldmedaillen-Gewinnerin der Europameisterschaften". Das ist zwar nicht kürzer, enthält aber einen weiteren "hammerharten Fakt" und hilft, ein vermeintlich weiches, kraftloses Pronomen zu vermeiden.

Das zwanghafte Bemühen, Pronomen zu umgehen, fördert nicht unbedingt die Verständlichkeit der Texte. Es kann passieren, dass der Leser das Subjekt aus den Augen verliert und gar nicht mehr weiß, von wem nun eigentlich die Rede ist:
"Coulibaly geht mir in die Beine rein, trifft mich an der Kniescheibe", beschreibt der Dortmunder Keeper die dramatische Szene. "Ich verspüre einen großen Schmerz und habe im Affekt reagiert", fügt der Nationaltorwart hinzu.
Wer nicht weiß, dass Jens Lehmann Dortmunder und Nationaltorwart in einer Person ist, könnte annehmen, dass sich hier noch ein anderer Torwart ins Gespräch eingeschaltet hat.


Unsportlich ist auf jeden Fall auch die "ungetunte" Sportsparte. Ein Ersatzwort für Schumacher findet man nämlich ausgesprochen selten: Rennfahrer. Pilot, ja; Weltmeister, immerzu; doch Rennfahrer? Steffi Graf wurde auch selten "Tennisspielerin" genannt, obwohl sie vor allem eines toll konnte: Tennis spielen. Stattdessen wurde sie so oft "Tennis-Star" tituliert, dass der ursprüngliche Glamour des Wortes "Star" irgendwann verblasste. Nach der tausendsten Wiederholung bleibt in der Wahrnehmung des Lesers nur noch der matte Glanz eines Blechsterns.

Nehmen wir mal an, die Politikredaktion würde derselben Synonymitis verfallen: Namen würden plötzlich selten, Pronomen tabu und Antonomasien allmächtig; dann hörten sich Berichte über den Bundeskanzler womöglich so an:

Zum Auftakt der Konferenz stellte sich der 59-jährige SPD-Star den Fragen der Presse. "Ich bin sehr zuversichtlich", so der Hannoveraner, "dass das, was wir uns vorgenommen haben, in seiner Machbarkeit auch umsetzbar ist." Der Profi-Politiker, der zurzeit mit einer Reform-Verstauchung zu kämpfen hat, wird auch 2006 wieder an den Start gehen. "Joschka und ich sind uns einig, und Doris ist auch dafür", verriet der zweimalige Wahlgewinner von 1998 und 2002.

Die Suche (oder die Sucht) nach Ersatzwörtern beherrscht aber nicht nur den Sport allein, auch im Wirtschaftsjournalismus geht man immer wieder gerne auf die Pirsch. Folgender Dialog aus einer Wirtschaftsredaktion ist überliefert:

"He, sag mal schnell ein anderes Wort für Frankfurt!"
"Mainmetropole!"
"Mainmetropole hab' ich schon. Sag noch mal was anderes."
"Bankenstadt"
"Steht bereits in der Bildunterschrift. Weißt du nicht noch was?"
"Wie wär's mit Main-Manhattan?"
"Ja, das ist hübsch, aber 'Main' hatte ich doch oben schon."
"Dann schreibst du oben 'Hessenmetropole' und unten Main-Manhattan."
"Hessenmetropole? Hört sich komisch an. Klingt das nicht irgendwie... provinziell?"
"Wenn du schon mal in Frankfurt gewesen wärst, dann wüsstest du: Frankfurt ist provinziell!"
"Also schön, dann eben Hessenmetropole. Klingt trotzdem komisch. Wie nackter Arsch im Persianer."

Kennen Sie den Unterschied zwischen dem "Glücksrad" und einer Nachrichtenredaktion? Beim "Glücksrad" werden immer nur einzelne Vokale gekauft; in der Redaktion hält man sich mit solchem Kleckerkram nicht auf, da heißt es gleich: "Ich kaufe ein Synonym!"

P.S. Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde übrigens in einem Ort namens Mossenberg geboren, und die als Ostdeutsche bekannte Angela Merkel in Hamburg. Wenn Sie gewusst haben, dass Edmund Stoiber aus Oberaudorf stammt, brauchen Sie es mir nicht mitzuteilen, ich glaube es Ihnen bestimmt!


#1, RE: Die Sucht nach Synonymen
Geschrieben von jwahl am 17-Sep-03 um 13:58 Uhr

Eine neue Woche, eine neue Kolumne. Wie oft ich das in den P+R News wohl auch verbrochen habe, ich mag agrnicht dran denken...

Die unvorhandene Mehrzahl

Gerüchte, Spekulationen, Unterstellungen - sie sind der schlimmste Alptraum eines jeden Prominenten. Es gibt nur eines, was noch schlimmer wäre: das Gerücht, die Spekulation, die Unterstellung. Ein Plädoyer gegen schwammige Plurale und für die Kraft der Einzahl.

Ein erpresserischer Innensenator, ein kompromittierter Bürgermeister, ein zur Miete wohnender Justizsenator und angebliche Zeugen für vermeintliche Liebesgeräusche. Die Gerüchteküche brodelte, was das Zeug hielt, aus allen Töpfen blubberte und spuckte es, weißer Schaum stemmte die Deckel hoch, zäher Brei troff auf die Herdplatte, wo er laut zischend verbrannte. Welch ein gefundenes Fressen für die Presse, die gar nicht hinterherkam, all die vielen Spritzer einzufangen und die Schliere in Tüten abzufüllen.
Das las sich dann etwa so: "Gerüchte, er habe ein homosexuelles Verhältnis mit dem Justizsenator, wollte der Bürgermeister nicht kommentieren." Abgesehen von dem moralischen Problem haben wir es hier auch mit einem stilistischen zu tun. Der Satz beginnt mit dem Objekt, und dieses Objekt wird im anschließenden Einschub näher erklärt. Das ist sprachlich zwar nicht elegant, grammatisch* aber korrekt. Doch sehen wir uns dieses Objekt und seine Bestimmung einmal näher an: "Gerüchte" heißt es, ein Wort in der Mehrzahl. Und wie lauten diese mehreren Gerüchte? Da wäre zum einen: Er habe ein homosexuelles Verhältnis mit seinem Justizsenator. Aha. Und zum zweiten? Nix mehr. Schade eigentlich.

Wir haben es hier mit einem Lieblingsphänomen der deutschen Schriftsprache zu tun: dem unvorhandenen Plural. Er taucht überall dort auf, wo vermutet, behauptet, unterstellt und spekuliert wird.

"Befürchtungen, dass sie durch den heißen Auftritt ihrem Image geschadet habe, hat die Blondine offenbar nicht", war in einem Text über Britney Spears zu lesen, nachdem sie von Madonna in die Wunder des öffentlichen pseudo-lesbischen Lingualverkehrs eingeführt worden war. Warum sich der Verfasser nicht getraut hat, "die Befürchtung" zu schreiben, wenn er doch nur eine nennt, das bleiben seine Geheimnisse.

Vielleicht wählte er den Plural in der Annahme, der Aussage damit mehr Gewicht zu verleihen: Je mehr er die arme Spears befürchten lässt, desto mehr beeindruckt er die Leser. Doch das ist ein Trugschluss. Wenn es nicht gar Trugschlüsse sind.

Der Plural verstärkt nicht, er verdichtet nichts, er macht die Befürchtung nicht fürchterlicher. Im Gegenteil - der Plural schwächt ab, er entzieht der Befürchtung das Beklemmende, macht sie beliebig. Hier wird die Möglichkeit verschenkt, mit weniger mehr zu erreichen.


"Der Schriftsteller bestreitet die Vorwürfe, in den sechziger und siebziger Jahren für die Stasi gearbeitet zu haben". Der Plural wäre verständlich, wenn Vorwurf eins lautete, der Schriftsteller habe in den sechziger Jahren für die Stasi gearbeitet, und Vorwurf zwei, er habe das, starrsinnig wie Intellektuelle nun mal sind, in den siebziger Jahren immer noch getan. Gemeint ist aber bloß ein einziger Vorwurf. "Forderungen nach einem direkten Rückzug der Koalitionstruppen schloss sich Fischer nicht an." Auch hier haben wir es nur mit einer einzigen Forderung zu tun; nämlich der nach einem Rückzug, dennoch steht das Objekt im Plural.

