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Beitrag Nr.: 6026
#0, Die Magie der rasenden Herzen - Warum Menschen den Nervenkitzel su
Geschrieben von TheOnlyOne am 20-Sep-05 um 13:30 Uhr
Hi!

Ein interessanter Artikel aus dem Münchner Merkur.
Es geht um die Geschichte der Achterbahnen, die Angst davor, die Belastungen bei der Fahrt, die Gründe, warum man damit fährt, und ein bisschen um Werner Stengel.


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Die Magie der rasenden Herzen

Warum Menschen den Nervenkitzel suchen

"Der Esel geht, wie jeder weiß, wenn ihm zu wohl wird, auf das Eis. Der Mensch, in ähnlich blödem Wahn, benutzt dazu die Achterbahn. Sanft wird man emporgehoben und sieht die Lichterstadt von oben. Wie alles glänzt und dampft und braust, bis unverhofft man abwärts saust. In Stürzen, wollustangsterregend, besonders in der Magengegend." Eugen Roth

Beim Rauffahren zittert man und denkt, alles ist vorbei. Aber dann geht's auch schon runter." Für den Münchner Studenten Tobias ist der größte Kick der Moment, bevor die Wagen in die Tiefe stürzen. "Dann muss ich lauthals schreien." Der 25-Jährige ist süchtig nach Achterbahnen. Vor allem die klassischen Versionen sind sein Ding. Bei den Modellen mit Looping "geht's nämlich so schnell, dass es schon wieder vorbei ist, bis man kapiert hat, was eigentlich los war", meint er. Doch worum geht’s eigentlich beim Achterbahnfahren, dem spektakulären Vergnügen, das nur glühende Fans oder totale Verweigerer kennt?

Angstschweiß aus den Poren gepresst

"Es ist die Lust am Nervenkitzel, am kalkulierten Risiko": Auf Andreas Wild übt allein die Umgebung so eines Fahrgeschäftes eine magische Anziehung aus. Das Röhren und Donnern, wenn die Wagen durch die Bahn krachen. Das angstvoll-freudige Kreischen und Schreien der Passagiere. Die besondere Stimmung zwischen Mutigen und Furchtsamen vor dem Fahrgeschäft. Wenn man dann noch als heldenhafter Mann die Beschützerrolle für eine zurückhaltende Frau übernehmen kann, schwebt man im 7. Himmel. Und vielleicht genießt Wild die rasante Fahrt noch ein bisschen mehr als andere, weil er weiß, was auf ihn zu kommt: Wann ihn welche Richtungsänderung in den Sessel drückt, an welchen Stellen welche Kräfte wirken, wie sich die einzelnen Passagen anfühlen. Kein Kunststück. Schließlich beschäftigt sich der Münchner Ingenieur seit 16 Jahren mit Achterbahnen.

An der Konstruktion des EuroStar, dem Dauerbrenner auf der Wiesn, der auch heuer den Oktoberfestbesuchern den Angstschweiß aus den Poren pressen wird, war er selbst maßgeblich beteiligt. Unzählige Anlagen von Algerien bis in die USA, von Japan bis Südafrika tragen seine Handschrift. Und die seines Schwiegervaters Werner Stengel, den sie "Guru of Roller Coasters", "Master of the Loop" oder - augenzwinkernd - "Meister des organisierten Erbrechens" nennen, weil er mit seinen revolutionären Konstruktionen die Szene prägte wie kein zweiter. Ihren Lauf nimmt die Geschichte vom geplanten Nervenkitzel Anfang des 16. Jahrhunderts im winterlichen Russland, wo bis zu 21 Meter hohe Holzrutschen mit Wasser übergossen werden. Ende des 18. Jahrhunderts schraubt man in St. Petersburg Räder an die Schlitten und verlegt Schienen auf Abfahrtrampen, so dass der Spaß nicht mehr nur bei Minusgraden stattfinden kann. 1898 schließlich eröffnet die erste Bahn in Form einer Acht auf Coney Island bei New York, die bald kompliziertere und spektakuläre Nachfolgemodelle bekommen wird, weil der Werkstoff Stahl raffinierte Konstruktionen zulässt. Und nicht nur das, auch die Sicherheit der Fahrgäste erhöht sich deutlich.

Allerdings: So richtig gesund bleibt die Sache nicht. Vor allem als von Paris aus die ersten Anlagen mit Über-Kopf-Fahrt die Herzen der Vergnügungssüchtigen erobern. Verrenkte Hälse und gestauchte Wirbelsäulen sind an der Tagesordnung. Bisweilen gilt es, einen Toten zu beklagen. Und im deutschen "Verein für Loopinggeschädigte" lecken die Lädierten gemeinsam ihre Wunden. Dass diese Nebenwirkungen der Vergangenheit angehören und aus orthopädischer Sicht "jeder, der dem täglichen Leben mit leichten sportlichen Belastungen gewachsen ist", so Ulrich H. Brunner, Leiter der Unfall-, Schulter- und Handchirurgie des Krankenhauses Agatharied (Lkr. Miesbach), bedenkenlos in eine Achterbahn steigen kann, ist nicht zuletzt das Ergebnis Stengelscher Tüftelei.

