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Beitrag Nr.: 5883
#0, Rummel für Oldies
Geschrieben von jwahl am 22-Jul-05 um 14:09 Uhr
Spiegel online berichtet

RUMMEL FÜR OLDIES

Schunkelmusik, langsamere Karusselle, Hausmannskost

Von Anne Seith

Die Kirmes hat ein Imageproblem. Statt als Volksfest gilt sie heute vor allem als lärmender Vergnügungspark für Jugendliche. Der Schaustellerbund will nun mit gepflegter Unterhaltung das zahlungskräftige Publikum über 50 locken. Da kann dann schon mal ein Geiger-Quartett am Riesenrad stehen.

Hamburg - Jugendliche, die den Autoscooter-Stand belagern, ein ohrenbetäubender Musikwirrwarr aus Techno und Rock, Achterbahnen mit halsbrecherischen Loopings und blinkenden Lichtern, in der Mitte steht ein angegrautes Bierzelt: So sieht die deutsche Kirmes heute in vielen Städten aus.

Doch mit auch Dezibel und Tempo locken die Schausteller immer weniger Besucher auf die rund 14.000 deutschen Volksfeste. Seit 2001 hat sich der Umsatz der Branche von 3,9 auf etwa 2 Milliarden fast halbiert. "Die Konkurrenz an Freizeitangeboten ist größer geworden", sagt Lorenz Kalt, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Schaustellerbundes im Gespräch mit SPIEGEL ONLNE. Das Volksfest konkurriere bei Jugendlichen mit Computerspielen, actionreichen Sportarten und dutzenden von Fernsehkanälen. Obendrein macht sich die demografische Entwicklung bereits jetzt bemerkbar: Der Mangel an Nachwuchs in Deutschland bedeutet weniger Kunden für die Schaustellerbranche.

Er weiß, wovon er spricht. Der Verbunds-Vize mit dem bayerischen Dialekt betreibt selbst einen Losstand und leidet besonders unter der dramatischen Lage der Branche. "Lose, da sparen die Leute als Erstes", sagt Kalt. Er sieht für die Schausteller im alternden Deutschland nur eine Lösung: "Wir müssen jetzt die über 40- und über 50-Jährigen ansprechen."

Geahnt hat Lorenz Kalt das schon lange. Wie Recht er hat, zeigt eine neue Marketing-Studie, die der Schaustellerbund in Auftrag gegeben hat: Bis 2020 wird die klassische Volksfest-Zielgruppe der sechs bis 36-Jährigen noch einmal um etwa 25 Prozent schrumpfen, heißt es dort.

Der Event-Charakter soll herausgestellt werden

Einige große Feste bemühen sich bereits, sich den neuen Realitäten anzupassen. Auf dem Nürnberger Volksfest versuchte man sich dieses Frühjahr erstmals mit einem "Romantik-Tag": Die schrille Beleuchtung wurde größtenteils abgeschaltet, stattdessen sorgte eine drei Kilometer lange Lichterkette für Schummerstimmung. Anstelle hämmernder Rhythmen von allen Seiten kam leise Schmusemusik aus den Lautsprechern, am Riesenrad spielte sogar ein Geiger-Quartett und beim Flirt-Spiel wurden Blind-Dates vermittelt. "Das war ein riesiger Erfolg", erinnert sich Kalt.

Auch spezielle Tage für ältere Besucher werden inzwischen angeboten. Die Musik ist dann leiser, Techno und Rap sind tabu. Die Karusselle werden ein bisschen langsamer gestellt, und neben Bratwürsten und Döner werden Scampi-Spieße, Lachsbrötchen oder Hausmannskost verkauft. In Nürnberg wurde den Besuchern gezeigt, wie Mandelsud hergestellt wird, beim Schweinfurter Frühlingsfest gaben Tanzlehrer abends im Bierzelt eine kleine Foxtrott-Einführung. Ein Schritt, von dem Kalt nicht von Anfang an überzeugt war. Doch er sah sich eines besseren belehrt: "Die Tanzfläche war voll."

Ein verbessertes Angebot für das ältere und zahlungskräftigere Publikum soll aber nicht der alleinige Weg aus der Krise sein. Es geht um ein vielfältigeres und Kundenbezogeneres Angebot, heißt es in der in Marketing-Studie für den Schaustellerbund. Weniger Masse mehr Klasse: Die Volksfeste sollen besser durchgeplant und der "Event"-Charakter herausgestellt werden. Feuerwerk, Familien- oder Thementage mit speziellem Angebot, Rekordversuche, eine saisonale Angebotsdifferenzierung mit typischer Kulisse und vor allem professionelles Marketing seien der richtige Weg.

Kunden-Seminare für Kirmes-Arbeiter

Der Hamburger Dom feierte mit diesem Rezept dieses Jahr erstmals einen ersten Erfolg. "Love-World" hieß die Traditions-Kirmes im Frühjahr, das Angebot war entsprechend und wurde erstmals von einer professionellen Agentur beworben. Drei Millionen Besucher zog das Volksfest auf diese Weise an, immerhin 200.000 mehr als beim letzten Mal. Im Sommer wird der Dom nun zur "Beach World" dekoriert, im Winter zur "Ice World" gemacht.

Und nicht nur am äußeren Erscheinungsbild der Volksfeste wird gearbeitet, auch der Service soll erheblich verbessert werden. In Süddeutschland hat der Schaustellerbund angefangen, die Kirmes-Mitarbeiter in eintägigen Seminaren im Kundenumgang zu schulen - "Da geht es um Mimik, Gestik, Ansprache", sagt Kalt. Für die Saisonkräfte aus dem Ausland gibt es dabei sogar Dolmetscher. Ab Herbst will der Verband außerdem gemeinsam Marketingkurse für die Platzhalter veranstalten, die in den Kommunen für die Planung der Volksfeste verantwortlich sind. Frauenparkplätze, eine bessere Beleuchtung in der direkten Umgebung und sichtbares Ordnungspersonal sollen zudem das Image der Kirmes als Mekka der Langfinger aufpolieren.

Doch aller Erfolge zum Trotz: Wenn der Schaustellerbund die gesamte Branche in die Zukunft führen will, hat er noch eine Menge Arbeit vor sich. Denn bisher haben vor allem die großen Volksfeste Abschied vom Altbewährten genommen. "Das Hauptproblem wird die Masse der mittleren und kleinen Feste werden", sagt Matthias Dargel, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Lischke Consulting, die die Marketing-Studie für den Schaustellerbund erstellte. Die Neuerungen verlangten schließlich auch Investitionen und der Erfolg zeige sich nicht sofort. "Sie müssen die Leute außerdem einzeln überzeugen, schließlich sind das selbstständige Unternehmer." Keine leichte Aufgabe: Der Abschied von alten Traditionen fällt der eingeschworenen Schaustellergemeinschaft oft schwer.

Schausteller Lorenz Kalt ist allerdings überzeugt von den neuen Konzepten, die die Rettung für die rund 14.000 Volksfeste im Land bringen sollen. "Das Volksfest ist im Grunde ein gutes Produkt." So manche Kirmes blicke auf eine Tradition von tausend Jahren zurück. Jetzt gehe es eben darum, sie den neuen Zeiten anzupassen.