"He, Zwiebelfisch, nun werde mal nicht haarspalterisch", erschallt da der Ruf (oder sind es Rufe?) von irgendwoher, "die Mehrzahl soll doch nur verdeutlichen, dass die Forderung von mehreren Personen gestellt wurde." Eine interessante These. Die vielen geheimnisvollen Quellen verstecken sich quasi im Numerus des Objekts! Es verschmilzt die Botschaft mit ihren Rufern. Das ist subversiver Journalismus in Höchstform.

Bemühen wir die Logik: Jemand setzt ein Gerücht in die Welt, eine zweite Person trägt es weiter, wie viele Gerüchte haben wir? Zwei? Falsch. Es sei denn, der Inhalt wurde verändert. Gegenprobe: Im Stadion bricht Panik aus. 20.000 Personen rennen zum Ausgang. Wie viele Paniken haben wir? Selbstverständlich können diverse Gerüchte über den Lebenswandel einer Person kursieren, doch hinter der Aussage "Er hat ein homosexuelles Verhältnis mit dem Justizsenator" verbirgt sich nicht mehr als ein einziges Gerücht. Und das ist auch genug so. Denn ein einzelnes Gerücht kann mehr Schaden anrichten als eine ganze Batterie von Gerüchten. So wie die Last einer einzelnen Schuld mehr wiegen kann als diverse Schulden.

Es gibt eine Zeichnung von A. Paul Weber mit dem Titel "Das Gerücht". Darauf ist ein schlangenartiges Wesen mit einer menschenähnlichen Fratze zu sehen, das durch eine monotone Häuserschlucht gleitet. Aus allen Fenstern fliegen ihm kleinere Schlangen zu, heften sich an seinen Leib und lassen ihn zu einem Grauen erregenden Monstrum anwachsen. Hätte Weber diese Allegorie nicht "Das Gerücht" genannt, sondern "Gerüchte", wäre die Hälfte ihrer Wirkung verpufft. Das Beklemmende, Furchteinflößende liegt oft gerade in der Einzigartigkeit, im Einzelnen, in der Einzahl.


#2, RE: Die Sucht nach Synonymen
Geschrieben von jwahl am 22-Okt-03 um 15:09 Uhr

Moin
Mal wieder ein schönes Thema...

Rettet dem Genitiv!

Von Bastian Sick

Nicht nur die SPD hat es in Bayern schwer. Auch der Genitiv wird nicht ernst genommen. Freilich ist es das gute Recht eines jeden Volksstammes, sich außer seiner Regierung auch seine eigene Grammatik zu wählen. Bedenklich wird es erst, wenn "wegen dem" Dialekt die Hochsprache verflacht. Ein Traktat zugunsten des zweiten Falles.

"Wegen dir", sang die bayerische Sängerin Nicki 1986. Das Lied war damals ein großer Erfolg und erlangte Bekanntheit weit über die Grenzen Bayerns hinaus. Ein deutscher Schlager, der nicht auf Hochdeutsch getextet war. Die Bayern, das weiß man, haben's net so mit dem Wes-Fall (Woas is des?), sie lieben den Dativ wie das Weißbier und die Blasmusik. Daher verzieh man der Sängerin auch gerne den dritten Kasus im Zusammenhang mit dem Wörtchen "wegen".

Als müsse er diesem kommerziellen Tiefschlag des Genitivs etwas entgegenhalten, brachte im selben Jahr der Österreicher Udo Jürgens eine Platte mit ähnlich klingendem Titel heraus: "Deinetwegen" hieß das Album, und es wurde ein großer Erfolg weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Zum Glück: So wurden die Radiohörer diesseits und jenseits der Alpen daran erinnert, dass man in Bayern "wegen dir" sagen kann, dass die richtige Form aber "deinetwegen" lautet. Denn was Udo Jürgens singt, ist immer bestes Hochdeutsch. Ein Jahr lang ging er mit "Deinetwegen" auf Tournee, ein beispielloser Kreuzzug für die Rettung des Genitivs.

Die Wirkung indes blieb begrenzt; in den neunziger Jahren erschienen immer mehr Lieder und CDs, die "Wegen dir" im Titel führten. Und hier war der dritte Fall nicht mehr mit Dialekt zu entschuldigen; denn die Sänger artikulierten sich in Hochdeutsch, beziehungsweise in etwas, das sie dafür hielten. Im Sängerkrieg der Schlagerbarden ist der Genitiv unterlegen. Muss man ihn unter Artenschutz stellen? Einen Verein zu seiner Rettung ins Leben rufen?

Viel Unterstützung fände man dabei wohl nicht. Es gibt sogar Fälle, in denen der Verzicht des Genitivs aus stilistischen Gründen ausdrücklich empfohlen wird. Zum Beispiel gilt es als wenig schicklich, zwei Genitive aufeinander folgen zu lassen: "laut des Berichts des Ministers" klingt nicht besonders elegant. Daher ist es laut Duden erlaubt, hinter "laut" in den Dativ überzuwechseln: "laut dem Bericht des Ministers..."

Dies führt natürlich dazu, dass mancher denkt, hinter "laut" müsse nun immer der Dativ stehen. Muss er zwar nicht, darf er aber. Der Duden hält hier eine seiner berühmten Sowohl-als-auch-Empfehlungen bereit. Dem Genitiv-Verfechter bleibt nichts anderes, als sich in Toleranz zu üben.

Doch ganz so gefährdet ist der Genitiv in Wahrheit nicht. Er versteht sich durchaus zu wehren und macht sogar Anstalten, fremdes Terrain zu erobern. Immer wieder tauchen Fälle auf, in denen hinter Präpositionen, die den Dativ erfordern, plötzlich ein Genitiv zu finden ist: "gemäß des Protokolls", "entsprechend Ihrer Anweisungen", "entgegen des guten Vorsatzes". Dies geht so weit, dass sich der Duden bemüßigt fühlt, diese Präpositionen mit dem ausdrücklichen Hinweis zu versehen, dass ihnen NICHT der Genitiv folge, sondern der Dativ.

Im Falle der Präposition "trotz" ist dem Genitiv die feindliche Übernahme gelungen: Standardsprachlich wird heute hinter "trotz" der Wesfall verwendet. Dass dies nicht immer so war, beweisen Wörter wie "trotzdem" und "trotz allem". In Süddeutschland, Österreich und der Schweiz wird "trotz" weiterhin mit dem Dativ verbunden. Nicki würde auf Bayerisch singen: "Trotz dem damischen Zwiebelfisch", und Udo Jürgens auf Hochdeutsch kontern: "Trotz des nervigen Zwiebelfischs".


#3, Das Verflixte dieses Jahres
Geschrieben von McKane am 14-Jan-04 um 16:18 Uhr

*BeitragRauskram*

Mal wieder ein sehr interessanter aus der Zwiebelfisch-Reihe...

Von Bastian Sick

"Wir haben gerade zum 1. Januar diesen Jahres die Steuern gesenkt", verkündet die Regierung stolz. Das ist natürlich erfreulich, auch wenn es leider nicht richtig ist; denn diese Aussage enthält einen Fehler. Der ist allerdings so weit verbreitet, dass er kaum noch auffällt. Auch die Presse hat ihn gefressen. Journalisten rechnen immer mit dem schlimmsten Fall, nur nicht mit dem zweiten.

