"Mein Boß ist Mickey"Walt-Disney-Chef Michael Eisner über die Konzernstrategie, den deutschen Fernsehmarkt und seinen autoritären Führungsstil
SPIEGEL: Herr Eisner, der Walt-Disney-Konzern gilt als familienfreundlich, gewaltfrei und sauber, Ihre Konkurrenten in Hollywood und Europa dagegen setzen zunehmend auf Brutalität und Sex. Wie lange können Sie noch enthaltsam sein?
Eisner: Filme unter dem Disney-Label werden niemals Sex und Gewalt nutzen, um Zuschauer anzulocken. Sie sind für die ganze Familie, und dazu gehören Kinder jeden Alters. Das ist unsere Reputation. Wir haben andere Filmstudios gekauft, Touchstone und Miramax, die Filme für reifere Zuschauer produzieren. Doch auch dort werden wir nie Sexfilme herstellen.
SPIEGEL: Diesen Kurs wollen Sie durchhalten? Die Disney-Geschäfte laufen derzeit nicht gerade glänzend.
Eisner: Wollen Sie sagen, daß vier Milliarden Dollar operativer Gewinn nicht so gut sind?
SPIEGEL: Die Ergebnisse stagnieren, es gibt Umsatzeinbussen in Asien, der Disney-Aktienkurs ist eingebrochen.
Eisner: Hören Sie, das Filmgeschäft ist ein zyklisches Geschäft, ein kreatives Geschäft. Wir hatten ein schlechtes Jahr an den Kinokassen, unser Eddie-Murphy-Film etwa lief nicht so gut. In Asien haben wir einige Probleme beim Verkauf von Videos, aber es trifft uns nicht sehr schlimm. Das Tokio-Disneyland etwa läuft weiterhin phantastisch.
SPIEGEL: Seit dem "König der Löwen", der Disney Einnahmen von über einer Milliarde Dollar bescherte, haben Sie keinen wirklich großen Filmhit mehr gelandet. Erlahmt die Kreativität?
Eisner: Ich sage Ihnen ja auch nicht: Nach Goethe hatten die Deutschen keinen wirklich guten Schriftsteller mehr. Der Erfolg
Das Gespräch führten die SPIEGEL-Redakteure Mathias Müller von Blumencron und Thomas Hüetlin.
des "König der Löwen" war so gigantisch, so einzigartig, solch ein kulturelles Ereignis, daß ich so etwas möglicherweise nie wieder erleben werde. Wir haben auch danach großen Erfolg gehabt mit Filmen wie "Toy Story", "Hercules", "Mulan" oder gerade "A Bug's Life".
SPIEGEL: Sie haben vor drei Jahren den amerikanischen Fernsehriesen ABC gekauft. War es richtig, ein so großes TV-Unternehmen zu schlucken, wenn gleichzeitig überall neue Kabelkanäle entstehen und diese zusammen mit dem Internet den etablierten Sendern jede Menge Zuschauer weglocken?
Eisner: Es war die wichtigste und größte Akquisition, seitdem ich an der Spitze von Disney stehe. Wir haben dabei eine ganze Familie von Sendern gekauft. Dazu gehören neben ABC mehrere Kabelstationen wie die Sportkanäle von ESPN, der Kulturkanal Arts and Entertainment und der History Channel, aber auch zehn weitere Fernsehstationen und mehrere Radio-Netzwerke. Und wir bekamen eine Reihe von Zeitungen und Magazinen, von denen wir die meisten für fast drei Milliarden Dollar wieder verkauft haben.
SPIEGEL: Seit der Akquisition sind die Einschaltquoten beim Sender ABC dramatisch gefallen.
Eisner: Wir schaffen den Turn-around bei diesem Unternehmen. Der amerikanische Fernsehmarkt ist nicht so wirr wie der deutsche, und wir haben jede Menge neue Shows. Außerdem erwirtschaftet ABC nur zehn Prozent unseres Fernsehgeschäfts.
SPIEGEL: Als bekannt wurde, daß Sie 19 Milliarden Dollar für ABC bezahlen würden, sagten Ihre Konkurrenten, Michael Eisner sei wohl übergeschnappt.
Eisner: Unsere Sender sind heute weit mehr wert, als wir dafür bezahlt haben. Der ABC-Kauf hat uns zu einem Weltkonzern gemacht. Die Sender, Kabelkanäle und Internet-Programme sind für uns ein riesiges Verteilnetz für Disney-Produkte.
