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Foren-Name: Kino, Circus, Varieté & Musicals
Beitrag Nr.: 468
Beitrag Nr.: 38
#38, RE: Die neue Ära des 3D Kinos
Geschrieben von scherge am 07-Jul-09 um 09:36 Uhr

Editorial aus c't Nr.15 2009
Quelle Heise

Ungewohnte Tiefe

Es passiert jedes Mal, wenn ich über 3D-Kino rede: Meine Kollegin wirft mir diesen verklärten Blick zu und streckt mir theatralisch in Zeitlupe ihre Hand entgegen. Die Heilsbringer-Geste hatte sie in einem 3D-Konzertfilm über die irische Band U2 gesehen: Die Szene ist so gefilmt, dass Sänger Bono aus der Leinwand in den Zuschauerraum greift. Was soll ich dazu sagen? Ich finde 3D-Kino toll und kann wirklich nichts für Bonos Hang zum Pathos. Und die 3D-Technik kann erst recht nichts dafür - immer wieder wird sie für plumpe "Kuck mal, was da wieder auf dich zufliegt"-Effekte missbraucht (Branchen-Slang: "Pop-outs").

Auch meine erste 3D-Filmerfahrung kam mir direkt entgegen. Da flog unprovoziert eine Coladose in den Kinosaal - im Freizeitpark-3D-Kurzfilm "Captain EO" mit Michael Jackson. Doch 3D-Kino kann so viel mehr sein als Pop-out-Exzesse.

Für mich ist es die ungewohnte Tiefe, die an der 3D-Technik so fasziniert. Es gibt in dem ansonsten platten Horrorfilm "My Bloody Valentine 3D" eine Szene, in der man einfach nur die Gänge eines leeren Supermarktes sieht. Völlig unspektakulär. Durch die Tiefe hat man aber wirklich das Gefühl, zusammen mit dem fiesen Mörder im Supermarkt zu sein - und nicht in einem dunklen Kino mit einer Shutter-Brille auf der Nase.

Wenige Sekunden später wusste ich aber wieder, wo ich war, weil eine Spitzhacke aus der Leinwand kam. Als ob der Regisseur sagen wollte: "Hey Leute, vergesst nicht, ihr guckt gerade einen dieser tollen neuen 3D-Filme!" Kinofilme sollten einen eigentlich ins Geschehen hineinziehen, nicht dauernd etwas herausreichen. So wird man immer wieder daran erinnert: Ist nur 3D.

Ich bin mir sicher, dass das Medium 3D-Film noch erwachsen wird. Die erste Welle in den Fünfzigern hat dafür nicht gereicht, der 3D-Film hat es nur bis zur Pubertät geschafft. Und genau das ist wahrscheinlich das große Problem der 3D-Technik: Die bleibende Assoziation mit albernen, pubertären Effekten.

So sind die ewigen Zweifler schon fleißig dabei, dem gerade vor der Volljährigkeit stehenden 3D ein Grab zu schaufeln - mit den Argumenten von gestern gegen die Technik von morgen. Gegenüber den vollmundigen Versprechungen der Prediger der digitalen 3D-Revolution ist aber auch etwas Skepsis angebracht.

Von der technischen Seite her könnte es diesmal jedenfalls klappen: Die Kinotechnik ist ausgereift, die PC-Umsetzungen sind vielversprechend. Dieses Heft ermöglicht es Ihnen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Unter Windows reicht ein kostenloser Treiber, um Anwendungen wie Google Earth und 3D-Spiele räumlich zu zeigen; eine dazu passende Brille liegt bei. Damit Sie sich ganz ohne Installation einen ersten Eindruck verschaffen können, lassen sich alle Bilder der Titelstrecke mit unserer Brille in 3D betrachten. Eins verspreche ich dabei: Wir strecken Ihnen weder eine segnende Hand entgegen, noch bewerfen wir Sie mit Dosen.

Jan-Keno Janssen


Gruß Ralf.