Munter singend läuft das Rotkäppchen durch den Wald, in der Hand den Korb mit Wein und Brot für die Großmutter. Da erscheint der Wolf und spricht: "Hallo, mein Kind, so spät noch unterwegs?" - "Grüß dich, Wolf!", ruft das Rotkäppchen furchtlos, "wie geht's?" - "Phantastisch!", sagt der Wolf, "ich habe mir Anfang diesen Jahres einen roten Sportwagen gekauft, der ist einsame spitze! Wenn du willst, kann ich dich ein Stück mitnehmen!" - "Einen Sportwagen? Ich glaub dir kein Wort!" - "Doch, doch, er steht gleich dort drüben zwischen den dunklen, finsteren Tannen, hähä." - "Der ist doch bestimmt geklaut!", sagt das Rotkäppchen. Der Wolf hebt feierlich die Pfote: "Ich schwör bei deiner roten Kappe, ich habe ihn gekauft! Das heißt, vorläufig noch geleast, aber spätestens im März diesen Jahres gehört er mir. Was ist, Bock auf eine Spritztour?" - "Nein danke", erwidert das Rotkäppchen, "ich gehe lieber zu Fuß." Und naseweis fügt es hinzu: "Übrigens heißt es 'zu Anfang und im Sommer dieses Jahres'." Damit springt es singend davon. Der Wolf denkt verächtlich: "Blöde Göre! Ob ich dich im Sommer diesen Jahres oder im Sommer dieses Jahres fresse, was macht das für einen Unterschied? Fressen werde ich dich so oder so!"
Jacob Grimm war nicht nur berühmter Märchensammler, sondern auch ein bedeutender Sprachwissenschaftler. Mit seinem "Deutschen Wörterbuch" legte er den Grundstein für die Vereinheitlichung der deutschen Sprache. Sein Wolf hätte daher auch die korrekte Beugung des Demonstrativpronomens "dieses" gewusst. Der Wolf in obiger Rotkäppchen-Variation indes kennt sich nicht aus mit der Grammatik, vielleicht handelt es sich bei ihm um einen Wes-Wolf (eine Nebenform des Wer-Wolfs), vielleicht hat er aber auch einfach nur zu viel ferngesehen oder Zeitung gelesen, denn dort wird einem die falsche Genitiv-Form pausenlos um die Ohren geschlagen.

"Die Bundesregierung will ... den Zivildienst im Herbst diesen Jahres von zehn auf neun Monate kürzen", schreibt zum Beispiel die "Bild"-Zeitung am 13. Januar. Und bereits am 9. Januar wies die "WAZ" darauf hin, dass die Bewerbungsfrist für die Kulturhauptstadt Europas "im März diesen Jahres" abläuft.

Doch die Wes-Wölfe hausen längst nicht nur im Boulevard-Journalismus, sondern überall: "Nach derzeitigem Stand will die EU Ende diesen Jahres über einen solchen Fahrplan entscheiden." ("Süddeutsche Zeitung") "Mit einem neuen Gesetz will die rot-grüne Bundesregierung ab Sommer diesen Jahres die Schwarzarbeit in Deutschland stärker bekämpfen." ("Tagesspiegel")

Selbst das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gibt voller Stolz bekannt: "Wir haben gerade zum 1. Januar diesen Jahres die Steuern gesenkt." Da glaubt man in Berlin endlich einmal etwas richtig gemacht zu haben, und prompt enthält es wieder einen Fehler.

Besonders schwer haben es die Rotkäppchen in Ostdeutschland - im sächsischen Blätterwald lauern die Wölfe gleich rudelweise. In der "Sächsischen Zeitung" gibt es fast täglich mindestens eine Stelle, an der die falsche Genitiv-Form zum Einsatz kommt. Drei Beispiele, alle in einer einzigen Ausgabe (vom 9. Januar dieses Jahres) gefunden:

· Im Sommer diesen Jahres soll der Umbau des Gebäudes abgeschlossen werden.
· Ende diesen Jahres wird bestimmt wieder ein immergrüner Baum in Bischofswerda den Altmarkt schmücken.
· Bei der Sportlerehrung im Landratsamt Bautzen wurden im März diesen Jahres auch zwei Wehrsdorfer ... geehrt.


Man ist schon versucht zu glauben, dies sei der berühmte sächsische Genitiv, von dem man im Schulunterricht gehört hat. Doch die Ver-Beugung dieses Pronomens ist ein gesamtdeutsches Phänomen. Mag die Sprache uns bisweilen auch trennen, die Sprachirrtümer führen uns wieder zusammen.

Die inflationäre Ausbreitung der falschen Fallbildung vor dem "Jahres"-Wort erregt Besorgnis und sorgt für Erregung. Immer wieder erreichen den "Zwiebelfisch" Hilferufe und entrüstete Appelle von Lesern, die den Unsinn dieses (!) Ausdrucks anprangern und eine bundesweite Klarstellung fordern. Sie haben dabei die Grammatik ganz klar auf ihrer Seite. Man spricht ja auch nicht vom "Zauber diesen Augenblicks" oder vom "Ende diesen Liedes", und ebenso wenig war Maria "die Mutter diesen Kindes".
Wer dieses sagt, der muss auch jenes sagen. Wer also vom "Herbst diesen Jahres" spricht, der muss auch den "Frühling jenen Jahres" für richtig halten. Und tatsächlich: An die "Terroranschläge vom 11. September jenen Jahres" erinnert man sich bei der "WAZ", und die "Frankfurter Rundschau" schreibt zum Jubiläum einer bunten Schweizer Armbanduhr: "Ganze zwölf Modelle waren es zunächst, die im Herbst jenen Jahres für einheitlich 50 Franken in den Handel kamen."

Das Verflixte dieses Jahres liegt an seiner Ähnlichkeit mit anderen Wendungen, die ihrerseits völlig korrekt sind: im Herbst letzten Jahres, im Mai vergangenen Jahres, im Sommer nächsten Jahres - stets endet das Attribut auf -n; und auch "die Wurzel allen Übels" mag als Vorbild gedient haben, denn im Fall des zweiten Falles heißt "alles" nicht mehr "alles". So trat "diesen" durch Analogiebildung vor das Wort "Jahres" und vertrieb "dieses" von seinem angestammten Platz.


Die Rotkäppchen dieses Landes trifft ein hartes Los. Im Haus der Großmutter angekommen, findet das brave Kind die alte Dame seltsam verändert vor. "Großmutter, was hast du für große Ohren?", fragt es verwundert. Die vermeintliche Großmutter lässt die Zeitung sinken, schielt über den Rand der dicken Brille und sagt: "Kindchen, Kindchen, nerv mich nicht mit deinen Fragen! Stell den Wein auf den Tisch und scher dich weg! Ich verdaue gerade deine zähe Oma und will bis zum Ende diesen Winters meine Ruhe!"


#4, RE: Die Sucht nach Synonymen
Geschrieben von jwahl am 28-Jan-04 um 11:56 Uhr

Deutschland, deine Apostroph's

Von Bastian Sick

Über dem hölzernen Kahn prangte in grellen Neonbuchstaben der Schriftzug "Noah's Arche". Und sie kamen alle: Petra's Hamster, Susi's Meerschweinchen, Indien's Elefanten, Australien's Känguru's, selbst Marabu's und Kolibri's. Sie flohen vor dem alles verheerenden Häk'chen-Hagel. Doch es war zu spät: Die Welt versank, und übrig blieb am Ende - nicht's

Zähneknirschend nahm man es hin, dass im trüben Fahrwasser der Rechtschreibreform mit einem Mal "Helga's Hähncheneck" und "Rudi's Bierschwemme" höchste Weihen erhielten und offiziell sanktioniert wurden. Der von vielen gescholtene so genannte Deppen-Apostroph war über Nacht salonfähig geworden. Nun ja, vielleicht noch nicht salonfähig, aber zumindest imbissbudenfähig. Wenn Oma morgens ihr kleines Restaurant aufschließt und die Beleuchtung einschaltet, braucht sie sich nicht mehr zu schämen, dass draußen die mondäne Aufschrift "Oma's Küche" prunkt. Stolz erhobenen Hauptes kann sie sagen: "Was habt ihr denn? Ist doch richtig so! Steht sogar im Duden's!"
Tatsächlich: dort - wie auch in anderen Standardwerken zur deutschen Sprache - heißt es in Übereinstimmung mit den neuen amtlichen Regeln: "Gelegentlich wird das Genitiv-s zur Verdeutlichung der Grundform des Namens auch durch einen Apostroph abgesetzt."

Man beachte die Wortwahl: Gelegentlich. Das klingt wie: "Einige können es eben nicht lassen." Und um sein Unwohlsein noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, fügt der Duden fast trotzig an: "Normalerweise wird vor einem Genitiv-s kein Apostroph gesetzt."