SPIEGEL: In Deutschland, dem zweitwichtigsten Fernsehmarkt der Welt, ist Disney sehr zögerlich. Sie wollen Ihre Beteiligungen an RTL 2 und Super RTL sogar loswerden. Warum haben Sie solche Angst vor Deutschland?
Eisner: Wir haben keine Angst, und wir haben auch noch nicht entschieden, was wir mit den RTL-Sendern machen. Wir dominieren das Kinderprogramm am späten Nachmittag, und wir werden im nächsten Jahr unseren Disney-Channel als Pay-TV-Programm starten. Wir sind aber auch nicht dumm: Der deutsche Fernsehmarkt steckt voller Spekulation. Alle großen Medienunternehmer reißen sich um das Geschäft, und wenn Sie nicht aufpassen, können Sie ganz schnell viel Geld verlieren.
SPIEGEL: Ihr Konkurrent Rupert Murdoch hat da weniger Skrupel. Er hat schon einen eigenen Fernsehkanal und steigt möglicherweise bei Leo Kirch ein. Warum überlassen Sie ihm kampflos das Feld?
Eisner: Wir sind eine andere Firma. Wir sind nicht so scharf darauf, Fernsehsender in die Hand zu bekommen. Uns geht es darum, daß Disney-Programme und -Filme gezeigt werden. Ich habe einfach Hemmungen, mich zu sehr als Fernsehveranstalter in einem fremden Land einzumischen. Wir wollen nicht Einwanderer, sondern Gäste sein. Und ich will nicht ein Gast sein, der zum Dinner kommt und zum Nachtisch seinem Wirt das Haus abkauft.
SPIEGEL: Der deutsche Bertelsmann-Konzern hätte Sie gern als gewichtigen Partner gesehen, etwa bei einer RTL-Fernsehholding.
Eisner: Ich kann mich nicht an eine Einladung erinnern. Sie muß in der Post verlorengegangen sein. Sagen Sie dem Bertelsmann-Fernsehchef Michael Dornemann, er soll sie noch mal schicken.
SPIEGEL: Vor anderthalb Jahren haben Sie Thomas Gottschalk zu einer Art Disney-Botschafter ernannt. Er sollte für Sie Shows moderieren und helfen, Disney-Programme ins deutsche Fernsehen zu bringen. Wir haben nichts davon gesehen.
Eisner: Ich höre zum erstenmal von diesen hohen Erwartungen. Wir haben lediglich einen Fitzel von ihm gekauft.
SPIEGEL: Sie haben allerdings viel Geld für diesen Fitzel ausgegeben. Wird der Vertrag mit Gottschalk verlängert?
Eisner: Ich kenne Thomas sehr gut. Er ist ein feiner Kerl, liebt Malibu und macht eine erfolgreiche Show in Deutschland. Ob wir den Vertrag verlängern, weiß ich noch nicht.
SPIEGEL: Vor über drei Jahren engagierten Sie den Hollywood-Agenten Michael Ovitz als Disney-Präsidenten. Nach gut einem Jahr mußten Sie ihn gegen eine Abfindung von 90 Millionen Dollar wieder fortschicken. Warum haben Sie sich in Ihrem alten Freund so getäuscht?
Eisner: Disney hat ein sehr stabiles Management. Ich bin erst der dritte Chef in der Konzerngeschichte, im Durchschnitt bleiben unsere Mitarbeiter viel länger als bei anderen Firmen. Mit Ovitz habe ich einen Fehler gemacht. Punkt.
SPIEGEL: Konnten Sie die Macht nicht teilen?
Eisner: Nein, das war überhaupt nicht das Problem. Es war schlicht ein Fehler. Ich habe andere Fehler gemacht, schlimmere, teurere, von denen wir niemandem etwas erzählt haben. Sie müssen darauf vorbereitet sein, auch mal Fehler zu machen.
SPIEGEL: Ovitz war der mächtigste Künstleragent Hollywoods und trieb Rekordsummen für seine Schauspieler ein, zum Leidwesen der Studios. Nach seinem Disney-Abenteuer war es vorbei mit seinem Einfluß. War das Ihr wahres Ziel?
Eisner: Sie müssen Italiener sein, ein Cousin von Machiavelli, wenn Sie so denken. Das war nie meine Motivation. Ich habe seine Fähigkeiten falsch eingeschätzt und er leider auch.
SPIEGEL: Eine andere Disney-Tragödie war Ihre Trennung von Jeffrey Katzenberg. Auch er wollte Disney regieren, und Sie ließen ihn nicht. Nun ist er mit Steven Spielberg und David Geffen Partner der Dreamworks-Studios und führt Krieg gegen Sie, wo er nur kann.