Die Lust wiegt schwer

Durch einen Job in den Semesterferien kommt der junge Bauingenieur in München erstmals beruflich in Kontakt mit der Vergnügungsindustrie. Sein Entwurf eines Autoscooters ist so überzeugend, dass er 1964 von der Uni weg für den Bau der ersten Stahl-Achterbahn Deutschlands engagiert wird. 1975 dann sein revolutionärer Vertikal-Looping für gefahrloses Über-Kopf-Fahren. Zu dieser Zeit arbeitet der Achterbahnpapst bereits eng mit dem Technischen Überwachungsverein in München zusammen. Bisweilen werden Flugmediziner in die Entwicklung eingebunden, um ihre Erfahrungen aus dem Grenzbereich menschlicher Belastbarkeit zu nutzen. Schließlich ist das, was den Besuchern den Kick gibt, das Wirken außergewöhnlicher physikalischer Kräfte.

So bewirkt das Phänomen der Beschleunigung ein permanent verändertes Körpergewicht beim Fahrgast. Gemessen und ausgedrückt in der g-Zahl. In den Talsohlen der Achterbahn etwa wirken 4g auf den Menschen. Er wiegt ein Vierfaches. Auf der Fahrt nach oben wird er bis zu drei Prozent leichter. Wiegt auf der Kuppe schließlich nur noch ein Fünftel seines Gewichts, was viele in die Luft hebt. In einer Rechtskurve hingegen pressen den Vergnügungssüchtigen bis zu 6g nach links, während er bei der Ein- und Ausfahrt in einen Looping mit maximal 6g in den Sitz gedrückt wird.

Puls schlägt Purzelbäume

Kein Wunder, dass das Herz rast, ein Puls von 200 keine Seltenheit ist. Ein Team von Herzspezialisten, das im Holiday Park in Hassloch 62 Probanden verkabelt auf die 1,3 Kilometer lange und bis zu 120 Stundenkilometer schnelle "Expedition G-Force" schickte, maß enorme Belastungen. Jedoch nicht, wie erwartet, beim freien Fall aus 60 Metern, sondern vor allem nach dem Start. "Im Moment des Hochziehens geht der Puls von zunächst 85 Schlägen auf 125 in die Höhe", so Kardiologe Jürgen Kuschyk. "Und das binnen ein, zwei Sekunden. Das ist für das Herz wie ein Tritt." Von dem es sich allerdings kaum erholen kann, denn schon der folgende Sturz in die Tiefe bewirkt bis zu 200 Herzschläge in der Minute. Versteht sich von selbst, dass gesundheitlich topfit sein sollte, wer in eine Achterbahn steigt. Warum das alles könnte man sich fragen und spräche damit jenen aus dem Herzen, die sich nicht für derlei zweifelhaftes Vergnügen begeistern können. Leute, denen schon der Gedanke an die wilde Fahrt den Magen umdreht und solche, die Stress umgehen, indem sie Angst vermeiden. Eine mögliche Strategie, Furcht zu bewältigen, erklärt Diplompsychologe und Angstspezialist Markos Maragkos von der Uni München, ist es, auf Bedrohung lieber mit Angriff zu reagieren. Zu diesen Menschen - Kontraphobiker genannt - zählen Achterbahn-Enthusiasten. Für ihren Wagemut werden sie mit Lustgefühlen belohnt. Jedoch nur, wenn der Stress nicht zu groß ist, denn dann scheidet der Körper nicht die für ein wohliges Prickeln notwendigen Dopamine aus.

Die Schwelle dafür ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Das Stresshormonsystem ist genetisch bedingt, so genanntes sensation- oder novelty-seeking (Aufregungs- und Neuheitensuche) vererbt. Veränderbar jedoch bleibt der Toleranzpegel. Was einmal überwunden ist, löst keinen Alarm mehr aus. So dient die Achterbahn Psychologen bisweilen sogar als Therapieinstrument zum Überwinden von Flugangst. Hier lernen Patienten die irrationale Furcht vor Dingen zu überwinden, die sie selbst nicht kontrollieren können. In der Regel jedoch steigt man in die Achterbahn aus reiner Lust am Nervenkitzel - allein in Deutschland werden alljährlich über 220 Millionen Fahrten absolviert. Und damit der besonders groß ist, wird abgesehen von technischen Finessen einiges für den Adrenalinkick getan.

Schlange-Stehen steigert Spannung

Das Warten in der Schlange gehört unbedingt dazu, damit sich die Spannung richtig steigern kann. Feiglinge können sich kurz vorm Ziel noch über den "chicken exit" verdrücken. In der Bahn selbst suggerieren dünne Sicherheitsbügel und Fußstützen eine Extradosis Nervenkitzel. Unterstützt von passender Musik und Lichteffekten. Und was macht eine Bahn gut? Werner Stengel setzt auf eine perfekte Aneinanderreihung und Variation von Beschleunigungen. Feine Nuancen, von denen Schwiegersohn Andreas und Student Tobias noch schwärmen, wenn sie längst wieder mit wackeligen Beinen auf dem Boden der Realität stehen . . .


Von HEIDI SIEFERT



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Gruß,
Frank


#1, RE: Die Magie der rasenden Herzen - Warum Menschen den Nervenkitzel su
Geschrieben von Pete am 20-Sep-05 um 15:40 Uhr

>"Der Esel geht, wie jeder weiß, wenn ihm zu wohl wird, auf das Eis. Der Mensch, in
>ähnlich blödem Wahn, benutzt dazu die Achterbahn. Sanft wird man emporgehoben und sieht
>die Lichterstadt von oben. Wie alles glänzt und dampft und braust, bis unverhofft man
>abwärts saust. In Stürzen, wollustangsterregend, besonders in der Magengegend." Eugen
>Roth

Der Spruch ist ja mal cool