Ach ja, die gute alte Normalität! Als "Clarissa's Hairstudio" noch "Frisörsalon Lötzke" hieß - wo ist sie hin?

"Man sieht sich immer zweimal!", weissagte der sächsische Genitiv nicht ohne Häme, als er sich anschickte, im Gefolge der Angeln und Sachsen nach Britannien auszuwandern. Er sollte Recht behalten. Er kehrte zurück - und wie! Doch kurioserweise nicht aus dem Westen (wo man allgemein den Ursprung aller Anglizismen vermutet), sondern aus dem Osten. Denn im Zuge der deutsch-deutschen Wiedervereinigung schwappte die im Osten bereits weit verbreitete Apostroph-Euphorie ("Erich's Broiler-Paradies") auch in den Westen - und schwappt seitdem gesamtdeutsch hin und her, vorzugsweise durch die seichten Niederungen des "Internet's".
"Seither hat sich dieser Genitiv, der bis dahin bei Beck's Bier und ein paar vergleichbaren Labels ein leise belächeltes Exotendasein geführt hatte, wie die Schwarzen Blattern ausgebreitet", stöhnte die "Süddeutsche Zeitung" in einem "Streiflicht" im Jahre 1998.

Nun, es scheint, als müssten wir mit diesen Blattern leben. Wir haben uns an Phänomene wie Modern Talking und die "Oliver Geissen Show" gewöhnt und an Wörter wie "Airline", "Basement" und "Lifestyle" (Wer sagt schon noch Fluglinie, Untergeschoss und Lebensart?), also werden wir auch damit fertig.

Doch es ist wie immer im Leben: Kaum hat man sich mit dem einen Schicksalsschlag abgefunden, da zieht schon die nächste Katastrophe herauf. Mit erschreckender Geschwindigkeit breitet sich eine neue, noch schlimmere Apostrophenpest in Deutschland aus. Befallen ist diesmal nicht der Genitiv, sondern der Plural.
Plötzlich liest man überall von "Kid's" und "Hit's" und wird permanent mit "Info's" bombardiert. Zunächst konnte man noch vermuten, dass diesem Kuriosum eine schlichte Verwechslung zugrunde liegt, zumal hauptsächlich aus dem Englischen stammende Wörter betroffen sind: Womöglich war das Plural-s für ein Genitiv-s gehalten worden.

Doch inzwischen werden auch andere Begriffe zer-apostrophiert: Der Obsthändler an der Ecke verkauft neuerdings Mango's und Kiwi's, die Anzeigenblätter im Briefkasten werben für günstige Caravan's, Kombi's und extra dicke Pizza's, man staunt über die Vielzahl von Tee's auf der Getränkekarte, ersteigert auf eBay modische Accessoire's, überrascht einander mit lustig bedruckten T-Shirt's, die Kid's entpuppen sich als Mädel's und Jungen's, und wem mit Tee's nicht gedient ist, der bestellt Kognak's oder Martini's. Im Hotelzimmer schaut man sich später ein paar Video's an, und bezahlt wird das Ganze selbstverständlich in Euro's, und zwar bar, denn an vielen Kassen werden keine Scheck's angenommen.

Gar keine Aussicht auf Rettung besteht mehr für Abkürzungen. Lastkraftwagen (kurz: Lkw, auch in der Mehrzahl) sind zu "LKW's" geworden, Personenfahrzeuge werden entsprechend "PKW's" abgekürzt, und immer wieder stolpert man über "CD's" und "DVD's".

Liest man in der Sauna den Hinweis "Kein Schweiß auf's Holz", so brennt es einem in den Augen. Ebenso beim Anblick von Läden, die "Alles für's Kind" anbieten. Zwar ist der Apostroph hier überflüssig, aber immerhin scheint sich der Schildermaler noch was dabei gedacht zu haben. "Eigentlich heißt's ja 'auf das Holz' und 'für das Kind', da mach' ich vorsichtshalber mal 'n Apo-dingsda, na, so'n Häkchen halt", wird er sich gesagt haben - und schon war's passiert. Lästig, aber lässlich. Aber viele Menschen setzen den Apostroph bereit's auch dort, wo gar nicht's ausgelassen wurde. Da! Haben Sie es bemerkt? Ist Ihnen nicht's aufgefallen? Dann schauen Sie mal nach recht's! Und dann noch mal nach link's! Merken Sie es jetzt?

Manche Deutschen scheinen von der Vorstellung besessen, dass generell jedes "s" am Wortende apostrophiert werden müsse. Als sei das Endungs-s eigen's dafür geschaffen, vom Wortstamm abgespalten zu werden. Dabei geht die Tendenz in der Standardsprache genau in die entgegengesetzte Richtung: Nicht immer mehr, sondern immer weniger Apostrophs empfiehlt die neue amtliche Regelung. "Ich sing' ein Lied" und "Mir geht's gut" kann, darf oder sollte heute "Ich sing ein Lied" und "Mir gehts gut" geschrieben werden.
Doch die Gemeinde der Neu-Apostrophiker wächst und wächst. Sie setzt den Apostroph stet's und überall, nirgend's ist man noch vor ihm sicher. Und weil das abgespaltene Endungs-s manchen noch nicht reicht, machen sie das Häkchen auch vor "z" und "n" und überhaupt vor allem, was am Wortende steht. Schon wurden an mehreren Stellen in Deutschland Schilder mit der Aufschrift gesichtet: "Futter'n wie bei Mutter'n". Ist das moder'n - oder einfach nur depper't? Wohin soll uns das noch führen? Droht uns die totale Apostrophe? Der alles verheerende Häk'chen-Hagel? Oder stecken wir schon mittendri'n? Na dann Pros't!


#5, Im Bann des Silbenbarbaren
Geschrieben von jwahl am 18-Feb-04 um 18:02 Uhr

Den Fehler mach ich auch gerne, bin aber lernfähig. Eine neue Kolumne von Spiegel online:

Im Bann des Silbenbarbaren

Aus dem Silbensumpf hat sich ein Suffix erhoben, den deutschsprachigen Raum zu erobern. Und zwar bar jeder Rücksicht: Was früher unverwüstlich war, ist heute unverwüstbar, wenn nicht unkaputtbar. Produkte werden kaufbar, Entscheidungen akzeptierbar, Menschen erinnerbar. Der Siegeszug des Silbenbarbaren scheint unaufhaltbar.

Die Endsilbe -bar ist auf dem Vormarsch. Und im Moment sieht es so aus, als wäre ihr Vormarsch durch nichts aufhaltbar. Wie ein Heer grimmiger Orks rückt sie voran und nimmt ihren schwächeren Konkurrenten Lich, Abel und Sam brutal und rücksichtslos eine Bastion nach der anderen ab. Die Genannten sind nicht etwa Hobbits, sondern Suffixe.
Innerhalb kurzer Zeit ist die Macht der Silbe ins Unermessbare gestiegen. Sagen Sie noch "unerklärlich" oder schon "unerklärbar"? Sind Vergangenheit und Schicksal für Sie unveränderliche oder unveränderbare Größen? Ist das Unaussprechliche für Sie bereits zum Unaussprechbaren geworden?

Wenn ja, dann befinden Sie sich möglicherweise im Bann des Silbenbarbaren. Dann hat er Sie erfolgreich auf seine Seite gezogen. Sie waren anscheinend fangbar. Nun sind Sie ihm dienstbar. Unaufhörbar.

Besonders starke Faszination übt der Barbar auf Politiker aus. Die haben nämlich festgestellt, dass ihre Sprache dynamischer klingt, wenn sie ihre inhaltsleeren Phrasen mit ein paar Bar aufpumpen. Dinge sind machbar, Risiken kalkulierbar, Forderungen verhandelbar und Reformen umsetzbar. Manches ist "ad hoc nicht entscheidbar", und nicht jedes Problem von heute auf morgen "bewältigbar", doch Solidarität jederzeit "leistbar". Mit solch markanten, wie in Marmor gemeißelten Ausdrücken wirkt selbst der mickerigste Politiker noch wählbar. Stilistisch wird er allerdings zunehmend unertragbar.

