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Beitrag Nr.: 4954
Beitrag Nr.: 22
#22, Die Reue des Rummelkönigs
Geschrieben von jwahl am 11-Okt-04 um 19:52 Uhr

Moin
Mal wieder ein ganz netter Bericht aus der Berliner Morgenpost:

Die Reue des Rummelkönigs
Ex-Spreepark-Chef Witte, wegen versuchten Kokainschmuggels verurteilt, kommt im Gefängnis ins Grübeln
Von Sabine Flatau

Fast zehn Jahre lang war Norbert Witte der Chef des Spreeparks. 2001 kündigte er den Pachtvertrag mit dem Land Berlin und reiste 2002 mit seiner Familie und sechs Fahrgeschäften nach Peru aus. Zurück blieb der hochverschuldete Freizeitpark. Witte war bereits nach Berlin zurückgekehrt, als Fahnder im November vergangenen Jahres 167 Kilogramm Kokain in einem Karussell entdeckten. Das Urteil: sieben Jahre Haft.

Norbert Witte sieht blaß aus im gestreiften Hemd. Die dunklen Haare sind fast schulterlang, der kleine Oberlippenbart zeigt erstes Grau. Er erhebt sich zur Begrüßung, reicht die Hand über den Holztisch hinweg, der Besucher und Häftling trennt, verbeugt sich. Und nimmt Platz, mit dem Rücken zur Wand, als ob er Halt sucht. Der Schausteller sitzt in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Er wurde im November 2003 in Berlin verhaftet, sein Sohn Marcel in Peru, als die peruanische Polizei in einem der Fahrgeschäfte von Wittes Luna-Park in Lima 167 Kilogramm reines Kokain fand. Es sollte per Schiff nach Holland transportiert und verkauft werden. Der Schausteller hatte sich mit der südamerikanischen Drogenmafia eingelassen, weil ihm, wie er sagt, das Geld für die Rückkehr nach Deutschland gefehlt habe. Denn das Geschäft mit dem kleinen Rummel in Lima lief nicht sonderlich gut. Ende April verurteilte ihn das Berliner Landgericht zu sieben Jahren Haft. Marcel Witte (24) ist weiter im Untersuchungsgefängnis in Peru.

Wegen seines schweren Herzleidens verbüßt Norbert Witte die Strafe im Haftkrankenhaus, in einer Einzelzelle. Untätig ist er nicht. "Um 5.30 Uhr stehe ich auf, um 6 Uhr geht die Tür auf", erzählt der 49jährige. Er ist Hausarbeiter in Moabit, teilt Essen aus und putzt. Auch die Zellen, auch die Toiletten. "Klos saubermachen, das habe ich schon bei meinem Vater gelernt", sagt er und lächelt.

Witte akzeptiert den Gefängnis-Job. Schlimm ist, daß die Zeit nicht vergeht. "Der Tag ist wie ein Kaugummi." Bis 15 Uhr arbeitet er. Am Rundgang im Hof mag er nicht teilnehmen, zieht sich lieber in die Zelle zurück. "Um 17 Uhr ist Nachtverschluß." Den Rest des Tages verbringt er allein in den vier Wänden, hinter dem vergitterten Fenster, in einem kargen Raum. Ein brauner Holztisch, Stuhl, Schrank und Fernseher stehen darin. Mit seinen Gedanken ist er allein. "Dann grüble ich über meine Schandtaten nach", sagt er scherzhaft. Doch dann verdüstert sich sein Gesicht. Sieben Jahre sind eine lange Zeit. "Dummheit muß bestraft werden", sagt er. "Aber es hätte schlechter kommen können."

Norbert Witte lobt die Sozialarbeiterin, die ihn und die anderen Gefangenen betreut, und die medizinische Betreuung im Haftkrankenhaus. Täglich sieht ein Arzt nach ihm, freitags ist Visite. "Wenn mir nachts was passiert, dann ist gleich ein Bereitschaftsarzt da." Ende des Jahres werde er wahrscheinlich am Herzen operiert, erzählt der 49jährige. Aber er hat kaum Hoffnung, daß sich seine Gesundheit bessert. "Nach sieben Herzinfarkten ist ein Teil des Muskels dauerhaft geschädigt. Der nächste Infarkt ist wahrscheinlich der letzte."

Die Operation soll außerhalb von Moabit erfolgen.

Wittes große Hoffnung ist, in den offenen Strafvollzug zu kommen. "Vielleicht in acht oder neun Monaten." Zuvor müsse er jedoch ins Gefängnis in Tegel verlegt werden. "Da ist die Einweisungskommission, die alles prüft." Auch die Suchtgefährdung eines Gefangenen. "Alkohol oder Drogen kommen für mich nicht in Frage." Widerholungs- oder Fluchtgefahr bestünden bei ihm auch nicht. Und schon wieder kreisen die Gedanken um die Vergangenheit. "Ich bin ein Idiot", sagt er. "Bei meinen fünf Kindern habe ich darauf geachtet, daß sie nicht mit Rauschgift in Berührung kommen, und ich lasse mich auf einen Kokain-Transport ein." Er habe als Vater versagt, als er den Sohn in den Deal hineinzog.

Halt inmitten der Selbstvorwürfe gibt ihm die Familie, auch wenn er vielleicht noch in diesem Jahr geschieden wird - und das nach 27 Jahren Ehe mit Pia Witte. Vier Enkel habe er, erzählt er mit Stolz. Alle 14 Tage besuchen ihn die Töchter. "Sie kommen besser mit meiner Situation zurecht als ich", sagt er. "Sie bauen mich auf." Einmal im Monat kommt auch die 83jährige Inge Witte zu ihrem Sohn ins Gefängnis. "Ich schäme mich vor meiner Mutter, daß ich hier bin. Es bedrückt mich jedesmal. Sie hat es nicht verdient." Sie stammt aus einer Beamtenfamilie, war Deutschlehrerin von Beruf, ihr Vater sogar Studienrat. "Sie will mich auf jeden Fall noch mal draußen, in Freiheit sehen."

Hinter den Gefängnismauern hat Norbert Witte Zeit zum Philosophieren. "Freiheit und Gesundheit sind die größten Güter des Menschen", sinniert er. "Ich habe beides verspielt." Schaustellern liege es im Blut, immer unterwegs zu sein, sagt er. Er sei mit den Karussells durch Jugoslawien, Italien, Holland gezogen, sei als Dreijähriger in Brüssel in den Kindergarten gegangen. Nun ist er gezwungenermaßen seßhaft.

Was macht er, wenn er wieder in Freiheit ist? "Ich will meinen Kindern helfen", sagt er. Vielleicht beim Aufbau eines Freizeitparks, irgendwo auf dem Land. Vom Spreepark ist er innerlich längst noch nicht losgekommen und redet intensiv über das alte Parkplatzproblem und die Chancen eines innerstädtischen Vergnügungsparks.

Norbert Witte trägt sich mit dem Gedanken, nach der Haftzeit ein Buch zu schreiben und seine Erfahrungen und Erinnerungen mitzuteilen. "Ich habe so viel erlebt, das kann anderen nützen." Den Erlös wolle er nicht für sich, sondern einer Stiftung zukommen lassen. "Damit ich den Schaden wiedergutmache, den ich angerichtet habe." Doch es wird voraussichtlich noch einige Tage dauern, bis der einstige "König des Spreeparks" daran arbeiten kann.