Eisner: Das war alles gar nicht so tragisch. Katzenberg war ein Rennpferd auf der Rennbahn, und er wollte mehr, als ich ihm geben konnte. Sein Vertrag war abgelaufen, er wollte Disney-Präsident werden. Ich war dagegen, weil ich ihn nicht für den richtigen hielt. Daraufhin ging er. Nur weil es in Hollywood nichts Besseres zu erzählen gab, ist so eine große Sache daraus geworden.
SPIEGEL: Erst versuchte Katzenberg, Ihre Trickfilmkünstler wegzulocken, dann zog er die Premiere seines ersten Trickfilms "Antz" auf Oktober vor, um Ihnen das Geschäft für den neuen Disney-Streifen "A Bug's Life" zu vermiesen.
Eisner: Das war nicht fein und obendrein töricht. Katzenbergs Film war nicht annähernd so gut wie unserer, Sie brauchen ihn sich nur anzusehen oder die Kritiken zu lesen. Unglücklicherweise kommt es am Ende darauf an, was man leistet, nicht, womit man herumprahlt. Ich sehe die Sache sportlich. Wenn ein Baseball-Star gegen seinen Willen in ein anderes Team versetzt wird, setzt er auch alles daran, sein früheres Team zu schlagen, das so dumm war, ihn zu verkaufen.
SPIEGEL: Herr Eisner, was macht einen guten Chef aus?
Eisner: Er sollte sich nicht allzuoft in den Fuß schießen. Er sollte intelligent sein, führen können, ethischen Prinzipien folgen und vor allem nicht anderer Leute Geld verschwenden.
SPIEGEL: Sie waren Vizepräsident beim amerikanischen Fernsehsender ABC und Präsident des Paramount-Studios, bevor Sie vor 14 Jahren zu Disney kamen. Haben Sie Ihren Konkurrenten an der Spitze anderer Konzerne etwas voraus?
Eisner: Seit ich 23 war, habe ich jeden nur erdenklichen Job im Kinogeschäft und in der Filmindustrie gemacht. Bei mir haben es Leute schwer, die ins Zimmer kommen und mir erklären wollen, daß sie eine Idee nicht so hinkriegen, wie wir uns das ausgedacht haben. Ich habe alle Ausreden gehört, mir kann keiner was vormachen. Das gilt aber genauso für Leute wie Ted Turner, den Viacom-Chef Sumner Redstone oder Rupert Murdoch. Leute, die auf dem Gipfel stehen, wurden dort in der Regel nicht einfach abgeworfen.
SPIEGEL: Manche Ihrer früheren Kollegen sagen, Sie seien ein Kontroll-Freak, der sich in alles persönlich einmischt.
Eisner: Wenn Sie ein Haus einrichten wollen, müssen Sie sich nun mal auch um die Aschenbecher kümmern. Es sieht nicht wirklich gut aus, wenn Sie nur vier Wände aufstellen und ein paar Fenster hineinschneiden. Für jeden, der kreativ ist, der einen Disney-Park entwirft, einen Film oder ein Hotel, kommt es auf die Details an. Wenn einer meint, ich bremse die Firma, weil ich auf Details Wert lege, dann finde ich das nicht angemessen. Ich muß mich nicht in alles einmischen, solange die Leute um mich herum exzellente Arbeit abliefern. Gut genügt allerdings nicht, es muß exzellent sein.
SPIEGEL: Müssen Sie deshalb Ihrem Personal im Disney-World-Park genau vorschreiben, wie es sich zu schminken hat, daß Männer keine Ohrringe tragen und auch keine struppigen Bärte haben dürfen?
Eisner: Diese Regeln wurden aufgestellt, lange bevor ich in die Firma kam.
SPIEGEL: Wäre es nicht an der Zeit, Toleranz walten zu lassen?
Eisner: Es geht nicht um Toleranz oder um Liberalität. Unsere Leute stehen immer auf der Bühne, ob sie nun in einem Hotel arbeiten oder auf den Straßen von Disneyland. Sie sind Bestandteil eines Traums, durch den wir unsere Gäste führen. Sie sind Schauspieler, die Kostüme sind ihre Berufskleidung. Und dazu gehören nun mal keine großen Ohrringe oder Ziegenbärte, wie sie heute in Mode sind.