Für "nicht akzeptabel" sagt man heute auch gerne schon mal "nicht akzeptierbar". Regierende halten Forderungen der Nichtregierenden in der Regel für "nicht diskutierbar". Adieu, du schöne Endsilbe -abel. Wie wohl klangest du in unseren Ohren. Dein Niedergang ist äußerst blambar, aber offenbar unverhinderbar.


Judas mag käuflich gewesen sein, doch das ist Geschichte. Die Verräter von heute sind kaufbar! So wie jene Wahlstimme, die im Internet "ersteigerbar" und "für 990 Euro sofort kaufbar" ist. Kaufbar sind auch noch ganz andere Sachen. Zum Beispiel Algen. Die "Sächsische Zeitung" zitiert einen Tiefseespeise-Experten mit den Worten: "Solche Algen sind bereits kaufbar und im deutschen Lebensmittelrecht zugelassen."

Nichts gegen Kreativität in der Sprache! Dass Musik "tanzbar" sein kann, hat man den Vor- und Nachsprechern der MTV- und Viva-Generation noch durchgehen lassen. Doch wenn die "Brigitte" einen Seitensprung für "verzeihbar" hält, hätte sie ebensogut "verzeihlich" schreiben können. Und wenn die "taz" eine Dreistigkeit für "unübertreffbar" hält, muss die Frage erlaubt sein, warum es denn nicht "unübertrefflich" heißen durfte. Und nicht zuletzt geht es um den Klang der Worte: Ein Wort wie "erübrigbar" ("Tagesspiegel") klingt wie der berühmte Schrankkoffer, der die Treppe herunterpoltert. Ähnlich verhält es sich mit diesem Beispiel aus der "Frankfurter Allgemeinen": "Der Sachverständigenrat hält indessen ein striktes Trennsystem, in dem dem Bund die Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern, den Ländern die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer zugewiesen werden, für nicht verwirklichbar." Und es poltert nicht minder, wenn die "Wiener Zeitung" einen erfolreichen Bühnenautor als "unbeschädigbar" preist.

Grundsätzlich ist gegen Wörter auf -bar nichts einzuwenden; viele von ihnen sind sogar unentbehrlich. Doch eben nicht unentbehrbar. Wenn die Endung unkrautartig wuchernd anstelle anderer Silben tritt, natürliche Infinitive verdrängt und uns zu Wortschöpfungen verleitet, die unsere Sprache nicht braucht, dann sollte man alle Kraft zusammennehmen und das barbarische Suffix abschütteln.
"Unbedingt anzuraten ist aber der Versuch, sich positiv erinnerbar zu machen", rät die "Stuttgarter Zeitung" ihren wohnungsuchenden Lesern. Manch einer möchte aber gar nicht erinnerbar sein. Erinnernswert, das ließe man sich noch gefallen. Aber erinnerbar?

Die deutsche Sprache hat gegenüber anderen den Vorteil, dass man durch Zusammensetzungen ständig neue Wörter erschaffen kann - unser Wortschatz ist wie eine prall gefüllte Tonne bunter Lego-Steine, die sich immer wieder anders zusammenfügen lassen. Doch nicht jede Konstruktion ist sinnvoll. Und längst nicht jede hält der baupolizeilichen Prüfung stand. Manche verstößt gegen grammatikalische Prinzipien.

Eines dieser Prinzipien lautet, dass Adjektive auf -bar nur von transitiven Verben gebildet werden können. Transitive Verben sind Verben, die - im Unterschied zu intransitiven - ein Objekt haben können oder sogar benötigen.

Puristen wollen daher nicht einmal "unverzichtbar" gelten lassen, da "verzichten" nicht transitiv ist. Das Wort existiert allerdings schon seit dem 19. Jahrhundert und dürfte inzwischen als anerkannte Ausnahme der Regel gelten. So gesehen war übrigens die historische Behauptung, die "Titanic" sei "unsinkbar", nicht nur inhaltlich, sondern auch grammatikalisch unhaltbar.

Unglücklicherweise müssen Wirtschaftsjournalisten irgendwann beschlossen haben, dass das Verb "handeln" transitiv sei, denn ständig liest man von "handelbaren" Waren und Wertpapieren.

Die buntesten Blüten aber treibt der Sport. "Bochum unabsteigbar", trötet die "Bild"-Zeitung. Und das ist nur ein Beispiel von vielen: "Unabsteigbar" stieg innerhalb kürzester Zeit zum Lieblingswort der Bundesliga-Berichterstatter auf und lieferte die Vorlage für zahlreiche weitere sportsprachliche Offen-bar-ungen. Der "Kölner Stadtanzeiger" attestiert einem Trainer, er sei "uneintauschbar". Der "Tagesspiegel" setzt noch einen drauf und verleiht einem Formel-1-Reporter das stolze Attribut "unbeleidigbar". Hier herrscht die Endsilbenbarbarei völlig unhemmbar.
Es bleibt die Frage, wie lange die Macht des Barbaren erhaltbar ist. Denn schon hat sich aus dem schlammigen Morast des Silbensumpfs ein weiteres Suffix erhoben, um die Welt das Fürchten zu lehren. Es fällt über hilflose Verben und Verbalsubstantive her und geht mit ihnen groteske Verbindungen ein. Wozu es "fähig" ist, zeigt es bevorzugt in Hauswurfsendungen und in Werbeprospekten: "Die Küche ist erweiterungsfähig", verspricht ein Hersteller, "das Regal ist verstellfähig" behauptet ein anderer, und ein Altkleidersammler bittet darum, "nur tragfähige Kleidung" abzugeben. Autobahnfahrer, die rechts fahren und nicht zu schnell sind, sind "überholfähig", und Politiker behaupten gern, das bisher Erreichte sei "verbesserungsfähig". Das würde ja bedeuten, das Erreichte sei in der Lage, sich aus eigener Kraft zu verbessern! Wie wunderbar! Wozu brauchen wir dann eigentlich noch Politiker? Wie der Kampf der Silben ausgeht, bleibt abwartbar. Oder abwartungsfähig. Vielleicht haben wir es in ein paar Jahren mit akzeptierungsfähigen Entscheidungen zu tun, mit kauffähigen Produkten und erinnerungsfähigen Menschen.

Bastian Sick


#6, Gnotschi oder Njokki
Geschrieben von jwahl am 10-Mar-04 um 12:11 Uhr

Italienisch für Anfänger

Von Bastian Sick

Da sitzt es, das junge Paar, im gemütlichen "Ristorante Napoli" und studiert die Speisekarte. Kerzenschein, italienische Musik, alles umwerfend romantisch. Der Kellner kommt, um die Bestellung aufzunehmen. Sie macht den Mund auf - da nimmt das Unheil seinen Lauf.

Jeder kennt ihn, den "typischen Italiener" an der Ecke, bei dem man sich so richtig italienisch fühlt. Aus dem Lautsprecher quäkt Al Bano, an der umbrafarbenen Wand hängen Ölbilder von Neapel und Palermo, die Kellner sind klein, robust und flink und heißen Luigi, Sergio oder Alfredo. Die Luft ist geschwängert von Rotwein und Pesto. In einer solchen Atmosphäre regt sich in uns unweigerlich das Bedürfnis, unsere deutsche Identität abzustreifen und die Illusion von "la dolce vita" und "bella Italia" nicht durch falsche Aussprache all der Köstlichkeiten auf der Speisekarte frühzeitig zerplatzen zu lassen.

Sie bestellt einen Insalata mista und die überbackenen Spinat-Gnocchi, wobei sie die dicken Mehllarven "Gnotschi" ausspricht. Da sagt er zu ihr: "Schatz, es heißt nicht Gnotschi, sondern Njokki!" - "Woher willst du das wissen?", gibt sie leicht pikiert zurück. "Weil das h das c erhärtet, so wie in Pinocchio. Der heißt ja schließlich nicht Pinotschio", sagt er. Sie schaut zum Kellner auf und lächelt irritiert: "Also gut, dann nehme ich doch lieber die Spaghetti alla rabiata" - "Schatz, es heißt all'arrabbiata", flüstert er und tätschelt ihre Hand. "Das hab ich doch gesagt!", erwidert sie gereizt und zieht ihre Hand zurück. "Aber du hast es falsch betont", sagt er. "Weißt du was?", sagt sie, "dann bestell du doch das Essen!" - "Wie du willst, mein Schatz! Möchtest du nun die Gnocchi oder die Spaghetti?" - "Ist mir ganz egal." - "Gut. Dann nehmen wir zwei Insalate miste und zweimal die Njokki." - "Sehr recht", sagt der Kellner in fließendem Deutsch und notiert die Order. "Und welchen Wein wollen Sie trinken?" - Der Gast blickt seine Begleiterin an und fragt: "Schatz, welchen Wein möchtest du?" Ihr Blick fliegt über die Karte auf der Suche nach irgendetwas, das ihr bekannt vorkommt. "Tschianti", sagt sie schließlich, woraufhin er sich zu verbessern beeilt: "Du meinst Kianti!"

Während des Essens ist die Stimmung so lala; aus lauter Angst, etwas Falsches zu sagen, lenkt sie das Gespräch freiwillig auf Themen wie Tennis, Fernsehen und sogar Politik. Beim Nachtisch kommt es dann zur Katastrophe. Als der Kellner fragt, ob sie noch einen Kaffee wünschen, sagt sie zu ihrem Liebsten: "Ach ja, einen Espresso können wir noch trinken, nicht wahr?" Er nickt, woraufhin sie zum Kellner sagt: "Also zwei Espresso, bitte." Da sagt er zu ihr: "Schatz, es heißt Espressi! Ein Espresso, zwei Espressi." Sie zieht einen Schmollmund, der Kellner notiert: "Zwei caffè, kommt sofort!" - "Nein, warten Sie, nicht Kaffee, wir wollen zwei Espressi", stellt er klar. "Si, si", sagt der Kellner, "due caffè! In Italia ist caffè immer ein espresso!" Und mit einem verschmitzten Lächeln fügt er hinzu: "Das, was man in Deutschland unter Kaffee versteht, würde kein Italiener jemals anrühren!"

Den Triumph in ihrem Blick kann er nicht verwinden, und auf dem Nachhauseweg sprechen die beiden kein Wort miteinander.

So kann es kommen, wenn man in typisch deutscher Manier mal wieder besonders vorbildlich sein und alles genau richtig machen will. Dabei sind wir Deutschen so ziemlich das einzige Volk auf der Welt, das sich um korrekte Aussprache fremdländischer Wörter bemüht und vermeintlich falsche, das heißt zu deutsch klingende Aussprache bei anderen kritisiert. Über einen derartigen Eifer können beispielsweise die Franzosen nur verständnislos den Kopf schütteln. Zwar entlehnen auch sie sich zunehmend häufig Wörter aus dem Englischen, aber einem Nicht-Franzosen fällt dies kaum auf, denn die Franzosen sorgen mit ihre Aussprache dafür, dass jedes noch so fremde Wort wie ein original französisches klingt.

Schon so manche Hausfrau hat ihren Freundinnen voller Stolz ihre neue "Expresso-Maschine" vorgeführt und ist dafür belächelt worden. Tatsächlich hat sie nichts anderes getan, als ein Fremdwort einzudeutschen. Die leichte Veränderung des Zischlautes hinter dem "E" ist nicht gravierender als bei der Umwandlung der "cigarette" zur "Zigarette".

Dabei ist es eher peinlich, ein italienisches Wort in einer Weise auszusprechen, die man für italienisch hält, ohne es beweisen zu können. Latte macchiato, der umgekehrte Milchkaffee, wird nicht etwa "latte matschiato" oder "latte matschato" ausgesprochen, sondern "latte mackiato". Das Wort "macchiato" ist übrigens mit dem deutschen Wort "Makel" verwandt und bedeutet "befleckt". Ein "caffè macchiato" ist ein (mit Milch) "befleckter" (das heißt gestreckter) Espresso, umgekehrt ist ein "latte macchiato" ein mit Kaffee versetztes Milchgetränk.

Von fast noch größerer Bedeutung als die möglichst authentische Aussprache ist für den Hobby-Italiener die korrekte Bildung der Mehrzahl. Grundsätzlich gilt: Italienische Wörter auf -o erhalten im Plural die Endung -i. Aus einem Cappuccino werden also zwei Cappuccini, aus einem Espresso zwei Espressi. Es ist im Deutschen aber ebenso erlaubt, "Cappuccinos" und "Espressos" zu sagen. Was spräche dagegen - die italienische Grammatik etwa? Seit wann gilt die in Deutschland?

Dass der Wunsch nach korrekter Pluralbildung bisweilen ins Lächerliche kippen kann, beweist das Beispiel der Pizza: Die bunt belegten Teigfladen werden im Italienischen in der Mehrzahl "pizze" genannt, was in den Ohren der meisten Deutschen jedoch ungewohnt klingt. Daher sollte man Abstand nehmen von der Idee, Verkäuferinnen in einem Supermarkt mit dem Wort "Tiefkühlpizze" zu konfrontieren. Hier hat die deutsche Sprache die Mehrzahl nach ihren eigenen Regeln gebildet: Man kann Pizzas sagen oder Pizzen, beides ist richtig.

Viele italienische Spezialitäten befinden sich bereits im Plural, wenn sie bei uns in Deutschland eintreffen. Die oben erwähnten Mehlklößchen zum Beispiel heißen in der Einzahl Gnocco (gesprochen Njokko). Da selten ein Klößchen allein serviert wird, kennen wir sie nur als Gnocchi. Die Annahme, durch Anhängen eines Plural-s ließen sich aus Gnocchi viele, viele "Gnocchis" gewinnen, ist daher nicht korrekt.

Genauso wenig wie einem "Spaghettis" an den Fingern kleben können. Die Einzahl der langen schlanken Nudel lautet spaghetto, demnach ist "Spaghetti" bereits die gemehrte Zahl. Wem das zu spitzfindig ist, der kann auch einfach Nudeln sagen. Mit Deutsch ist man im Zweifelsfall auch beim Italiener richtig beraten.

Unlängst berichtete mir ein befreundeter Jurist von seinem Besuch in einem Restaurant namens "Don Pepito", das er an jenem Abend zum ersten Mal betrat. Und wohl auch zum letzten Mal, denn es stimmte einiges nicht mit diesem "original italienischen Ristorante". Auf der Karte gab es Crevetten mit "Advocato", was ihn als Anwalt gleich misstrauisch stimmte. Die Tortellini gab es wahlweise vegetarisch und "con cane", was allerdings nicht "mit Fleisch" (con carne), sondern "mit Hund" bedeutet. Der Milchkaffee schließlich wurde als "Cappucchino" angeboten - und müsste nach italienischen Regeln "Kapukino" ausgesprochen werden. Wie sich herausstellte, war die Bedienung ein fröhlicher Mix aus Türken und Kroaten, die Bilder an der Wand zeigten Balkan-Idylle, und die Musik aus dem Lautsprecher war nicht Al Bano, sondern albanisch. Der Freund schloss seinen Bericht mit der Feststellung, dass allein das Lächeln, mit dem "Don Pepito" die Rechnung präsentierte, etwas "unverwechselbar Sizilianisches" hatte.


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Für alle, die es trotzdem genauer wissen wollen, hier ein paar Regeln zur Aussprache von c und g im Italienischen:

(c) Der Buchstabe c wird vor den hellen Vokalen e und i wie "tsch" ausgesprochen; vor den dunklen Vokalen a, o und u wird er wie "k" ausgesprochen. "Circense", das italienische Wort für Zirkus, wird also "tschirtschenße" ausgesprochen.

(g) Der Buchstabe g wird vor den hellen Vokalen e und i wie "dsch" ausgesprochen (genauer: wie das J in Job); vor den dunklen Vokalen a, o und u wird er wie "g" ausgesprochen: gondola (die Gondel) = "gondola", gelato (Speiseeis) = "dschelato".

(ch/gh) Das h hinter "c" oder "g" dient der Verhärtung, es macht das "tsch" zum "k" und das "dsch" zum "g". Stünde es nicht, so hieße es "Spadschetti" und "Njotschi". Bruschetta wird "Brusketta" gesprochen.