SPIEGEL: In den letzten Jahren haben Sie viele Kunstfiguren zum Leben erweckt: den "König der Löwen", "Winnie the Pooh" oder die Ameisen aus "A Bug's Life". Wo bleibt dabei eigentlich Mickey Mouse?
Eisner: Mickey ist mein Boß.
SPIEGEL: Läuft seine Zeit nicht langsam ab?
Eisner: Wie wäre so etwas denkbar? Zeigen Sie einem drei Monate alten Baby eine Mickey Mouse, und es fängt an zu lächeln. Ich weiß auch nicht, warum das passiert, aber die Maus lieben alle Amerikaner, Franzosen, Chinesen. Es ist nicht nur die Figur, sondern ihre Kultur, dieses schelmische und dennoch ehrliche und gutherzige Wesen. Wir machen gerade eine neue Fernsehserie mit Mickey, Pluto, Donald und Goofy. Es wird keinen Nachfolger für Mickey geben, die Maus ist unsterblich.
SPIEGEL: Sie bauen Parks auf der ganzen Welt. Ihre Filme sind Hits in nahezu jedem Land. Für Millionen von Kindern ist Mickey der erste Freund. Dennoch warnen Ihre Gegner, etwa französische Intellektuelle, vor einer Disneyisierung.
Eisner: Wenn ich mir überlege, wer in diesem Jahrhundert alles die Welt regieren wollte, finde ich es recht angenehm, daß die Leute nun die Weltherrschaft einer Maus fürchten. Das amüsiert mich sogar. Was können Mulan, Mickey oder Winnieh the Pooh wohl Böses anrichten? Wir sind in keiner Weise politisch, wir wollen keine Macht. Wir wollen einfach nur unterhalten und nebenbei unseren Aktionären Gewinne bescheren. Ich denke allerdings, daß außer einer kleinen Gruppe von Avantgarde-Publizisten in Paris niemand wirklich Angst vor einer Kulturinvasion hat. Wir hatten Meetings mit allerhand Intellektuellen. Und am Ende fragten sie, ob ich ihnen ein paar Mickey-T-Shirts schenken könnte.
SPIEGEL: Selbst die "New York Times" schrieb, daß Sie die Falschheit von Hollywood zur Realität erklären.
Eisner: Die "New York Times" hat uns auch oft genug gelobt. Sie hat allerdings den einen oder anderen Kommentator, der uns auf den Tod nicht leiden kann. Ich verstehe nicht, was deren Problem ist.
SPIEGEL: Ihr privates Vermögen, das Sie als angestellter Manager bei Disney verdient haben, wird auf eine Milliarde Dollar geschätzt. Haben Sie das verdient?
Eisner: Das ist mächtig übertrieben. Ich möchte mich eigentlich auch nicht rechtfertigen. Ich bin so erzogen worden, daß man andere Leute nicht nach ihrem Verdienst fragt, wie man sich auch nicht nach ihren sexuellen Vorlieben erkundigt. Da aber mein Einkommen nun einmal im Jahresbericht veröffentlicht wird, will ich folgendes sagen: Als ich vor 14 Jahren bei Disney anfing, war die Firma weniger als 2 Milliarden Dollar wert, heute haben unsere Aktionäre einen Wert von 60 Milliarden Dollar in den Händen.
SPIEGEL: Wie wollen Sie Mitarbeiter zum Sparen anhalten, wenn der Chef gleichzeitig ein Jahresgehalt, Aktienoptionen eingeschlossen, von rund einer halben Milliarde Dollar erhält?
Eisner: Als ich bei Disney anfing, nahm ich weniger Geld als alle meine Mitstreiter in Hollywood. Ich habe auf den Erfolg der Firma gesetzt und mir statt eines hohen Gehalts Optionen erbeten. Ich gebe zu, daß ich dadurch sagenhaft verdient habe. Aber es gibt Jahre, und dieses könnte eines davon sein, in denen ich kein Geld mache oder sogar Geld verliere. Das ist selten in Amerika. Wäre ich normaler Aktionär, würde ich mein Geld liebend gern in so eine Firma stecken, wo der Chef nur verdient, wenn es mit dem Laden aufwärtsgeht.
SPIEGEL: Müssen Sie deshalb zur Strafe immer einen Mickey-Schlips tragen?
Eisner: Ich trage gern Mickey-Schlipse, weil ich sie sehr schön finde. Es gibt nur ein Problem: Wo immer ich damit auftauche, werde ich sie los. Andauernd kommt jemand und sagt: Ich liebe deinen Schlips, kann ich den haben?
SPIEGEL: Herr Eisner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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