(ci/gi) Das i hinter "c" oder "g" dient der Erweichung, es macht "c" und "g" zu "tsch" und "dsch" und wird selbst nicht mitgesprochen: Der berühmte Gruß "ciao" wird also nicht "tsch-i-au" gesprochen, sondern eben nur "tschau". Würde das "i" nicht stehen ("cao"), so müsste man es "kau" aussprechen. Das Vanilleeis mit Schokoladenstücken, Stracciatella, wird "Stratschatella" ausgesprochen, der Vorname Giovanni wird "Dschovanni" ausgesprochen, nicht "Dschiovanni". Und das leckere Ciabatta einfach "Tschabatta".

Alles weitere erfahren Sie im Italienischkurs an Ihrer örtlichen Volkshochschule.


#7, RE: Gnotschi!
Geschrieben von jens_hoeffken am 10-Mar-04 um 12:28 Uhr

Hi,

Sehr sympathischer Text! In Kopenhagen habe ich am Wochenende neben der "Bageri" auch vor einer "Pizzari" gestanden. An die "Pizzarei" und die "Kebapparei" könnte ich mich auch noch gewöhnen.

Gruss, Jens
http://www.purzelloop.de


#8, Den Gnocchi-Gau...
Geschrieben von The Knowledge am 10-Mar-04 um 20:37 Uhr

...erlebte ich erst jüngst bei einem Chichi-Schickimicki-Itacker in Köln. Die vermutlich eher aus Bergisch-Gladbach denn Bergamo stammende Servierdüse wollte mir doch tatsächlich Gnotschi andrehen.

Wenn Sie mit mit Gnotschi Gnocchi meinen, dann hätte ich die gerne ein Mal.

Rummmmmsss: Treffer versenkt, Düse gekränkt. Den Fehler macht die jedefalls nicht nochmal, so viel ist sicher.

Gruß,

Tim
Here comes the sun!


#9, RE: Die Sucht nach Synonymen
Geschrieben von jwahl am 21-Apr-04 um 14:23 Uhr

Er designs, sie hat recycled, und alle sind chatting

Von Bastian Sick

Wie werden eigentlich englische Wörter in deutscher Schriftsprache behandelt; kann man sie deklinieren und konjugieren wie deutsche Wörter? Oder gelten für sie andere Regeln? Ein paar Gedanken über die Einbürgerung von Fremdwörtern.

Fremdwörter, egal welcher Herkunft, werden zunächst mit Ehrfurcht und Respekt behandelt, manche Menschen fassen sie mit Samthandschuhen an, andere nur mit spitzen Fingern. Man ist im Allgemeinen froh, wenn man weiß, was sie bedeuten, aber man vermeidet es, sie zu deklinieren oder zu konjugieren. Doch je mehr man sich an sie gewöhnt hat, desto kleiner werden die Berührungsängste. Und irgendwann, wenn das Fremdwort schon gar nicht mehr aus unserer Sprache wegzudenken ist, betrachtet man es als ein Wort wie jedes andere auch und behandelt es entsprechend. Und dagegen ist im Prinzip auch nichts einzuwenden.

Andere Sprachen machen es genauso. Zum Beispiel heißt die Mehrzahl von "bratwurst" auf Englisch nicht etwa "bratwürste", sondern "bratwursts". Kein Brite oder Amerikaner käme auf Idee, sich über diese "undeutsche" Plural-Endung aufzuregen. Und das kuriose Verb "to abseil", aus dem deutschen Bergsteigerwort "abseilen" gebildet, wird problemlos ins Gerundium gesetzt: abseiling.

Also halten wir es genauso. Wir haben Verben wie "to design" und "to recycle" in unsere Sprache aufgenommen, und nun, da sie unentbehrlich geworden sind, hängen wir ihnen unsere eigenen Endungen an: Ich designe eine Kaffeekanne, du designst ein Auto, der Architekt designt ein Haus; ich recycle Papier, du recycelst Plastik, er recycelt Biomüll. Im Perfekt entsprechend: Er hat ein Haus designt, wir haben Autoreifen recycelt.

Was wäre die Alternative? Sollte man die englischen Formen benutzen? Er hat ein Haus designed, wir haben Papier recycled - das mag im Perfekt noch angehen. Aber wie sieht es im Präsens aus? Er designs ein Haus, wir recycle Papier? Es sieht nicht nur befremdlich aus, es klingt auch äußerst seltsam.

Die Einbürgerung von Fremdwörtern verläuft nicht nach festen Regeln, irgendjemand traut sich irgendwann das erste Mal, "geshoppt" oder "gemailt" zu schreiben, ein anderer macht es nach, und langsam verbreitet sich der deutsche "Look". Nach einer Weile hat man sich dran gewöhnt. Wer wollte ein Wort wie surfen (ich habe gesurft, ich will nächsten Sommer wieder surfen, surfst du mit mir?) heute noch anders beugen wollen als nach deutschen Regeln?

Natürlich gibt es Ausnahmen: ein frisierter Motor ist "getuned" und nicht "getunt", und perfektes Timing wird im Perfekt zu "getimed", nicht "getimt". So sieht es jedenfalls der Duden. Andere englische Wörter werden dafür vom Deutschen derart absorbiert, dass sie kaum noch wiederzuerkennen sind: Das englische Wort tough ist im Deutschen zu taff geworden, und für pushen findet man auch schon die Schreibweise puschen.

Boxkämpfe werden promotet, Flüge gecancelt und Mitarbeiter gebrieft. Doch nicht jedes englische Verb, das sich in unseren Sprachraum verirrt hat, braucht ein deutsches Perfektpartizip: Die Antwort auf die Frage, ob es "downgeloadet" oder "gedownloadet" heißen muss, lautet: Weder noch, es heißt "heruntergeladen". Es ist auch nicht nötig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es "forgewardet" oder "geforwardet" heißt, wenn man stattdessen einfach "weitergeleitet" schreibt. Fremdwörter sind willkommen, wenn sie unsere Sprache bereichern; sie sind unnötig, wenn sie gleichwertige deutsche Wörter ersetzen oder verdrängen. Statt "gevotet" kann man ebenso gut "abgestimmt" schreiben, statt "upgedated" aktualisiert, und wer seine Dateien "gebackupt" hat, der hat sie auf gut Deutsch gesichert.

Während sich der Ausdruck "gekidnappt" für entführte Personen durchgesetzt hat, auch wenn es sich dabei um Erwachsene handelt (kidnapping bedeutete ursprünglich Kinder neppen), ist der Ausdruck "gehijackt" für entführte Flugzeuge in stilistischer Hinsicht inakzeptabel.

Wörter wie "gestylt", "gepixelt" und "gescannt" sind hingegen akzeptabel, da sie kürzer oder prägnanter als ihre deutschen Entsprechungen sind. Auch "chatten" und "simsen" sind bereits in die deutsche Sprache übergegangen: Chatter chatten im Chat, und wer täglich dreißig Kurzmitteilungen per SMS verschickt, der simst, was das Zeug hält. Es ist allerdings denkbar, dass diese Wörter wieder aus unserem Wortschatz verschwinden, noch ehe sie Eingang in ein deutsches Wörterbuch gefunden haben. In ein paar Jahren kann die Technik des Simsens völlig veraltet und Chatten plötzlich aus der Mode gekommen sein.

Dann wird man ein paar Ideen recyceln und etwas Neues designen. Oder ein paar Ideen wiederverwerten und etwas Neues gestalten. Warten wir's ab.


#10, Das gefühlte Komma
Geschrieben von jwahl am 22-Jul-04 um 10:28 Uhr

Den pinn ich mir an die Wand neben meinen PC. Sonst zwingt mich Keng nachher noch dazu

Das gefühlte Komma

Von Bastian Sick

Dass die Orthografie nicht jedermanns Sache ist, ist bekannt. Noch weniger Freunde aber hat die Zeichensetzung. Die meisten Kommas werden nicht nach Regeln, sondern nach Gefühl gesetzt. Und Gefühle können trügen. Schlimmer als fehlende Kommas sind Kommas an Stellen, wo sie nicht hingehören. Und davon gibt es leider sehr viele.


"Aus gegebenem Anlass, erinnere ich Sie erneut daran, dass das Aufrufen von Internet-Seiten mit pornografischen Inhalten während der Dienstzeiten nur im Notfall gestattet ist." So steht es in einer Rund-Mail zu lesen, die der Chef eines Hamburger Unternehmens kürzlich an seine Mitarbeiter verschickte. Und dies ist, allerdings, ein Notfall!

Denn da hat sich ein Vorgesetzter in verantwortungsvoller Mission völlig unprofessionell von seinen Gefühlen hinreißen lassen und ein Komma aus dem Bauch heraus gesetzt! Ganz gleich, wie der "Anlass" ausgesehen haben mag, der ihn zu seiner E-Mail inspirierte, es gibt keinen Grund, ihn mittels eines Kommas vom Rest des Satzes abzutrennen. Die drei Wörter "Aus gegebenem Anlass" bilden keinen Nebensatz, und es handelt sich auch nicht um eine nachgestellte Erläuterung oder einen Einschub.
Tatsächlich ist "aus gegebenem Anlass" eine adverbiale Bestimmung und gehört als solche zum Hauptsatz.

Adverbiale Bestimmungen nennt man diese vielen kleinen Zusatzinformationen im Satz, die etwas über Art und Weise, Ort, Zeitpunkt und Grund einer Handlung aussagen und mit "wie", "wo", "wann" und "warum" erfragt werden können. Da sie nicht nur aus einzelnen Wörtern, sondern auch aus ganzen Wortgruppen bestehen können, werden sie häufig mit Nebensätzen verwechselt. Man fühlt, dass hier vielleicht womöglich irgendwie ein Komma hingehören könnte - und schon ist es passiert. Das geschieht besonders häufig bei Sätzen, die mit "nach" beginnen:


"Nach endlosen Debatten und immer neuen Änderungsvorschlägen, gaben die Vermittler schließlich erschöpft auf und verließen die Sitzung."
Zugegeben, der Satz ist nicht gerade kurz, aber das allein rechtfertigt nicht, ihn aufs Geratewohl irgendwo in der Mitte aufzuschlitzen. Das Komma vor "gaben" ist falsch, daran ändern auch endlose Debatten und immer neue Vorschläge nichts.

Adverbiale Bestimmungen können sogar noch um einiges länger sein und werden trotzdem nicht mit einem Komma vom Satz abtrennt:


"Einen Tag nach dem Absturz einer ägyptischen Chartermaschine über dem Roten Meer, tauchen erste Hinweise auf schwere Sicherheitsmängel bei der Airline auf."
Im "Zwiebelfisch" tauchen unterdessen ernste Zweifel an der Notwendigkeit des Satzzeichens vor "tauchen" auf.

Gefühlte Kommas verunstalten Zeitungsartikel, Briefe, E-Mails und öffentliche Hinweise: "Außerhalb der Sommermonate, ist das Café nur bis 16 Uhr geöffnet", steht auf einem Schild an einem Ausflugslokal am See. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, wie so ein Schild entsteht. Der Erwin malt es und ruft dann seine Roswita "zum Gucken". Roswita kommt und guckt, und weil sie meint, dass sie irgendetwas dazu sagen müsse, sagt sie: "Da fehlt noch was." - "Watt denn?", fragt Erwin. "Weiß nich. Aber irgendwas fehlt, das spür ich genau." - "Also, der Strich über Café kann's nicht sein, der ist da, wie du siehst." - "Nee, das mein ich auch nich. Irgendwas anderes. Ein Komma oder so." - "Ein Komma? Wo denn?" - "Da wo die Stimme beim Lesen hochgeht, da muss ein Komma hin."

Erwin liest den Text des Schildes noch einmal laut vor, allerdings ohne die Stimme an irgendeiner Stelle anzuheben. "Du liest das falsch", sagt Roswita. "Außerhalb der Sommermo-na-tee..." Sie zieht das e in die Länge wie ein Gummiband und hebt die Stimme, als wollte sie singen. Dann macht sie eine bedeutungsvolle Pause und sieht Erwin an. "Hier, meinst du?", fragt er. Roswita nickt. Also nimmt Erwin den Stift und malt ein Komma hinter die Sommermonate. Doch wir ahnen es längst: Mit ihrem Gefühl lag Roswita falsch. Zwar stimmt es, dass das Komma oft dort zu finden ist, wo die Satzmelodie ihren Höhepunkt erreicht. Grundsätzlich aber erfüllt das Komma keine musikalische Funktion, sondern eine syntaktische.

"Im Unterschied zu seinem Freund Konrad hat Paul keinen Klavierunterricht genossen." Manchem Leser mag es bei diesem Satz in den Fingern jucken, den einen oder anderen wird das spontane Bedürfnis überwältigen, zwischen "Konrad" und "hat Paul" ein Komma zu setzen. Doch das Kribbeln und die Überwältigung beruhen auf einer Täuschung. Denn auch hier handelt es sich um nichts weiter als um eine adverbiale Bestimmung.

Was eine solche von einem Nebensatz unterscheidet, ist das so genannte "Prädikat", der grammatische Kern, das gebeugte Verb. Im Unterschied zur adverbialen Bestimmung zeichnet sich ein Nebensatz immer durch das "Prädikat: verbvoll" aus.

Achten Sie im Folgenden mal nicht auf die Goldkante oder auf Fußgänger, sondern auf die Prädikate:
"Nach Verlassen des Klassenzimmers ..." Kam bislang ein Prädikat? Nein! Und deshalb kommt hier auch kein Komma! "... brachen die Schüler in Gelächter aus."

"Nachdem sie das Klassenzimmer verlassen hatten ..." Da! Das war ein Prädikat! Jetzt muss ein Komma her! "... , brachen die Schüler in Gelächter aus."
Noch mal, weil's so schön war:
"Vor Anbruch des nächsten Tages <...?...> wollten sie Kapstadt erreicht haben."

"Sie wollten Kapstadt erreicht haben, bevor der nächste Tag anbrach."
Einige meinen darin einen weiteren lästigen Anglizismus zu erkennen. Denn im Englischen wird die adverbiale Ergänzung gelegentlich durch ein Komma abgetrennt: "After the rain, the sun shines again." Das mag wohl richtig sein, doch lässt sich diese Erklärung wirklich aufrechterhalten? Das würde ja bedeuten, dass all diejenigen, die Probleme mit den deutschen Interpunktionsregeln haben, sich dafür umso besser mit den englischen auskennen. Demzufolge könnten ungefähr 95 Prozent der Deutschen besser Englisch als Deutsch.

Für regelmäßige Verwirrung der Gefühle sorgen übrigens auch die Vergleichswörter "als" und "wie". Dabei gilt auch hier: Es geht nur dann ein Komma voraus, wenn ein Nebensatz folgt. Wir präsentieren Ihnen zunächst vier nebensatzlose Beispiele mit Kommaverbot und anschließend vier beispielhafte Nebensätze mit Kommagebot:


· Mir geht's so gut wie seit Jahren nicht mehr.
· Der Schaden war größer als zunächst angenommen.
· Weiterzumarschieren erschien ihm vernünftiger als auf halber Strecke umzukehren.
· In diesem Sommer hat es bei uns so viel geregnet wie sonst nirgends.


· Mir geht's so gut, wie es mir seit Jahren nicht mehr ging.
· Der Schaden war größer, als zunächst angenommen worden war.
· Weiterzumarschieren erschien ihm vernünftiger, als ihm eine Umkehr auf halber Strecke erschien.
· In diesem Sommer hat es bei uns so viel geregnet, wie es sonst nirgends geregnet hat.
Wenn man dies einmal begriffen hat, braucht man sich bei der Interpunktion nicht mehr auf seine trügerischen Gefühle zu verlassen. Man kann eiskalt und berechnend seine Kommas setzen, wo sie erforderlich sind, und mit wissendem Lächeln auf sie verzichten, wo sie fehl am Platze sind. Und das gesparte Gefühl könnte man stattdessen in den Stil investieren. Der hat es oft nötiger als die Interpunktion.


#11, Raetsel
Geschrieben von jwahl am 16-Mar-05 um 23:27 Uhr

http://www1.spiegel.de/active/zwiebelfischquiz/fcgi/zwiebelfischquiz.fcgi

Jakob